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In Deutschland herrscht Medikamentenmangel. Wie kann die Pharmabranche gegensteuern?

© imago images/YAY Images/via www.imago-images.de/Bearbeitung Tagesspiegel

Medikamentenversorgung: Kann Deutschland wieder Apotheke der Welt werden?

Die glorreichen Zeiten der deutschen Pharmaindustrie sind vorbei. Inzwischen klagen Apotheken über Medikamentenmangel. Drei Fachleute sagen, was sich ändern muss.

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Lange galt Deutschland als „Apotheke der Welt“ – die Bundesrepublik hat Pharmariesen hervorgebracht, deutsche Medikamente wurden in die ganze Welt exportiert. Tempi passati: Inzwischen sind Unternehmen wie Bayer oder Merck vom globalen Handel abhängig, wichtige Bestandteile ihrer Arzneimittel werden importiert.

Auch Apotheken und Arztpraxen klagen über fatalen Medikamentenmangel. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) teilte kürzlich mit, dass aktuell fast 500 Präparate nicht lieferbar sind – darunter wichtige Medikamente für die Krebs- und HIV-Therapie sowie gegen Schmerzen.

Was muss Deutschland tun, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken? Müssen die Produktionsketten in der Pharmaindustrie nach Europa zurückverlagert werden, um die Versorgung sicherzustellen? Drei Fachleute geben Antworten. Alle Folgen unserer Reihe „3 auf 1“ finden Sie hier.


Deutschland droht den Anschluss zu verlieren

Von einer Rückkehr zur „Apotheke der Welt“ ist Deutschland derzeit weit entfernt. Vielmehr geht es darum, dass Deutschland bei der Versorgung und der Entwicklung neuer Medikamente nicht den Anschluss verliert. Darüber dürfen die großartigen Entwicklungserfolge der Corona-Krise und die damit verbundenen innovativen Impfstoffe nicht hinwegtäuschen. Deutschland befindet sich in einer starken Ausgangsposition – der schnelle Transfer von der Forschung über die Produktion in die Anwendung ist hervorragend gelungen.

Diese Position gilt es auszubauen – andere Länder gehen hier viel konsequentere Schritte. Damit Deutschland nicht zurückfällt, müssen wir technologisch souverän bleiben, also jederzeit Zugriff auf das notwendige Know-how und die Technologien in der Produktion haben. Das ist zentral für die künftige Entwicklung des Pharmastandorts und die Versorgungssicherheit der Bevölkerung. Deutschland weist hier bereits Lücken auf. Deshalb brauchen wir eine neue Innovations- und Investitionsdynamik. So gelingt es den pharmazeutischen Standort zu stärken und die Versorgung der Bevölkerung mit innovativen Arzneimitteln zu sichern.


Schließungswelle bei den Apotheken

Lieferengpässe bei lebenswichtigen Medikamenten gehören leider schon seit Jahren zum Alltag in den Apotheken. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Darunter fallen die Sparpolitik der Krankenkassen und die Globalisierung der Produktion. Beides geht zulasten der Liefersicherheit und damit der sicheren Patientenversorgung. Die Apotheken kämpfen jeden Tag dafür, passende Ersatzpräparate zu finden oder eigene Medikamente in der Apotheke vor Ort anzufertigen.

Neue Fabriken bauen oder den Welthandel beeinflussen können sie dagegen nicht. Allerdings setzt sich die Apothekerschaft vehement für bessere politische Rahmenbedingungen ein: In einer alternden Gesellschaft muss Politik wieder dafür sorgen, dass die patientennahe Versorgung vor Ort stabil funktioniert. Den Apotheken fällt dies aber immer schwerer. Einerseits gefährden die bürokratischen Sparverträge der Krankenkassen, dass die Apotheken ihre Patientinnen und Patienten bei Lieferproblemen flexibel versorgen können. Andererseits stagniert das Honorar für Apotheken auf dem Niveau von 2004, was zu einer ungebremsten Schließungswelle der Apotheken vor Ort führt.


Medikamentenmangel wäre bei Großkonflikt fatal

An Beweisen für Deutschlands Abhängigkeit von internationalen Lieferketten mangelte es in den vergangenen Jahren nicht. Im Arzneimittelbereich indes war es ein deutsches Unternehmen, mit dessen Impfstoff der halbe Planet gegen Corona geimpft wurde. Das aber darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie fragil die Situation gerade hier ist, gelegentliche Engpässe der vergangenen Jahre geben davon nur eine Ahnung. Das Versiegen von Schmerz- und Narkosemitteln, von Antibiotika und Krebsmedikamenten, etwa bei einem Großkonflikt Europas mit China – es wäre nicht weniger als ein Horrorszenario, das die Corona-Herausforderungen weit übersteigen dürfte.

Es ist daher richtig, dass die Regierung der Pharmaindustrie inzwischen ähnliches Potenzial zuschreibt wie der möglicherweise schrumpfenden Automobilindustrie. Dass Deutschland innovative und hochprofitable Arzneimittelforschung kann, ist bewiesen.

Ob es aber auch gelingt, die Grundversorgung in Deutschland zukunftsfest zu machen, muss sich noch zeigen. Im schlimmsten Fall erkennt man die Notwendigkeit eines Sicherstellungsauftrags erst in der nächsten Krise – dann wäre es zu spät.

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