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Person mit Flagge, die nicht-binäre Menschen symbolisiert.

© Foto: IMAGO/MASKOT

Geschlechtsansgleichung: Gesetz soll Erstattung für trans Menschen sichern

Die Regelungsaufforderung des Bundessozialgerichts zu Operationen bei nicht-binären trans Personen macht eine Gesetzeslücke sichtbar.

Ein Zustand, der keine Krankheit ist, der aber dennoch (oft kostspielige) Eingriffe erfordert – für Krankenkassen und Medizinischen Dienst (MD, früher MDK) sind Transidentität und Genderdysphorie zwei komplizierte Erstattungsfelder. Durch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Oktober dieses Jahres, demzufolge eine Brustentfernung bei nicht-binären trans Menschen eine „neuartige Behandlung“ ist und vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) neu zu regeln, ist ein Gesetzgebungsdruck für ein rechtliches Vakuum entstanden, das zuvor durch höchstrichterliche Urteile und der Praxis des MD ausgefüllt wurde.

„Es gibt viele positive Entwicklungen in der Gesundheitsversorgung von trans Menschen“, sagte der Queerbeauftragte der Bundesregierung Sven Lehmann bei einer Veranstaltung zur Gesundheitsversorgung von trans Menschen unter Federführung der Grünen-Abgeordneten Tessa Ganserer am Freitag.

Lehmann nannte als Positivbeispiele das Verbot von Konversionstherapie, die Entpathologisierung von Transdentität in der kommenden Ausgabe des ICD-Diagnosehandbuchs, das im Koalitionsvertrag verankerte Selbstbestimmungsgesetz und nun das Schreiben des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (GKV-SV) in Bezug auf das BSG-Urteil. Ihm zufolge sollen bereits laufende Behandlungen, genehmigte und auch zukünftige Anträge nicht abgebrochen, zurückgenommen oder abgelehnt werden und der MD bei seiner bisherigen Begutachtungspraxis bleiben soll.

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Allerdings gebe es erste Berichte über zurückgezogene Bewilligungen und negative Bescheide, so Ganserer. Der Psychiater und Experte für Genderdysphorie, Georg Romer, von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie am Universitätsklinikum Münster sprach sogar von einer „heterogenen Verteilung von Willkür durch Kassen und MDKs“ bei der Beurteilungspraxis.

„Zwangstherapie“ für Begutachtung?

Das Dilemma liegt in der Klassifizierung von Transidentität: Bis 1991 als „sexuelle Abweichung“, global teilweise bis heute als Delikt oder Straftat und durch das aktuell gültige ICD-10 immer noch als psychische Störung unter dem Begriff „Transsexualität“ klassifiziert, haftet ihr die Idee der Therapierbarkeit an.

Hinzu kommt, dass eine reine Transidentität nicht immer gleich Leidensdruck, also eine Genderdysphorie, bedeutet und nach S3-Leitlinien auch nicht bedeuten muss, so Sabine Maur, Vize-Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK).

Diese Maxime gilt allerdings erst mit der Einführung des ICD-11, das aber erst in mehreren Jahren Eingang in die deutsche Verschlüsselungspraxis finden wird. Psychiater:innen und Psychotherapeut:innen behandeln Maur zufolge häufig trans Menschen wegen ihrer Begleiterkrankungen, etwa Minoritätenstress, Depressionen, Angsterkrankungen oder Suizidalität.

Der S3-Leitlinie, also der harmonisierten Behandlungsleitlinie der Fachgesellschaften, zufolge, dürfen aber weder Leidensdruck noch eine Psychotherapie zur Voraussetzung für Behandlungen wie Hormontherapie oder operative Eingriffe gemacht werden.

Tessa Ganserer sitzt für die Grünen im Bundestag.
Tessa Ganserer sitzt für die Grünen im Bundestag.

© Imago Images

Dem entgegen steht die Begutachtungsanleitung des Medizinischen Dienstes, die bei Anträgen für Kostenübernahme bei Operationen greift. „Sie stellt uns vor berufsethische Probleme, weil sie im Widerstreit mit dem fachlich-medizinischen Wissensstand steht, die Patienten- und Berufsautonomie von uns Therapeutinnen missachtet“, so Maur.

Konkret stört sie sich an der Formulierung, dass medizinische Eingriffe als ultima ratio gesehen würden. Zuerst sei eine psychotherapeutische Behandlung anzusetzen, die eventuell den Leidensdruck mindern und geschlechtsangleichende Behandlungen eventuell unnötig machen könne.

„Dass mindestens zwölf psychotherapeutische Sitzungen vorgeschrieben sind, das gibt es in der ganzen Psychotherapie nicht“, so Maur. Kerstine Haid, Leitende Ärztin beim MD Bund, erklärt, dass die zwölf Sitzungen, die einer Kurzzeittherapie entsprechen, die niedrigste Einheit seien, die man ansetzen könne.

Schwierig sei auch, so Maur, dass betreuende Therapeut:innen häufig als Gutachter:innen fungierten, weil sie ihren Patient:innen die Suche nach und das Vorstelligwerden bei neuen Therapeut:innen nicht zumuten wollten. Fachlich ideal sei diese Rollenüberschneidung nicht. Die Leitlinie stelle klar: „Wir dürfen Transidentität nicht behandeln, weil sie keine Krankheit ist“, so Maur.

Genau das aber stellt den MD und den G-BA vor Probleme, denn vor allem operative Eingriffe werden in der Regel nur erstattet, wenn ein krankhafter körperlicher Zustand vorliegt. In einen vermeintlich gesunden Körper einzugreifen, ist rechtlich kompliziert, aber nicht unmöglich. „Wir hätten gerne gesetzliche Klarheit und würden gerne gar nicht erst in die Situation kommen, begutachten zu müssen“, so Haid. Das aktuelle BSG-Urteil betrifft dabei keine kleine Gruppe, laut Maur sind 30 bis 40 Prozent der trans Menschen nicht-binär.

Analogie zur künstlichen Befruchtung?

Die Juristin Anke Harney hat zu diesem Thema mit ihren Kolleg:innen Stefan Huster und Friederike Kohlenbach einen Artikel verfasst, der die unterschiedlichen Auffassungen des Bundessozialgerichts und des MD analysiert und Regulierungsmöglichkeiten auslotet.

Der Konflikt liege in den unterschiedlichen Ausgangspunkten der Sozialgerichte und des MD, so Harney in ihrem Vortrag: Der MD geht davon aus, dass eine Krankenbehandlung zur Linderung einer Krankheit notwendig ist und vor einem operativen Eingriff andere Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen sind. Diese Auffassung steht in starkem Gegensatz zu gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie der Rechtssprechung. Einschlägige Urteile nehmen ihren Ausgangspunkt nicht im Krankheits- und Heilungsbegriff, sondern in der Annahme, dass Leid besteht oder droht, wenn operative Eingriffe unterbleiben.

Dieses Spannungsverhältnis wurde bisher meist in der Praxis durch Sozialgerichtsurteile und die letztendliche Bewilligung aufgelöst, wobei laut Romer die Bewilligungspraxis den Betroffenen oft durch Ablehnungen und Widerspruchsverfahren Steine in den Weg lege. Das BSG stuft die „partizipative Entscheidungsfindung“ zwischen Patient:innen und Therapeut:innen aber als „neuartig“ und damit als regulierungsbedürftig ein.

Aus psychotherapeutischer Perspektive sei eine partizipative Entscheidungsfindung bei der Behandlung zwar nicht neu, so Maur. Allerdings führt sie in der Praxis nicht zu so weitreichenden und kostspieligen Entscheidungen wie einer Operation. Problematisch ist außerdem die Verweisung an den G-BA, der in der Regel um die zweieinhalb Jahre braucht, bis eine Richtlinie in der Praxis umgesetzt ist und dem in diesem Fall schlicht die gesetzliche Grundlage fehlt.

Harney und ihre Mitautor:innen sehen in der Regulierung zur künstlichen Befruchtung im §27 SGB V einen Präzedenzfall, an dem man anknüpfen könne, etwa als §27 b oder c. Denn auch bei der künstlichen Befruchtung könne, müsse aber kein krankheitswertiger Zustand vorliegen, da die Diagnose einer krankheitswertigen Ursache keine Voraussetzung und Unfruchtbarkeit an sich keine Erkrankung ist.

In diesem Fall könnten zur Prävention von unerwünschten Zuständen, in diesem Fall der unerwünschten Kinderlosigkeit, Leistungen übernommen werden. „So kommt man weg von der Rechtsunsicherheit und Unterschiedsbehandlung“, sagt Harney.

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