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Protest gegen das Karlsruher Abtreibungsurteil im Jahr 1993.

© picture-alliance / dpa/Nestor Bachmann

„Mein Bauch gehört mir“ : Seit drei Jahrzehnten sind Abtreibungen straflos – reicht das?

Seit mehr als 150 Jahren sind Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland verboten, von Ausnahmen abgesehen. Nun will die Ampel-Koalition die Lage grundlegend ändern.

1 Langer Kampf

Kopfschüttelnd blicken viele Menschen dieser Tage in Richtung USA, wo in einem Bundesstaat nach dem anderen das Abtreibungsrecht verschärft wird. Und vergessen dabei allzu oft, dass es auch in Deutschland noch gar nicht lange her ist, dass Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornahmen, bestraft wurden.

Seit 1871 stellte der Paragraf 218 des Strafgesetzbuches Abtreibungen grundsätzlich unter Strafe. Angedroht wurden bis zu fünf Jahre Zuchthaus, mindestens aber sechs Monate Gefängnis.

Schon in der Weimarer Zeit gab es eine heftige Debatte um das Thema Abtreibung, linke Frauen aus der Arbeiterbewegung gingen gegen das Verbot vor. Später bekämpften die Nazis die Abtreibung, stellten sie unter Todesstrafe, wenn es um „hochwertiges“ Leben ging, nahmen sie aber selbst aus rassistischen Motiven vor oder um aus ihrer Sicht erbgesundheitlich „minderwertiges“ Leben zu verhindern.

100 Jahre nachdem der Abtreibungsparagraf in Kraft trat, bekannten 374 Frauen im „Stern“, abgetrieben zu haben, darunter Stars wie Senta Berger und Romy Schneider. Damals ein riesiger Skandal.

1974 stimmte der Bundestag mit einer knappen Mehrheit für eine Reform des Paragrafen. Demnach war der Abbruch einer Schwangerschaft in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten straffrei, wenn er von einem Arzt nach vorheriger Beratung vorgenommen wurde.

Doch das Bundesverfassungsgericht stoppte die Neuerung, weil es die Regelung zur Frist für verfassungswidrig hielt. 1976 verabschiedete der Bundestag eine Reform, die den Schwangerschaftsabbruch zwar verbot, aber Ausnahmen ermöglichte – unter anderem aus medizinischen Gründen.

2 Recht und Unrecht

Mit der Wiedervereinigung 1990 entflammte die Diskussion um Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs erneut, denn in der DDR durften Frauen in den ersten zwölf Wochen frei über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden.

1992 beschließt der Bundestag eine Reform, es wird eine Pflichtberatung eingeführt. Nach dieser soll der Abbruch in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft straffrei bleiben. Am 28. Mai 1993 kippt Karlsruhe das Modell des Gesetzgebers erneut. Die Begründung des höchsten Gerichts: Das Grundgesetz verpflichte den Staat, das ungeborene Leben zu schützen.

Der Schwangerschaftsabbruch gilt seither grundsätzlich als Unrecht. Nach einer Beratung darf der Abbruch nach einer eingehaltenen „Überlegungsfrist“ von drei Tagen in den ersten zwölf Wochen zwar „straflos“ bleiben, gilt aber weiter als rechtswidrig, also als Verstoß gegen die Rechtsordnung.

Trotz Straffreiheit bleibe ein Stigma, kritisieren Feminist:innen seit Jahrzehnten, das Thema bleibe tabuisiert und in der „Schmuddelecke“. Und das, obwohl in Deutschland pro Jahr rund 100.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden.

3 Neue Bewegung

Im Juni 2022 gibt es einen echten Durchbruch: Der Bundestag kippt – ohne die Stimmen von CDU/CSU und AfD das Werbeverbot für Abtreibungen. Bis dahin hatte § 219a Strafgesetzbuch das Verbot geregelt.

Die Ärztin für Allgemeinmedizin Kristina Hänel, die in ihrer Praxis Abtreibungen durchführt, war nach 219a Strafgesetzbuch angeklagt und zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Ihr reicht der Wegfall des Werbeverbots nicht. Der Eingriff gehört zur medizinischen Versorgung, sei aber gleichzeitig strafrechtlich verboten, kritisierte Hänel die aktuelle Lösung im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Wenn Ärzt:innen für diesen Eingriff fast ins Gefängnis gesteckt werden, wollen sie es natürlich nicht machen.“ Die Strafbarkeit sei auch ein Grund dafür, dass die Abtreibung im Medizinstudium bislang an vielen Unis nicht behandelt werde.

Die Ampel-Koalition überlegt nun, den Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Im Koalitionsvertrag steht, sie habe sich vorgenommen, „Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs“ zu prüfen.

18 Expertinnen und Experten, darunter Jurist:innen, Ärzt:innen und Medizinethiker:innen, sind nun in einer „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ und sollen zu dem Thema arbeiten. Wie lange sie zusammensitzen werden, ist nicht bekannt. Während SPD und Grüne sich für die Straflosigkeit der Abtreibung aussprechen, sind CDU und FDP gegen die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen.

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