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Bundesweite Bewegung. Mehr als eine Million Menschen hat in den vergangenen Wochen für die Demokratie demonstriert – wie hier am 23. Januar in Rottenburg, Kreis Tübingen.

© picture alliance / Pressebildage

Hauptfach: Demokratie: Was macht die Freiheit in der Forschung?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität beleuchten, welche Rolle der Begriff „Freiheit“ in ihrer konkreten Arbeit spielt.

Das Jahr 2024 steht unter dem Begriff „Freiheit“ – so hat es das Bundesministerium für Bildung und Forschung für Wissenschaftseinrichtungen ausgerufen. Es fragt: Wie resilient ist unsere Demokratie angesichts der Krisen der Gegenwart? Welche Freiheit brauchen wir – an Schulen und Universitäten, im Netz, in Forschungslaboren oder in der Kunst? Wie bewahren wir die Freiheit künftiger Generationen? Was bedeutet der Einsatz von künstlicher Intelligenz für unsere Freiheit?

Die Wissenschaftsfreiheit im Speziellen, in Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes festgeschrieben und vor 75 Jahren, am 23. Mai 1949, in Bonn verkündet, ist ein hohes Gut. Dort heißt es: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Wir fragen nun: Was macht die Freiheit in der Wissenschaft? Wo findet sie sich konkret in Forschungsprojekten? Von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen wollten wir wissen: Wo in Ihrer Forschung begegnet Ihnen der Begriff „Freiheit“? Wo sehen Sie eine Verbindung, einen Anknüpfungspunkt zwischen Ihrer Arbeit und der Freiheit?

Lesen Sie hier die Antworten der Forschenden. Am Anfang steht „A“ wie Aristoteles. Übrigens: Bei der Entscheidung, worüber sie schreiben, welchen Anlass sie wählen und wie sie „Freiheit“ in ihrem Kurztext verweben, sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ganz frei.

Der Mensch als politisches Lebewesen kann seine Natur nur in einer Gemeinschaft entfalten.

Christian Vogel, Gastprofessor Klassische Philologie / Gräzistik

Aristoteles bescheinigt den radikalen Demokratien seiner Zeit, dass ihre Bürger das Gegenteil von dem täten, was das Beste für sie sei. Als Ursache macht er eine falsche Vorstellung von Freiheit aus: Frei sei, wer tun könne, was er wolle. Das Problem eines solchen Freiheitsverständnisses ist die Loslösung von seinen Geltungsbedingungen. Denn wer jeden Dienst an der Gemeinschaft und damit die Unterdrückung der eigenen Begierden als Ausdruck unfreien Lebens betrachtet, verkennt, dass er sich damit blind macht für den Erhalt der eigenen Freiheitsgrundlagen.

Aristoteles zeigt in seinen ethischen Schriften, warum der Mensch nur dann frei sein kann, wenn er in eine Gemeinschaft (ein)gebunden ist – warum der Mensch folglich als zoon politikon, „politisches Lebewesen“, zu verstehen ist, das seine Natur nur in einer Gemeinschaft entfalten kann. Diese eigene Natur – gemeint sind nicht die mit anderen Lebewesen geteilten Fähigkeiten, sondern das dem Menschen eigene Vermögen – verortet der Philosoph in den Tätigkeiten der Vernunft. Das „Problem“ der Vernunft für den Menschen besteht nun darin, dass sie ihm zwar als Vermögen angeboren ist, aber als ein Vermögen, das erst mühsam ausgebildet werden muss, bevor es verwirklicht werden kann.

Auch die mit der Vernunfttätigkeit verbundene Lust müsse der Mensch erst „schmecken lernen“. Dazu bedarf es eines entsprechend verfassten Gemeinwesens, das durch Gesetze und Institutionen die Menschen an vernunftgemäßes Handeln gewöhnt, eine Ausbildung der Vernunftvermögen anstrebt und fördert sowie Möglichkeiten zur Vernunftentfaltung gewährt. Ein solches Gemeinwesen ist die Grundlage für wirklich freies, selbstbestimmtes Handeln: ein Handeln, das um seine Möglichkeitsbedingungen weiß und nicht beliebige Wünsche und damit nur scheinbare Güter zum Maßstab hat.

Internet-basierte Angebote ermöglichen therapeutische Versorgung in Krisen(gebieten).

Maria Böttche, Juniorprofessorin für E-Mental Health und Transkulturelle Psychologie

Die Anzahl der Kriege und Krisen weltweit ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Damit steigt auch die Zahl der Menschen mit traumatischen Erlebnissen und psychischen Traumafolgestörungen, wie einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Bei hohem Leidensdruck und bei Beeinträchtigung in wichtigen Lebensbereichen ist ein Angebot zeitnaher und angemessener psychotherapeutischer Hilfe dringend geboten.

Häufig jedoch ist die Freiheit, therapeutische Versorgungsangebote aufzusuchen und in Anspruch zu nehmen, nicht gegeben – sowohl in Kriegs- und Krisengebieten als auch am eigenen Wohnort. Weil etwa lokale Versorgungsstrukturen fehlen, Angst vor Stigmatisierung herrscht oder der Zugang zu Gesundheitsleistungen aufgrund des Aufenthaltsstatus’ eingeschränkt ist.

Eine der wenigen Möglichkeiten, unter diesen Umständen Versorgung zu gewährleisten, sind internetbasierte Psychotherapien. Die geografische und zeitliche Unabhängigkeit dieser Therapieform ermöglicht den Betroffenen eine freie Wahl in Bezug auf die Gesundheitsfachperson, das psychotherapeutische Angebot sowie den Zeitpunkt der Inanspruchnahme. Die Freie Universität leistet dabei einen wichtigen Beitrag: Am Arbeitsbereich Klinisch-Psychologische Intervention wird untersucht, wie wirksam internetbasierte Therapien für Traumafolgestörungen in Deutschland sowie in Kriegs- und Krisengebieten sind, welche Zugangsbarrieren es gibt und wie die Therapien verstetigt werden können.

Digitalisierung eröffnet der Literaturforschung neue Möglichkeiten.

Frank Fischer, Professor für Digital Humanities und Herausgeber der Plattform DraCor

„Freiheit! Freiheit!“ – Mit diesem hehren Doppelruf stirbt der Protagonist in Goethes Sturm-und-Drang-Drama „Götz von Berlichingen“. Dass sich Freiheit auch profaner verstehen lässt, kann man ebenfalls bei Goethe nachlesen: „Es lebe die Freiheit! Es lebe der Wein!“, singen die Studenten in der Szene „Auerbachs Keller“ im ersten Teil des „Faust“. Zum Freiheitsbegriff ist in der Literaturwissenschaft viel geforscht worden, die Digitalisierung eröffnet neue Möglichkeiten, etwa mittels der Forschungsplattform DraCor.

Dort sind derzeit 26 Dramenkorpora in 19 Sprachen versammelt und können mit digitalen Methoden untersucht werden. Darunter finden sich 700 deutschsprachige Dramen vom 16. bis 20. Jahrhundert – in diesen kommt der Begriff „Freiheit“/„Freyheit“ gut 2000 Mal vor. Und so leuchtet er auf dem Display in vielen Gestalten – in einem spätbarocken Rebellendrama wie Christian Weises „Masaniello“ oder in dem Aufklärungsdrama „Die zärtlichen Schwestern“ von Christian Fürchtegott Gellert, in dem sich der Vater fragt, wer seiner Tochter „den wunderlichen Gedanken von der Freiheit in den Kopf gesetzet hat“.

Der Freiheitsbegriff wird diskutiert in Dramen über die Französische Revolution, wie in Georg Büchners „Dantons Tod“ oder in Stücken, die vor dem Hintergrund der Märzrevolution geschrieben wurden, wie Charlotte Birch-Pfeiffers „Vatersorgen“, in dem junge Revolutionsanhänger als „Freiheitsnarren“ diskreditiert werden. Und auch wenn sich der Blick der Forschung inzwischen auf Texte jenseits des althergebrachten Kanons richtet, hallen zwei überkanonische Verse bis in die Gegenwart – Fausts Worte am Ende des zweiten Teils: „Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, / Der täglich sie erobern muß.“

Nachhaltiges Wirtschaftswachstum braucht Innovation – die nur in einem kreativen, freien Umfeld entsteht.

Britta Gehrke, Professorin für Makroökonomik

Beschränken wirtschaftliche Zwänge unsere Freiheit? Dies dürfte sich oft so anfühlen: Wir müssen Geld verdienen, zur Arbeit gehen und Steuern zahlen. Der Kern des ökonomischen Denkens besagt, dass Zeit, Geld und Ressourcen knapp sind. „There ain’t no such thing as a free lunch“ – nichts ist umsonst. Den Apfel, den ich esse, kann kein anderer mehr genießen. Wenn ich mir die Freiheit nehme, einen Apfel zu essen, ohne dafür etwas zu bezahlen, schränkt dies die Freiheit anderer ein.

Das heißt aber nicht, dass es nicht möglich wäre, die Anzahl der Äpfel für alle zu erhöhen. Dafür ist Freiheit entscheidend: Nachhaltiges Wirtschaftswachstum braucht Innovation – die nur in einem kreativen, freien Umfeld entsteht. Ein Nullsummendenken, das davon ausgeht, dass die einen nur reicher werden, wenn andere ärmer werden, nährt Populismus und bedroht Freiheit sowie Wachstum.

Sollten Märkte also maximal frei sein, von der berühmten „unsichtbaren Hand“ gelenkt? Die ökonomische Forschung zeigt, dass Marktversagen eher die Regel als die Ausnahme ist. Sonst bräuchten wir keine Arbeitslosenversicherung, müssten nicht über Bankenrettung reden und würden uns keine Gedanken darüber machen, wie die Transformation zur Klimaneutralität endlich Fahrt aufnimmt. Zum ökonomischen Handwerkszeug gehört es, Ideen zu entwickeln, wie Anreize gesetzt werden können, um auf der Basis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu fördern. An der Freien Universität werden in diesem Kontext Projekte vorangetrieben, die untersuchen, wie Mindestlöhne die Einkommensverteilung beeinflussen, wie Geldpolitik Unternehmen betrifft und wie steigende Hauspreise regionale Unterschiede verstärken können. 

Pressefreiheit benötigt Rahmenbedingungen, die einen inklusiven und respektvollen Dialog fördern.

Anna Litvinenko, Kommunikationswissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Digitalisierung und Partizipation

In Zeiten, in denen soziale Medien den öffentlichen Diskurs stark prägen, können sehr unterschiedliche Meinungen im Netz geäußert werden. Jedoch führt dies statt zu einem demokratischen Marktplatz der Ideen häufig zu einem verbalen Schlachtfeld. Studien zeigen, dass ideologische und affektive Polarisierung die öffentliche Diskussion zerstören kann. In solchen Fällen droht die Bildung paralleler Teilöffentlichkeiten, die nicht mehr miteinander kommunizieren. Darüber hinaus kann ein feindseliges Meinungsklima Menschen davon abhalten, an demokratischen Prozessen teilzunehmen.

Pressefreiheit bedeutet also mehr als die bloße Duldung verschiedener Meinungen. Sie benötigt Rahmenbedingungen, die gleichzeitig einen inklusiven und respektvollen Dialog fördern und ermöglichen, Grenzen gegenüber demokratiefeindlichen Positionen zu ziehen. Dafür brauchen wir neue Formate, die konstruktive Diskussionen auch bei Meinungsunterschieden ermöglichen. 

In Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigen Unternehmen „MAGNET – Workshop für Verständigung“ zielt ein an der Freien Universität angesiedeltes Forschungsprojekt darauf ab, mögliche Depolarisierungseffekte in deutschen Gemeinden zu untersuchen: Unter dem Motto „Verstehen, ohne einverstanden zu sein“, bringt das Format „demoSlam“ Personen mit gegensätzlichen Ansichten zusammen. Sie werden geschult, gesellschaftliche Themen zu diskutieren, ohne in Streit miteinander zu geraten. Nach ihren Präsentationen wird das Publikum ermutigt, Meinungen auszutauschen und dabei auf die Einteilung richtig oder falsch zu verzichten. Solche Ansätze könnten das Diskussionsklima verbessern und helfen, die Pressefreiheit in ihrer wahren Bedeutung zu stärken – als Grundpfeiler der Demokratie und als Mittel zur Bildung einer informierten öffentlichen Meinung.

Bewegungsfreiheit und politische Rechte sind aufs Engste verknüpft.

Isabella Löhr, Professorin für Internationale Geschichte des 20. Jahrhunderts

Das Wort des Jahres 1989 lautete nicht etwa friedliche Revolution, sondern Reisefreiheit. Was erstaunen mag angesichts der politischen Grundrechte, die sich die Bevölkerung der DDR damals auf den Straßen erstritt. Allerdings war es gerade der visumfreie Reiseverkehr in die Tschechoslowakei, der Tausenden von Menschen die Flucht über Ungarn ermöglichte in der Hoffnung, die DDR gegen ein Leben in persönlicher Freiheit zu tauschen.

Freiheit im Sinne des vollen Besitzes gesellschaftlicher und politischer Rechte war im 20. Jahrhundert eng mit der Ermöglichung oder Einschränkung von Bewegung verbunden. Ein prominentes Beispiel sind die eine Million Menschen, die teils bis Ende der 1940er Jahre als Holocaust-Überlebende oder ehemalige Zwangsarbeitende in Lagern für sogenannte Displaced Persons in Deutschland festsaßen. Ohne einen Staat, der ihre Grundrechte wiederhergestellt hätte, wurde ihnen zum Teil über Jahre das Recht abgesprochen, selbst zu entscheiden, ob sie in ihre Herkunftsländer zurückkehren oder ihr Glück in einem anderen Land versuchen wollten.

Auch heute sind Bewegungsfreiheit und politische Rechte aufs Engste verknüpft: Mit dem Schengener Abkommen von 1990 öffnete sich EU-Bürgerinnen und -Bürgern die Möglichkeit der wirtschaftlichen, sozialen und auch politischen Teilhabe innerhalb der Europäischen Union. Das Gegenstück zu dieser Öffnung der Binnengrenzen ist die Abschottung der Außengrenzen. Und mit ihr der Ausschluss von Menschen von einem zentralen Grundrecht der deutschen und internationalen Nachkriegsordnung: dem Schutz vor Verfolgung.

Der Gesetzgeber muss in einer liberalen Gesellschaft für Toleranz sorgen. Er kann und darf nicht die kollektive Gesinnung steuern.  

Bettina Rentsch, Juniorprofessorin für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung

Wenige Gesetze werden so emotional diskutiert wie das Selbstbestimmungsgesetz. Von „gesellschaftlichem Umbau“ ist die Rede, von seiner negativen Signalwirkung auf Jugendliche, die sich in ihrem Körper nicht wohlfühlen. Und davon, dass die Liberalisierung des Geschlechtseintrags Missbrauch Tür und Tor öffne.

Das Gesetz trotzt allen Bedenken mit dem ambitionierten Ziel, „das Recht jeder Person auf Achtung und respektvolle Behandlung in Bezug auf die Geschlechtsidentität zu verwirklichen“ – so steht es in Paragraf 1 Absatz 1 Nummer 2. Es ist allerdings fraglich, wie es dieses Versprechen einlösen will. Inhaltlich regelt das Gesetz im Prinzip nur die Voraussetzungen für eine Änderung des für den Staat verbindlichen, rechtlichen Geschlechts. „Achtung und respektvolle Behandlung“ wünschen sich Betroffene aber im täglichen Miteinander. Und Privatpersonen sind nicht verpflichtet, eine Änderung des rechtlichen Geschlechtseintrags für sich als verbindlich zu akzeptieren.

Auch den Zutritt zu privaten „Damensaunen“ oder „Damentoiletten“, zu Gaststätten und Veranstaltungen regulieren deren Betreiber. Die Definitionshoheit darüber, was „Geschlecht“ ausmacht, bleibt damit überwiegend bei einer in dieser Frage tief gespaltenen Gesellschaft. Notgedrungen – aber auch zu Recht. Denn der Gesetzgeber muss in einer liberalen Gesellschaft für Toleranz sorgen; er kann und darf nicht die kollektive Gesinnung steuern. Ist das Selbstbestimmungsgesetz vor diesem Hintergrund ein Geniestreich – oder eine Kapitulationserklärung? Wir werden es sehen.

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