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Am 9. April 2003 reißen US-Truppen in Bagdad diese Statue Saddam Hussein nieder. Sie hatten keinen Plan, wie es nach einem militärischen SIeg weitergehen sollte.

© Reuters/Goran Tomasevic

Folgen der US-Operation: Die Wunden des Irak sind vernarbt, beherrschen aber den Alltag

Die ethnisch-konfessionelle Aufteilung, der Einfluss Irans: Das Land kämpft bis heute gegen die Folgen der Planlosigkeit der USA nach ihrem Militärsieg.

„Iraqi Freedom“, Freiheit für Irak, sollte die Militäroperation bringen, die unter dem Kommando der USA begann. Eine „Allianz der Willigen“ marschierte am 20. März 2003 über Kuwait in den Irak ein. Mit dabei Großbritannien und die Ukraine. Ein UN-Mandat gab es nicht. Deutschland und Frankreich waren nicht überzeugt und machten nicht mit.

Die Massenvernichtungswaffen, die der irakische Diktator Saddam Hussein angeblich besitzen sollte und die US-Präsident George W. Bush für sein Eingreifen als Grund nannte, sind bis heute nicht gefunden worden.

Die Operation geriet zum Desaster: Widerstand gegen die Besatzer, Bürgerkrieg zwischen den unterschiedlichen Ethnien und Religionen, Terror von Al Qaida und später der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Erst heute, 20 Jahre später, beginnt das Land zwischen Euphrat und Tigris sich langsam davon zu erholen. Doch es gibt noch immer unzählige Hürden, die die Entwicklung behindern. 

Dürre und Krankheit

„Wenigstens haben sie jetzt mal den Müll weggeräumt“, bemerkt Mohamed Falih Abu Utaf. Er steht an einem Seitenkanal des Schatt al-Arab inmitten der Südmetropole Basra und zeigt stolz auf die Pflanzungen, die seine Initiative „For a green Basra“ veranlasst hat.

In Basra standen einst Bäume, jetzt ist dort nur noch Wüste.
In Basra standen einst Bäume, jetzt ist dort nur noch Wüste.

© AFP/AHMAD AL-RUBAYE

400 neue Bäume entlang des Kanals, 16 verschiedene Baumarten. Es habe einmal Palmenwälder rund um Basra gegeben, sagt der Agraringenieur. Jetzt ist dort nur noch Wüste. Und diese dehnt sich immer weiter aus. Der Irak ist eines der fünf Länder, die weltweit am meisten vom Klimawandel betroffen sdin und die Region um Basra leidet besonders.

Nicht nur, dass die Sümpfe austrocknen, auch die Kriege haben ihr erheblich zugesetzt. Die Folgen der Uranwaffen, die die Amerikaner vor allem im Südirak einsetzten, sind auch heute noch auf den Kinderstationen der Krankenhäuser zu sehen, wo nach wie vor missgebildete Babys zur Welt kommen.

Krebsraten steigen weiterhin und sind teils direkt auf die panzerbrechende Uranmunition zurückzuführen, so Ärzte in Basra und Nasserija. Der schlimmste Umweltverschmutzer aber sei die Ölindustrie, bemerkt Abu Utaf mit Nachdruck. „Was bei der Ölförderung in den Boden und die Atmosphäre gerate, wird uns weitere Jahrzehnte belasten.“

Armut trotz Öl-Boom

In der Provinz Basra liegen die größten Ölvorkommen Iraks, fast 90 Prozent des Haushalts stammen aus Ölverkäufen. Und trotzdem ist Basra arm geblieben. Erst jetzt, nach den Massenprotesten 2018, als die vier Millionen Einwohner eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen einforderten, tut sich etwas.

90
Prozent des Haushalts der Provinz Basra stammen aus Ölverkäufen.

Straßen werden ausgebessert, Brücken und Wohnhäuser gebaut, Strom- und Wasserversorgung verbessert. Fünf-Sterne-Hotels entstehen, schicke Restaurants, Cafés und Einkaufstempel. Die FIFA hat nach 20 Jahren im Januar 2023 ein internationales Fußballturnier in Basra genehmigt. Seitdem fliegen die Träume hoch. 

Als der jetzige US-Präsident Joe Biden 2006 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im US-Senat war, tobte der Terror im Irak. Irakische Aufständische verzahnten sich mit Al Qaida, täglich gab es Anschläge auf US-Truppen und alle, die mit ihnen zusammen arbeiteten.

Ein Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten brach aus. Die Amerikaner suchten nach Lösungen, um das Abgleiten Iraks ins totale Chaos zu verhindern. Außer dem minutiös geplanten militärischen Einsatz, gab es keinen Plan für die politische Zukunft.

Was bei der Ölförderung in den Boden und die Atmosphäre gerät, wird uns Jahrzehnte belasten.

 Mohamed Falih Abu Utaf, Agraringenieur

Biden schlug vor, das Land in drei Teile zu teilen: in den kurdischen Norden, eine Region für die Sunniten, eine für die Schiiten. Dazu ist es zwar nicht gekommen, aber die Dreiteilung greift bis heute und die Aufteilung der Macht entlang ethnischer und religiöser Linien durch US-Administrator Paul Bremer hatte verheerende Folgen.

Wenn Nachbarn zu Feinden werden

„Unter Saddam waren wir alle Iraker, unter den Amerikanern wurden wir Sunniten, Schiiten und Kurden“, sagt Mohammed Shirwani in Bagdad. „Nachbarn wurden Feinde.“ Mohammed ist 59 Jahre alt, Elektroingenieur, Kurde, in Leipzig geboren und in Bagdad aufgewachsen.

Anders als im Süden Iraks, wo mehrheitlich Schiiten leben, zeigt sich in Bagdad der Vielvölkerstaat in seiner ganzen Vielfalt. Neben schiitischen und sunnitischen Arabern und Kurden, wohnen hier Turkmenen, Christen, Jesiden, Mandäer und Kaka’i. Das, was Irak so einzigartig macht, wurde plötzlich zum Verhängnis.

Unter Saddam waren wir alle Iraker, unter den Amerikanern wurden wir Sunniten, Schiiten und Kurden.

Mohammed Shirwani in Bagdad

Eine große Umzugswelle schwappte über Bagdad. Sunniten verließen ihre Häuser aus Angst, von ihren schiitischen Nachbarn getötet zu werden. Genauso umgekehrt. Gemischte Familien brachen auseinander oder flohen in den Nordirak, nach Kurdistan. Diese Segregation löst sich gerade langsam wieder, hat aber bis heute weitgehend Bestand.

Der von den Amerikanern eingeführte ethnisch-konfessionelle Proporz für politische Ämer geriet nur kurz ins Wanken, als die Protestwelle 2ß19 von Basra nach Bagdad schwappte. Während die Forderungen der Demonstranten im Süden mehr Strom und Jobs waren, wurden sie in Bagdad politisch. Es ging auch darum, den Einfluss Irans zurückzudrängen.

Der Tahrir Platz geriet zum Dorf der Erneuerung – zwei Jahre lang 2019 und 2020. Doch dann kam der Rückschlag. Über 600 Demonstranten wurden ermordet, viele andere gekidnappt und bedroht. Der Protest verstummte.

Die Krisen verschärfen sich

Mitverantwortlich für die brutale Niederschlagung der Proteste im Irak sei der Iran, so hört man überall von Basra bis Bagdad. Die dem Nachbarland verbundenen irakischen Milizen haben gut ausgebildete Scharfschützen, sie sollen mit dafür sorgen, das Irans Einfluss gesichert bleibt. Das ist gelungen: Ohne Iran läuft im Irak gar nichts.

Die Entwicklung in die Moderne in den Kurdengebieten ging zu schnell.

Nihad Qoja, ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt Erbil

Teheran sitzt in Bagdad mit am Kabinettstisch, bestimmt die Regierung. Ohne die Zustimmung Irans kommt kein Präsident ins Amt, wird kein Premierminister vereidigt. Während der Einfluss des Nachbarlandes unter Saddam Hussein verschwindend gering war, ist er jetzt immens. Besonders nach dem Abzug der US-Truppen 2011, füllte der Iran blitzschnell das entstandene Vakuum auf allen Ebenen.

Boom in Kurdengebieten

Erbil, die Kurdenmetropole im Nordirak, ist nicht wiederzuerkennen. Zehn Jahre lang herrschte hier ein Bauboom. Neue Stadtviertel wuchsen aus dem Boden, Hochhäuser wurden gebaut. Während der Terror im Rest des Landes wütete, wurden die kurdischen Autonomiegebiete zum sicheren Hafen. Internationale Organisationen siedelten sich hier an, Geschäftsleute aus Bagdad und Basra eröffneten Büros.

Die Kurden verzeichneten die höchsten Direktinvestitionen der Region. „Die Entwicklung in die Moderne ging zu schnell“, sagt Nihad Qoja, der damals Oberbürgermeister der Stadt Erbil war und über 20 Jahre in Bonn gelebt hatte. Die Köpfe der Menschen hätten den Sprung nicht verkraftet. 2013 dann platzte die Immobilienblase und die Baukräne standen still.

Tausende irakische Flüchtlinge befanden sich 2014 auf der Flucht vor dem IS.
Tausende irakische Flüchtlinge befanden sich 2014 auf der Flucht vor dem IS.

© Reuters/Ahmed Jadallah

Ein Jahr später wütete der IS im Irak. Zwar blieben die vier Kurdenprovinzen vor den brutalen Dschihadisten verschont, aber Tausende Flüchtlinge strömten zu ihnen und suchten Zuflucht.

Eine enorme Belastung für die sich im Umbruch befindliche Region. Nachdem der IS vertrieben war und die Flüchtlingslager nach und nach aufgelöst wurden, glaubte Kurdenpräsident Masoud Barzani, dass es an der Zeit sei, einen eigenen Kurdenstaat auszurufen. Ohne Absprache mit den Nachbarstaaten ließ er 2017 ein Referendum abhalten, in dem seine gut sechs Millionen Kurden abstimmen konnten, ob sie für oder gegen einen eigenständigen Staat seien.

Über 90 Prozent sprach sich dafür aus. Doch Barzani hatte die Rechnung ohne Iran, die Türkei, Syrien und die Zentralregierung in Bagdad gemacht, die vehement opponierten. Auch die Amerikaner, stramme Verbündete der Kurden, hielten den Schritt Barzanis zu jenem Zeitpunkt für unrealistisch und gefährlich.

Mittlerweile ist Masoud Barzani zurückgetreten, die wirtschaftliche Krise hat sich verschärft und ein heftiger Streit mit Bagdad blockiert jede weitere Entwicklung. Der einstige Leuchtturm Iraks ist dabei, sein Licht zu verlieren.   

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