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Aline von Drateln, Mutter vom Kollwitzplatz.

© Christobal

Für immer die NEUE (2): Von wegen böse Stiefmutter - Aschenputtel!

Die Kinder der Ex unseres Mannes lieben uns natürlich nicht so wie ihre eigene Mutter. Aber wir sollen gefälligst „mit dem Herzen“ dabei sein. Eine Kolumne

Stiefmütterchen waren für mich lange Zeit kleine Blumen auf Friedhöfen in Gelb und Lila. Als ich etwa sieben Jahre alt war, erklärte mir meine Großmutter, der Name käme von dem bösen Gesicht in der Mitte. Ich war bestürzt. „Stief“ kam für mich von Stiefel oder so. Und „Mütterchen“? Klingt total harmlos.

Dabei weiß jede Stiefmutter, dass es eben nicht nur Märchen sind, die uns die Brüder Grimm da lehren.

Märchenhaft wäre es doch vielmehr, wenn das Klischee über Patchworkfamilien in Kinderbüchern seit Generationen so lautete: „Und als der Vater eine neue Frau heiratete, wurde das Kind doppelt glücklich, weil es jetzt zwei tolle Frauen in seinem Leben hatte, von denen es lernen konnte, tolerant und großmütig zu sein.“

Die Kinder vom Ex seiner Freundin nennt er lässig „Beutekinder“

Die Erwartung an die Stiefmutter ist dennoch unrealistisch. Natürlich lieben uns die Kinder der Ex unseres Mannes nicht so, wie sie ihre eigene Mutter lieben. Von uns hingegen wird genau das erwartet: diese Kinder anzunehmen, als wären sie unsere eigenen.

Ein komplizierter Anspruch auf weibliche Selbstlosigkeit. Von Stiefvätern ist in Märchen übrigens nie die Rede. Kein Wunder: im echten Leben ja auch nicht.

Die neuen Männer der Mütter, die ich in Berlin kenne, sind für die Kinder immer irgendetwas zwischen „Typ“ und „Kumpel“. Die Kinder vom Ex seiner Freundin nennt er lässig „Beutekinder“. Ein Name wie ein Gewinn.

Wenn ein Stiefvater mit den Kindern Fußball spielt, jubelt das Publikum noch lange nach dem Match.
Wenn ein Stiefvater mit den Kindern Fußball spielt, jubelt das Publikum noch lange nach dem Match.

© Uwe Anspach/dpa

Wenn ich von der Tochter meines Mannes mit seiner Ex als mein „Beutekind“ sprechen würde, klänge das nach ungerechtfertigter Bereicherung: Dann wäre ich die Frau, die eine andere die Mühen der Schwangerschaft hat tragen lassen, um sich selbst schlank und ausgeschlafen mit dem fremden Kind zu schmücken.

Die eine hat den Mann, die andere das Mitleid

Wenn ein Stiefvater mit seinen Stiefkindern am Wochenende Fußball spielt, jubelt das Publikum noch lange nach dem Match. Denn bei einem Mann reicht es völlig, wenn er sich mit dem Nachwuchs „beschäftigt“.

Die neue Frau dagegen muss gefälligst „mit dem Herzen“ bei der Sache sein, nicht nur mit dem Fuß. Sonst ist sie schnell die böse Stiefmutter. Ein Stiefvater hingegen eben nur etwas faul.

Die Stiefmutter im Märchen ist immer die Täterin. Die Alleinerziehende im echten Leben schnell das Opfer. Die eine hat den Mann, die andere das Mitleid.

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Wie sähe wohl die Blume aus, die man auf den Namen „Alleinerziehende“ tauft? Vermutlich eine Hängepflanze, winterhart. Und Pflanze „Ehefrau“? Immergrün, natürlich!

Die neue Frau hat nämlich den Stress, in der Ménage-à-trois die Entspannte sein zu müssen. Das war schließlich ihre Rolle, als sie den Mann kennengelernt hat. Einer Patchworkfamilie geht nun mal immer eine gescheitere Beziehung voraus und es war ja die Leichtigkeit der Verliebtheit, für die der hohe Preis einer Trennung gezahlt wurde. Wer keine Mogelpackung sein will, gibt also dauerhaft ihr Bestes.

Uns unterstellt man Hass

Aber was zum Teufel dürfen wir Stiefmütter denn sein, außer lieb und nett? Klar, das ist der Anspruch an jedes Elternteil. Aber während bei müden Müttern viel Verständnis für Überforderung aufgebracht wird, unterstellt man uns gleich Hass. Den es zweifelsohne auch gibt. Für den wir uns schämen. Und ihn nie zugeben dürften. Denn „das Kind kann ja nichts dafür“.

Wenn ich mit der Tochter meines Mannes irgendwo bin, versuche ich geduldig und mütterlich zu sein, ohne Mutter zu spielen – denn das wäre ja der echten Mutter gegenüber respektlos!

Die beste Stiefmutter der Welt? Aline von Drateln hält sich längst für gescheitert.
Die beste Stiefmutter der Welt? Aline von Drateln hält sich längst für gescheitert.

© Christobal

So wie mein Geschenk zum 15. Geburtstag: ein paar High Heels von mir, die das Mädchen lange bewundert hatte, das ich nun zum Geburtstag fünf Zentimeter höher leben lassen wollte. In seinem anderen Zuhause, in Kreuzberg, war man not amused.

Eine getrennte Mutter aus meinem Freundeskreis erklärte mir, dass dieses Accessoire womöglich sogar als Symbol verstanden werden könne, die Heranwachsende solle in meine Fußstapfen treten. Die Waffen einer Männerjägerin.

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Zum 16. gab´s was Unverfänglicheres. Ein Buch. „Stolz und Vorurteil“.

Vielleicht sind wir nicht die böse Stiefmutter aus dem Märchen, sondern in Wirklichkeit das Aschenputtel? Versuchen unermüdlich, die Scherben vom zerschlagenen Geschirr einer anderen Beziehung aufzulesen, und zwar ohne viel Aufhebens.

Aline von Drateln, selbst Scheidungskind, wuchs mit Mutter, Stiefvater und insgesamt vier Schwestern und Halbschwestern auf. Mit 24 wurde sie unerwartet Stiefmutter, als ihr heutiger Ehemann neun Monate nach ihrem Kennenlernen ein Kind von seiner Ex bekam. Mittlerweile haben sie noch zwei gemeinsame Kinder.

Alle 14 Tage erzählt sie im Tagesspiegel von der Zerreißprobe Patchwork: Wie es sich anfühlt, ein Leben lang „die Neue“ zu sein, weshalb sie daran gescheitert ist, die beste Stiefmutter der Welt sein zu wollen und sich wundert, dass es zwar „Familienväter“ gibt, aber keine „Familienmütter“.

Lesen Sie hier Folge 1: Blut ist dicker als Wasser? Deswegen schwimmen wir noch lange nicht im gleichen Viren-Pool!

Aline von Drateln

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