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Schwuler Sex im geretteten Film „Closes“ von Pedro Nunes aus dem Jahr 1982.

© Cinelimite

Queere Super-8-Filme beim Restored Festival: Beharren auf der Sichtbarkeit des Verbotenen

Die Deutsche Kinemathek zeigt auf ihrem Filmerbe-Festival im Berliner Arsenal-Kino zwei schwule Filme aus dem Brasilien der achtziger Jahre, die vor dem Verschwinden gerettet werden konnten.

Eine Nachtszene: Zwei Männer küssen sich in Schwarzweiß, weiße T-Shirts und Unterhosen leuchten, die darunter liegenden Körperpartien strahlen bald ebenso weiß auf, explizite Körperakzente in Bildern, in denen sonst kaum etwas zu erkennen ist.

Eine Szene, bei der die Prekarität des Gezeigten ins Material eingeschrieben ist: ein küssendes nacktes Männerpaar in Brasilien, 1982, während der Militärdiktatur, im öffentlichen Raum – sowas kann man nur nachts drehen, wenn es keiner sieht, auf Super 8, billigem und jedem zugänglichem Material.

Und das sieht, 40 Jahre später, mühsam digitalisiert von halbverfallenen Filmrollen, dann so aus: völliger Farbverlust, Unschärfen, Kratzer. Aber eben auch: leuchtende Ärsche, Mondlichtreflexe auf Schultern, ein kurzer Flash von Innigkeit und verschmelzenden Körpern, gerettet aus dem Material, aus der Zeit, aus schmerzhaften Phasen der öffentlichen Geringachtung dieser Liebe.

„Absence“ ist das Motto des diesjährigen Filmerbe-Festivals der Deutschen Kinemathek im Kino Arsenal, es umkreist Leerstellen, Lücken, Verluste als Kehrseite der Bilder, die wir sonst auf Leinwänden zu sehen gewohnt sind. In diesem Festival gibt es ein Programm, das aus queeren Filmdokumenten aus dem brasilianischen Bundesstaat Paraíba, zusammengestellt ist, gedreht in den frühen 1980ern.

Der Farbverlust in der beschriebenen Szene aus „Closes“, einem aktivistischen Kurzfilm, der Bilder der Liebe verachtenden Aussagen von Menschen auf der Straße gegenüberstellt, führt darin unmittelbar sinnlich vor Augen, was bei solchen Filmrettungsaktionen auf dem Spiel steht: gäbe es diese so gerade noch erkennbare Nachtszene mit den leuchtenden Körperfragmenten nicht, blieben nur die homofeindlichen Aussagen übrig, gedreht am Tag, vor aller Augen, bei gutem Licht, wahrscheinlich so auch in jedem brasilianischen TV-Archiv zu finden.

Die Restaurierung von „Closes“ ist mehreren Initiativen zu verdanken, die in Brasilien sowohl der Geringachtung des eigenen Filmerbes, wie auch der Ignoranz gegenüber marginalisierten Stimmen in den etablierten Medien etwas entgegensetzen. Das Projekt „Digitalização Viajante“ ist mit einem mobilen Digitalscanner auf der Suche nach dezentral gelagerten Super8- und 8mm-Rollen unterwegs, findet dabei Dokumente der Gegenöffentlichkeit wie „Closes“.

Ein schwuler Mann vor Gericht

Die Bilder, die Regisseur Pedro Nunes für seine Liebeserklärung an die freie, auch homosexuelle, Liebe 1982 gefunden hat, klandestin gedreht, aus weiter Entfernung auf der Straße oder nachts, beharren auf der Sichtbarkeit des Verbotenen. Und in die homofeindlichen Statements der Bürger*innen hat er Stimmen von Aktivist*innen eingeschmuggelt, die das Verhältnis von Mehr- und Minderheit in den Meinungen verschieben.

Der Vertrieb des Films erfolgt über die Non-Profit-Organisation „Cinelimite“, die auf der Berlinale im Februar bereits mit „A Rainha Diaba“ einen frisch restaurierten Sexploitation-Film aus der Militärdiktaturzeit präsentierte, in dem eine Drag Queen die Unterwelt von Rio de Janeiro beherrscht.

Die Initiative wurde mit privatem Geld von Filmenthusiasten aus den USA gegründet zu einem Zeitpunkt, als die Bolsonaro-Regierung gerade dafür sorgte, dass die Brasilianische Kinemathek schließen musste. Ideologische Rehabilitation der Militärregierungszeit und die Vernachlässigung des Filmerbes gingen dabei Hand in Hand.

Der zweite Film des Programms, „Baltazar da Lomba“, führt uns an die Anfänge der Repression, in die Kolonialzeit und zu den ersten Dokumenten staatlicher und kirchlicher Diffamierung von anders Liebenden. In wilden Parallelmontagen stellt das Kollektiv „Nos Tambén“ („Wir auch“) Szenen nach, die vorgeblich zeigen wollen, wie einem Mann wegen seiner Homosexualität der Prozess gemacht wird.

In den Fokus des restaurierten Materials gerät aber, neben Impressionen der offenbar spaßigen Dreharbeiten, eine lange schwule Sexszene: in grellen Farben, zu wilder Musik, auf quasi erigiertem Super 8. Auch hier wird eine Lücke des Filmerbes gefüllt: die erotische Attraktion des zitternden, fragilen filmischen Materials.

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