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Queerdos steht für queere Weirdos. Foto: Roni Lugassi

© Foto: Roni Lugassi

Poesie-Kollektiv Queerdos: „Wir verwandeln queeres Trauma in queeres Drama”

Queerness ist vor allem dann gern gesehen, wenn sie laut, bunt und selbstbewusst ist. Das Queerdos-Kollektiv möchte hingegen die intimen Seiten zeigen: Trauer und Einsamkeit zum Beispiel.

Böse Zungen würden sagen, Queerness wäre in der Berliner Kulturlandschaft der letzten Jahre regelrecht zu einem Verkaufsargument geworden. Kaum eine Clubveranstaltung verkauft sich nicht als queer, überhaupt sind queere Ästhetiken schwer en vogue. Dabei ist Queerness vor allem eines: eine Lebensrealität. Und die ist nicht immer schön.

Das weiß auch das Berliner Kollektiv Queerdos. Mit Poesie und Spoken-Word-Performances bringen sie queeres Leben und alles was dazu gehört auf die Bühne. In unregelmäßigen Abständen veranstalten sie Lyrik- und Theateraufführungen.

„Queerness ist vor allem dann gerne gesehen, wenn es sich verkaufen lässt: Wenn es bunt, laut, selbstbewusst ist”, erzählt Cat Jugravu, Gründer:in von Queerdos. „Aber Queerness bedeutet eben auch Kummer und Leid.” Es geht um Einsamkeit und Tränen, wenn Queerdos auftritt. Aber auch um Leidenschaft und Sex.

Ihre Auftritte beschreibt das Kollektiv als „dirty“ und „messy“. Foto: Roni Lugassi
Ihre Auftritte beschreibt das Kollektiv als „dirty“ und „messy“. Foto: Roni Lugassi

© Fotos: Queerdos

Queerdos will sich Ästhetiken und Methoden zu eigen machen, die in etablierten Institutionen keinen Platz finden, vielleicht sogar als unangemessen empfunden werden. „Unsere Aufführungen sind oft messy und dirty“, erklärt Jenny, Künstler:in und bei Queerdos für Presse und Finanzen zuständig. „Bei uns soll man alles loswerden können, ohne Scham.“

Begonnen hat alles 2018. Auf einer Veranstaltung der Partyreihe Weeeirdos von der DJ Lolsnake trat Cat zum ersten Mal mit eigenen Gedichten auf. Rasch wurden daraus eine eigene monatliche Veranstaltung in der Kreuzberger Location Monarch. Queerdos sollte eine „dynamische Plattform für queere Kreativität mit transformativer Inklusivität” sein, heißt es auf der Website.

Nicky Miller bei einem Queerdos-Auftritt. Foto: Ema Discordant
Nicky Miller bei einem Queerdos-Auftritt. Foto: Ema Discordant

© Foto: Queerdos

Das Konzept: Alle Mitglieder bringt einen eigenen Text mit, der auf der Bühne vorgetragen wird, in welcher Form auch immer. Mittlerweile feiern sie bereits ihr fünfjähriges Jubiläum und zählen sechs feste Mitglieder, sowie zahlreiche weitere Künstler:innen, mit denen sie regelmäßig kooperieren.

Poetisches Striptease und kollektives Weinen

Dabei wollen sie vor allem den verborgenen Aspekten queerer Identitäten eine Stimme geben. „Wir werden oft als diese farbenfrohe, hyper-exzentrische, feiernde Community verkauft und natürlich möchte niemand gerne ein Downer sein”, erklärt Cat. „Doch in jedem Einzelnen von uns steckt so viel Trauer.”

Wird diese Trauer gemeinsam erlebt und nach außen getragen, wird sie besser erträglich, so die Idee. „Allein traurig zu sein, ist traurig. Gemeinsam traurig zu sein, gemeinsam zu weinen, ist hingegen schön”, findet Nicky Miller, Künstler:in bei Queerdos. „Wir verwandeln queeres Trauma in queeres Drama.”

Zwischen Spoken-Word-Performances und Theater: die Aufführungen von Queerdos. Foto: Roni Lugassi
Zwischen Spoken-Word-Performances und Theater: die Aufführungen von Queerdos. Foto: Roni Lugassi

© Foto: Queerdos

Genau in dieser Trauer sieht das Kollektiv ein verbindendes Moment. „Unsere Gemeinsamkeit liegt nicht darin, dass wir das gleiche Geschlecht lieben oder weil wir eine andere Geschlechtsidentität haben,” erklärt Cat. „Sondern, weil wir in ganz unterschiedlichen Orten die gleichen Formen der Unterdrückung erlebt haben.”

Leid als Gemeinsamkeit, eigentlich eine traurige Feststellung. Bei Queerdos wird das in etwas Produktives umgewandelt.

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Persönlich wird es trotzdem. Jenny, Künstler:in und bei Queerdos unter anderem für Presse und Finanzen zuständig, bezeichnet seine:ihre Kunst als politisches Striptease. Manchmal verwendet Jenny Ausschnitte aus dem eigenen Tagebuch. Nicht selten würden dabei Tränen fließen. „Dabei legen es die Texte gar nicht unbedingt darauf an, traurig zu sein“, sagt sie. „Um Menschen zu berühren, reicht es oft, einfach nur von den eigenen Erfahrungen zu erzählen.“

Zum Beispiel über das Aufwachsen als queerer Teenager, über die Einsamkeit, die Scham. Nicht selten wird bei den Auftritten geweint. Kollektives Weinen nennt Jenny das. Ein heilsamer Prozess, Trauer soll in Gemeinschaft verwandelt werden.

Überall werden rechte Regierungen gewählt. Für uns als queere Menschen ist das ein Desaster.

Cat Jugravu

Der Ansatz ist notwendiger denn je. Denn die Situation von queeren Menschen verschlechtert sich weltweit: „Schaut euch den Backlash gegenüber trans Menschen in den USA an“, so Cat. „Wir sind nicht sicher.“ Auch hier, in Europa, sei die Lage prekär. „Überall werden rechte Regierungen gewählt. Für uns als queere Menschen ist das ein Desaster.“

Doch nicht nur politisch und inhaltlich ist das künstlerische Schaffen zehrend. Immer wieder kämpft das Kollektiv um die Finanzierung seiner Arbeit. Seit Jahren bewirbt Queerdos sich auf Förderungen, in Berlin blieb das jedoch bisher erfolglos. So bleibt es eine Arbeit von der Hand in den Mund, alle Mitglieder haben andere Jobs nebenher. „Wir würden uns wünschen, etwas mehr Unterstützung zu erfahren und dass unsere Arbeit gesehen wird“, erklärt Jenny. „Denn unsere Arbeit ist wirklich wichtig. Gerade jetzt.“

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