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Sven Lehmann mit einem Praunheim-Poster.

© privat

Sven Lehmann gratuliert Rosa von Praunheim: „Du wolltest nie Anpassung, sondern Akzeptanz“ 

Der legendäre schwule Filmemacher Rosa von Praunheim wird 80. Hier schreibt ihm der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, einen persönlichen Geburtstagsgruß.

Von Sven Lehmann

Lieber Rosa!
Zu Deinem 80. Geburtstag verdienst Du nicht nur aufrichtige Glückwünsche, sondern meinen ganz persönlichen Dank. Denn ohne Dich gäbe es mich vielleicht nicht – ganz sicher nicht als Queer-Beauftragten einer Bundesregierung.

1971 erschien einer Deiner bekanntesten Filme: „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. Zu einer Zeit als Homosexualität gerade mal zwei Jahre nicht mehr vollständig verboten war. Zu einer Zeit als Sittenpolizeien und staatlichen Autoritäten homosexuelle Männer und Frauen unnachgiebig und brutal verfolgt hatten. Zu einer Zeit als Lesben und Schwule allerhöchstens versteckt, angepasst, verborgen leben durften, in ständiger Angst denunziert zu werden und alles zu verlieren.

Dein Film änderte alles. Er ging hart mit der Angepasstheit schwuler Männer ins Gericht und rief sie zum Aufstand auf. Er stiftete Unruhe und gab den Anstoß für Emanzipationsgruppen und Aktionen in ganz Deutschland, für die ersten CSDs und auch für den Marsch durch die Institutionen. Du wolltest und willst keine Anpassung, sondern Akzeptanz. Das Private war für Dich immer politisch.

Deine kontroverseste Aktion war sicherlich das Outing von Hape Kerkeling und Alfred Biolek 1991 im deutschen Fernsehen. Auf dem Höhepunkt der Aids-Krise wolltest Du mit dem Outing von zwei prominenten und beliebten Männern Solidarität erzwingen. Eine Welle des Hasses schwappte über Dich.

Auch wegen Deines gesamten politischen Wirkens seit dem Aufkommen von HIV und Aids. Viele schwule Männer wollten sich die hart erkämpften Freiheiten nicht nehmen lassen und wehrten sich gegen neue Vorschriften und Zwänge für ihr Sexleben. Du bist innerhalb der Community in den Streit gegangen, hast schon früh zu Safer Sex und Vorsicht aufgerufen und damit vielleicht vielen Menschen das Leben gerettet.

Als wir uns bei einer Filmvorführung in Köln zum ersten Mal trafen, kamst Du auf mich und eine Gruppe von Männern zu und fragtest unverblümt: „Hallo, und wer hat hier mit wem Sex?“ Ich war peinlich berührt, was Dich wahnsinnig amüsierte. Du hast den Abbau von Tabus zum politischen Programm erhoben und findest über Deine Filme, Deine Gedichte, Deine Kunst eine Sprache für das Schambehaftete. Und so überwindest Du die Sprachlosigkeit für uns alle.

 Dein Leben und Dein Werk sind subversiv und radikal.

Sven Lehmann

Durch jahrhundertlange Abwertung gehören Scham und Stigma zu den Hauptgründen dafür, dass LSBTIQ* überdurchschnittlich oft zu Depressionen und Angsterkrankungen neigen. Die Überwindung von Scham, das Finden einer wertschätzenden und positiven Sprache für unser So-Sein ist folglich auch ein Beitrag zu unserer mentalen Gesundheit.

Und unser So-Sein, in all unserer Vielfalt und Exaltiertheit, hast Du immer wieder wertschätzend zum Thema gemacht. Mit Lotti Huber, Evelyn Künneke oder Luzi Kryn bist Du ein Meister der expressiven und exzentrischen Frauenfiguren. Mit Ichgola Androgyn, Charlotte von Mahlsdorf, Tima der Göttlichen oder Eva & Adele hast Du trans, nicht-binären und genderfluiden Menschen eine Stimme und eine Bühne gegeben.

Vor allem aber begeistert mich an Dir, wie sehr Du dem Kleinbürgerlich-Alltäglichen einen künstlerischen Wert beimisst. Das kleinbürgerliche Leben stecke „voller wahnsinniger Extreme, voller irrer bunter Differenziertheiten“, schreibst Du in Deinem Buch „Sex und Karriere“.

Und damit hast Du schon früh den Nagel auf den Kopf getroffen. Es gibt eben nicht „die Normalen“ auf der einen und „die Queeren“ auf der anderen Seite. Vielmehr steckt Vielfalt und Buntheit in jedem Lebensentwurf. Und damit ist auch jeder Lebensentwurf eine Abweichung von heteronormativen Vorgaben, die uns letztlich alle einengen.

Lieber Rosa, Dein Leben und Dein Werk sind subversiv und radikal, sind voller Empathie und voller Aufruhr, abgedreht und lebensnah. Dein Leben und Werk haben auch mich geprägt und politisiert. Dafür von Herzen: Danke! Dein Sven

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