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Medikamente liegen im Lager einer Apotheke.

© dpa/Waltraud Grubitzsch

Update

Apothekerverbände schlagen Alarm: Antibiotika werden zur Mangelware – vor allem für Kinder

Die Lage rund um die Lieferengpässe bei Antibiotika spitzt sicher weiter zu. Nun muss teilweise auf Reserve-Antibiotika ausgewichen werden – ein Ende des Mangels ist bislang nicht in Sicht.

Für Patienten in Deutschland gibt es offenbar viel zu wenig Antibiotika. „Die Lage ist katastrophal“, sagte die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Regina Overwiening, der „Bild“-Zeitung (Donnerstag). Es werde immer schwieriger, Patienten zu versorgen – „und das in einem Land, das mal die Apotheke der Welt war“.

Bei normalerweise gut behandelbaren Krankheiten wie zum Beispiel Scharlach müsse teilweise auf Reserve-Antibiotika zurückgegriffen werden, die eigentlich nur in Ausnahmefällen verwendet würden. Ein Ende des Mangels sei nicht in Sicht, heißt es von der Berliner Kammer.

Auch Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), ist der Ansicht, die Situation sei sehr besorgniserregend. „Das heißt, dass die Kinder, die tatsächlich ein Antibiotikum brauchen, teilweise gar keins bekommen“, sagte der Berliner Kinderarzt der Deutschen Presse-Agentur am Freitag. Ländliche und städtische Gebiete seien von dem Mangel gleichermaßen betroffen.

Lieferengpässe auch bei Antibiotika-Säften für Kinder

Der Versorgungsmangel betreffe mittlerweile auch antibiotikahaltige Säfte für Kinder, berichtete der „Bundesanzeiger“ am vergangenen Dienstag.

Die Situation für die Eltern ist prekär, für die Kinder sowieso.

Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ)

Am Donnerstag reagierte Bundesgesundheitsministerium mit einer Ankündigung: Den Landesbehörden solle es künftig ermöglicht werden, flexibler auf Lieferengpässe zu reagieren. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte habe hierfür bereits eine Art Frühwarnsystem eingerichtet.

„Gründe für die gemeldeten Lieferengpässe sind vornehmlich deutlich gestiegene Bedarfe, die nicht kompensiert werden können“, berichtete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte am 25. April 2023.

Auch erhöhte Produktionskapazitäten könnten eine flächendeckende und bedarfsgerechte Verfügbarkeit nicht gewährleisten, heißt es dort weiter.

Viele Kinder sind tagtäglich auf Antibiotika angewiesen

„Die Situation für die Eltern ist prekär, für die Kinder sowieso“, sagte Maske. Selbst Kinder, die „wirklich dringend“ ein Antibiotikum bräuchten, bekämen keins. „Da kann man sich schon vorstellen, dass das für die Gesundheit nicht so gut ist und auch das Leben in Gefahr ist.“

Es ist höchste Zeit, dass Minister Lauterbach den Medikamenten-Mangel entschlossen bekämpft.

Tino Sorge, CDU-Gesundheitsexperte

Täglich seien viele Kinder, etwa mit einer Lungenentzündung, einer schwere Ohrenentzündung oder einer Streptokokken-Infektion, auf Antibiotika angewiesen. „Die Betroffenheit ist riesig.“ In seiner Praxis in Berlin Schöneberg bekämen täglich – bei etwa 100 bis 150 Patienten – rund 30 Kinder Antibiotika verordnet, so Maske.

Bayern richtet „Task-Force Arzneimittelversorgung“ ein

Peter Stahl, Kammerpräsident in Rheinland-Pfalz, sagte der Zeitung: „Gefühlt jede zweite Verschreibung ist inzwischen ein Problem.“ Kammer-Chef Carsten Wohlfeil (Saarland) berichtete, viele Patienten müssten weite Wege auf sich nehmen, um eine Apotheke mit der nötigen Arznei zu finden.

Bayern hat eine „Task-Force Arzneimittelversorgung“ ins Leben gerufen, um den anhaltenden Lieferengpässen zu begegnen. Alexander von Waldenfels (Bayerische Landesapothekerkammer) beklagte „Lieferengpässe bei Antibiotikasäften über alle Wirkstoffe hinweg“.

CDU kritisiert Gesundheitsminister Lauterbach

Ein Sprecher des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, das dem Gesundheitsministerium untergeordnet ist, betonte, auf europäischer Ebene gebe es erste Signale für eine Stabilisierung der Verfügbarkeit von Antibiotika.

Kritik kommt aus der Opposition. Für den CDU-Gesundheitsexperten Tino Sorge steht fest: „Jetzt rächt sich der jahrelange Sparzwang bei Medikamenten, vor allem aber das Abwarten von Gesundheitsminister Lauterbach.“

Längst hätte der SPD-Minister ein Frühwarnsystem für Lieferengpässe einführen können.

„Es ist höchste Zeit, dass Minister Lauterbach den Medikamenten-Mangel entschlossen bekämpft“, so Sorge. „Bisher kursieren nur vage Ideen, die Patienten stehen weiter im Regen.“

Feststellung eines Versorgungsmangels durch das Ministerium

Wegen eines Versorgungsmangels bei antibiotikahaltigen Säften für Kinder sind dafür vorerst flexiblere Vorgaben möglich. Mit der Bekanntmachung des Mangels im Bundesanzeiger am vergangenen Dienstag werde es Landesbehörden ermöglicht, flexibler auf Lieferengpässe zu reagieren, teilte das Bundesgesundheitsministerium am Donnerstag in Berlin mit.

Dieser Mechanismus habe in Kraft gesetzt werden können, weil beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Art Frühwarnsystem eingerichtet sei. Die Feststellung eines Versorgungsmangels durch das Ministerium ist Voraussetzung dafür, dass Landesbehörden im Einzelfall und befristetet von Vorgaben des Arzneimittelgesetzes abweichen dürfen, wie es in einer generellen Erläuterung des Bundesinstituts heißt.

Zum Beispiel dürften Behörden Chargen von Arzneimitteln freigeben, auch wenn sie nicht die letztgenehmigte Version der Packungsbeilage haben.

Die Konsequenz, wenn wir die Kinder nicht mehr therapieren können, aber therapieren müssen, ist, sie ins Krankenhaus einzuweisen.

Jakob Maske

In der Bekanntmachung des Ministeriums vom 25. April heißt es, bei den antibiotikahaltigen Säften handele es sich um Arzneimittel, die zur Vorbeugung oder Behandlung lebensbedrohlicher Erkrankungen eingesetzt würden.

Für diese Arzneimittel stehe oftmals keine alternative gleichwertige Arzneimitteltherapie zur Verfügung. Das Ministerium will bekannt machen, wenn der Versorgungsmangel nicht mehr vorliegt.

Es gibt Antibiotika der zweiten und dritten Wahl, die aber schlechter wirken und das Risiko für sich bildende Antibiotika-Resistenzen erhöhen.
Es gibt Antibiotika der zweiten und dritten Wahl, die aber schlechter wirken und das Risiko für sich bildende Antibiotika-Resistenzen erhöhen.

© dpa/Benjamin Nolte

Das Frühwarnsystem soll mit einem Gesetzentwurf ausgebaut werden, den das Kabinett Anfang April auf den Weg gebracht hat, erläuterte das Ministerium. Ressortchef Karl Lauterbach (SPD) hatte dazu deutlich gemacht, dass damit Reaktionsmechanismen verbessert werden sollen. Lieferengpässe wie im jüngsten Winter sollten so vermieden werden.

Was wird getan, wenn das passende Medikament aus ist?

Nach Angaben von Maske, dem Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), gibt es Antibiotika der zweiten und dritten Wahl, die aber schlechter wirken und das Risiko für sich bildende Antibiotika-Resistenzen erhöhen. „Die Konsequenz, wenn wir die Kinder nicht mehr therapieren können, aber therapieren müssen, ist, sie ins Krankenhaus einzuweisen.“

In den Kliniken sei die Versorgung mit intravenösen Antibiotika noch relativ gut, aber auch dort käme es derzeit teilweise vor, dass bestimmte Mittel nicht mehr vorrätig seien.

Ein Versorgungsmangel bei Antibiotika in diesem Ausmaß hat der Kinderarzt bisher noch nie in Deutschland gesehen. Auffallend mehr Krankheitsfälle als gewöhnlich gibt es laut Maske derzeit nicht.

Er fordert das Bundesgesundheitsministerium dazu auf, die Probleme bei der Beschaffung von Medikamenten so schnell wie möglich zu lösen. Es dürfe nicht dazu kommen, dass auch noch die Versorgung in den Krankenhäusern gefährdet werde. „Sonst sterben tatsächlich Kinder oder es kommt zu schweren Komplikationen, die wir so noch nie gesehen hätten.“ (KNA, dpa)

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