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Aline von Drateln, Mutter vom Kollwitzplatz.

© Christobal

Für immer die NEUE (3): Wir Stiefmütter sind ein gleichwertiger Teil der Familie!

Auch wenn man mit dem Partner dreimal so lange zusammen ist, wie er mit der Ex: Man bleibt die Neue. Dabei wäre unsere Kolumnistin einfach gerne seine "Alte".

Die Suchmaschine wirft knapp vier Millionen Online-Einträge für das Stichwort „Alleinerziehende“ aus. Unter „Stiefmütter“ finden sich nur rund 150.000. Frauen, die ihre Kinder nicht gemeinsam mit deren Vätern großziehen, haben vielleicht die Arschkarte. Aber wenigstens haben sie eine! Sie ist der Eintritt in die vielen Foren, die sich auf Berliner Schulhöfen, in Cafés und im Internet gebildet haben. In denen sie sich Hilfe holen und Dampf ablassen können. Wo dürfen Stiefmütter richtig böse sein?

Zu Hause schon mal nicht. Denn da ist ja das Kind, das ein anderes Paar bekommen hat, und das uns zu dem macht, was wir sind. Der Sex mit der Ex, lebenslang verkörpert auf zwei Beinen, manchmal sogar vier oder sechs, mitten in unserem Wohnzimmer. Vor dem Mann jammern geht auch nicht. Denn das hat ja schon seine Ex gemacht. Überhaupt: Sich laut über die Ex zu beschweren, ist ein gesellschaftliches Tabu. Denn auch wenn die Alleinerziehenden nicht allein sind, wollen wir natürlich nicht an ihrer Stelle sein. Zu unfair sind noch immer die finanziellen und gesellschaftspolitischen Umstände für getrennte Frauen. Also wohin mit unserem Frust über den familiären Flickenteppich?

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Am besten drunterkehren. Denn noch größer als unser Schicksal ist unsere Scham. Während getrennte Mütter endlich laut ihre Rechte einfordern, schweigen wir uns immer noch aus über den Stress durch Besuchswochenenden und die Befehle einer anderen Frau, denen unser eigener Mann gehorcht. Lieber wird schnell versichert, dass es „total super“ läuft und das Kind aus der anderen Beziehung des Ehemannes je nach Alter „supersüß“ ist oder „fast wie eine Freundin“!

Als mir mein heutiger Mann wenige Wochen nach unserem Kennenlernen von der ungeplanten Schwangerschaft mit seiner zukünftigen Ex-Freundin erzählte, wollte ich die beste Stiefmutter der Welt werden. Nun ist es nicht ganz einfach, auch nur eine stinknormale Stiefmutter zu sein. Denn die neue Freundin eines Vaters steht immer im Schatten seiner Vergangenheit.

Ein Abend mit seinen alten Freunden wird zum Bewerbungsgespräch

Ein Abend mit seinen alten Freunden wird da schon mal zum Bewerbungsgespräch: Der Tausch meines Mannes muss sich doch gelohnt haben! Ich muss die Verbesserung sein. Wenn wir seine alten Bekannten treffen, will ich so nett sein, dass sie denken: „Ich kann seine Entscheidung verstehen.“ Das ist besonders schwierig, wenn man wie mein Mann aus der Provinz kommt, wo die Beziehungen mit den Weggezogenen vorrangig auf dem Rückblick beruhen.

Eine Reise ohne das Stiefkind wird schnell zum Egotrip erklärt.
Eine Reise ohne das Stiefkind wird schnell zum Egotrip erklärt.

© imago

„Wirklich sehr schade mit euch beiden“, wurde er begrüßt, als er mich der alten Clique zwei Jahre nach der Trennung vorstellte. Ich trug das gemeinsame Kind von „den beiden“ demonstrativ auf meinem Arm. Fest entschlossen, damit auch den offenen Berliner Geist nach Süddeutschland zu tragen. Ich trug schwer daran. „Euch beide“, das waren hier nicht wir.

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Ein Jahr später machten wir wieder dort Zwischenstopp nach unserer ersten gemeinsamen Frankreichreise. Bei Pfälzer Riesling erzählten wir mit der Ungeniertheit von Verliebten detailfreudig von Badestränden und Bouillabaisse, als eine Bekannte meinen Mann unvermittelt fragte: „Wie geht's eigentlich deiner süßen Tochter?“ Deiner Tochter. Ich war raus. Diese Frage erklärte unsere Reise zum Egotrip.

Die beste Stiefmutter der Welt? Aline von Drateln hält sich längst für gescheitert.
Die beste Stiefmutter der Welt? Aline von Drateln hält sich längst für gescheitert.

© Christobal

Immer schwingt Oberflächlichkeit mit

Ältere Rechte herrschen in vielen Patchworkfamilien. Vereinbarungen, die getroffene wurden, als „die Neue“ noch nicht dabei war. Aber wir Stiefmütter sind nicht auf ewig diejenigen, die neu dazugekommen sind. Wir sind ein gleichwertiger Teil der Familie. Die Ex fährt zwar nicht mit in den Urlaub. Aber sie bestimmt, wann er stattfindet. Wegen der Terminabsprache. Das gibt Abzug auf der Romantik-Skala.

Auch wenn wir uns nicht mit anderen Stiefmüttern formieren, sollten wir wagen zu sagen, wer und was wir sind. In den Köpfen der alten Freunde werde ich wohl noch als Greisin neben meinem Mann „die Neue“ sein. Dabei wäre ich schon jetzt gerne einfach „seine Alte“. Nicht seine zweite Frau. Wer liebt, will die Nummer eins sein.

„Neu“ klingt zwar edel. Schön unbenutzt und noch nix kaputt dran. Aber dabei schwingt auch immer Oberflächlichkeit mit. Als wäre es nur eine Frage der Zeit, bis auch diese Partnerin ihren Reiz verliert. Für die anderen bin ich die Neue und für viele werde ich es immer sein. Auch wenn ich heute schon drei Mal so lang mit meinem Mann zusammen bin, wie er es mit seiner Ex war.

Aline von Drateln, selbst Scheidungskind, wuchs mit Mutter, Stiefvater und insgesamt vier Schwestern und Halbschwestern auf. Mit 24 wurde sie unerwartet Stiefmutter, als ihr heutiger Ehemann neun Monate nach ihrem Kennenlernen ein Kind von seiner Ex bekam. Mittlerweile haben sie noch zwei gemeinsame Kinder.

Alle 14 Tage erzählt sie im Tagesspiegel von der Zerreißprobe Patchwork: Wie es sich anfühlt, ein Leben lang „die Neue“ zu sein, weshalb sie daran gescheitert ist, die beste Stiefmutter der Welt sein zu wollen – und sich wundert, dass es zwar „Familienväter“ gibt, aber keine „Familienmütter“.

Lesen Sie hier Folge 1: Blut ist dicker als Wasser? Deswegen schwimmen wir noch lange nicht im gleichen Viren-Pool!

Lesen Sie hier Folge 2: Von wegen böse Stiefmutter - Aschenputtel!

Aline von Drateln

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