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Trans und nicht-binäre Personen stoßen insbesondere im Gesundheitssystem auf große Hürden.

© IMAGO/MASKOT

„Die Eingriffe sind nicht kosmetisch, sie sind lebensnotwendig“: Die Trans-Gesundheitsversorgung steht auf der Kippe

Ein Urteil des Bundessozialgerichts löst Unsicherheit in der queeren Community aus: Ist die Kostenübernahme für geschlechtsangleichende Maßnahmen bei trans Personen gefährdet?

Es ist ein Urteil, das bei vielen queeren Personen Sorgen auslöst: Künftig könnten die gesetzlichen Krankenkassen die Übernahme der Kosten für geschlechtsangleichende Maßnahmen bei trans Personen aussetzen. Das geht aus einem Urteil des Bundessozialgerichts hervor.

Geklagt hatte die nicht-binäre Person Robin Nobicht – in der Hoffnung, dass nicht-binäre Personen künftig mit trans Personen gleichgestellt und ebenfalls die Kosten für geschlechtsangleichende Maßnahmen erstattet bekommen. Dazu zählt, wie im Fall von Nobicht, etwa die Mastektomie, also die Entfernung der Brüste.

Doch aus der mündlichen Urteilsverkündigung geht nun hervor, dass die Mastektomie „zur Behandlung eines durch eine Geschlechtsinkongruenz verursachten Leidensdrucks“ insgesamt in Frage gestellt wird, nicht nur bei nicht-binären, sondern ebenfalls bei binären trans Personen.

Eine Mastektomie kann den Leidensdruck senken

Ein Anspruch auf Kostenerstattung bestehe erst dann, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss, also Vertreter*innen der Ärzteschaft, Krankenkassen und Krankenhäuser, eine entsprechende Empfehlung abgegeben hätte. Dem Urteil zufolge sollen die Kosten für Behandlungen von trans Personen, die bereits begonnen haben, „aus Gründen des Vertrauensschutzes“ weiterhin übernommen werden. Wann eine Entscheidung des Ausschusses fällt, ist nicht abzusehen.

„Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts steht die Befürchtung im Raum, dass auch bei binären trans Personen bis zum Inkrafttreten einer neuen Richtlinie keine Kostenübernahmen für geschlechtsangleichende Maßnahmen bewilligt werden“, sagt Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans*. „Damit würde die Trans-Gesundheitsversorgung eingefroren. Das hätte schwerwiegende Folgen für die psychische Gesundheit der Betroffenen, denn geschlechtsangleichende Operationen sind keine kosmetischen Eingriffe. Sie sind lebensnotwendig.“

Robin Nobicht berichtet, dass es einen „extremen Leidensdruck“ auslöse, „wenn die Geschlechtsmerkmale am Körper nicht mit der eigenen Wahrnehmung übereinstimmen.“ Nobicht selbst habe immer schon das tief verankerte Gefühl gehabt, einen flachen Oberkörper zu haben. „Es war verstörend, wieder und wieder festzustellen, dass dem nicht so ist. Zumal eine Brust als weibliches Merkmal gilt und ich oft als Frau wahrgenommen und angesprochen wurde.“

Nobicht begann schließlich einen Binder zu tragen, der den Oberkörper flacher wirken lässt. Dieser schränkte Nobicht allerdings im Alltag ein, beispielsweise beim Sporttreiben. „Ich habe mich in dieser Zeit immer weiter zurückgezogen.“

In der Therapie setzte Nobicht sich intensiv mit der Frage auseinander, was operative Maßnahmen bedeuten. Dabei habe sich herausgestellt, dass eine Mastektomie mit hoher Wahrscheinlichkeit den Leidensdruck senken könne, so Nobicht. Daher stellte Nobicht einen Antrag zur Kostenübernahme für die Operation – allerdings ohne Erfolg. Die Kosten von über 5300 Euro musste Nobicht selbst tragen.

„Von der Gutachterin beim Medizinischen Dienst wurde mir mitgeteilt, dass ich als nicht-binäre Person keinen Zugriff auf diese OP habe.“ Deshalb entschied Nobicht sich dazu zu klagen. „Ich konnte es nicht auf mir sitzen lassen, dass ich die medizinisch notwendige Leistung selbst zahlen muss. Außerdem hoffte ich auf ein wegweisendes Urteil für andere nicht-binäre Personen.“

Langwieriges Verfahren bei der Kostenübernahme

Aktuell ist es in Deutschland so, dass geschlechtsangleichende Operationen bei gesetzlichen Krankenkassen beantragt werden müssen. Wird ein Antrag abgelehnt, ist es möglich, Widerspruch zu erheben. In der Regel bezahlen die Kassen das aber – zumindest für trans Personen, auch wenn sich die Bewilligung ziehen kann.

Der Bundesverband Trans* kritisiert die Regelungen für die Kostenübernahme schon seit längeren. Das Verfahren sei langwierig und betroffene Menschen müssten viele Unterlagen bei den Krankenkassen einreichen, so Hümpfner. „Über jeden Antrag wird einzeln entschieden. Obwohl Transgeschlechtlichkeit mittlerweile nicht mehr als psychische Erkrankung gilt, wird bei jedem Antrag geprüft, ob die Möglichkeiten von psychotherapeutischen Maßnahmen ausgeschöpft wurden.“

Dahinter stehe die Idee, dass Psychotherapie den Leidensdruck von Geschlechtsinkongruenz senken könne und geschlechtsangleichende Maßnahmen dadurch nicht mehr nötig seien. „Dabei zeigt die Empirie, dass vor allem geschlechtsangleichende Maßnahmen zuverlässig gegen das Unwohlsein mit dem eigenen Körper helfen.“

Binder können dabei helfen, dass die Brust flacher wirkt. Sie ersetzen aber keine Mastektomie.

© IMAGO/Pond5 Images

Bei nicht-binären Personen wie Robin Nobicht sah es bisher anders aus. Zwar ist es seit der Einführung der dritten Option im Jahr 2018 so, dass sie zwar den Geschlechtseintrag divers angeben oder den Geschlechtseintrag streichen lassen können. In den Regelungen für die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Maßnahmen werden sie bislang allerdings nicht berücksichtigt.

Robin Nobicht klagte deshalb gegen die Krankenkasse, nachdem diese den Antrag für die Kostenübernahme abgelehnt hatte. In erster Instanz ging der Fall vor das Sozialgericht Mannheim, das die Krankenkasse zur Kostenerstattung verurteilte.

Dagegen legte die Krankenkasse allerdings Berufung ein, sodass das Landessozialgericht Baden-Württemberg in zweiter Instanz zu Gunsten der Krankenkasse entschied. Auch das Bundessozialgericht lehnte Nobichts Antrag ab. Es räumte in der mündlichen Urteilsbegründung zwar ein, dass nicht-binäre Personen den gleichen Anspruch auf Behandlungen haben müssten wie binäre trans Personen.

Betroffen von dem Urteil sind auch trans Personen

Dennoch lehnte es den konkreten Antrag von Nobicht ab und begründete das damit, dass die Mastektomie Bestandteil einer „neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode“ sei. Dabei stufte es die „partizipative Entscheidungsfindung“, also die gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Betroffenen und Behandelnden, als „neuen Ansatz“ ein.

Das Gericht bezieht sich dabei auf die S3-Richtlinie „Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit: Leitlinie zur Diagnostik, Beratung und Behandlung“, die 2018 eingeführt wurde und im Zuge derer sozusagen eine neue Grundlage für geschlechtsangleichende Operationen entstanden sei. Der Gemeinsame Bundesausschuss müsse den therapeutischen Nutzen dieser neuen Methode erst anerkennen, um betroffene Personen „vor irreversiblen Fehlentscheidungen“ zu schützen.

Davon betroffen sind folglich nicht nur nicht-binäre Personen, sondern auch trans Personen, die bislang auf Grundlage der Richtlinie die Kostenerstattung beantragt haben. Ausgenommen sind aller Voraussicht nach Behandlungen, die bereits begonnen wurden.

Die schriftliche Urteilsbegründung steht noch aus

„Das Urteil des Bundessozialgerichts fühlt sich wie eine reflexartige Reaktion auf die steigende Selbstbestimmung von trans Personen an“, so Nobicht. „Ich hoffe sehr, dass die Notwendigkeit der Operationen endlich anerkannt wird. Häufig wird damit argumentiert, dass die Maßnahmen irreversibel seien, dabei sind die Folgen uns allen bewusst. Es ist bevormundend und paternalistisch, trans Personen vor sich selbst schützen zu wollen.“

Bei der mündlichen Urteilsbegründung seien noch viele Fragen offen, so Nobicht. „Das löst Angst und Verunsicherung in der Community, aber auch bei Behandler*innen aus. Viele Therapeut*innen wissen gerade nicht, wie sie ihre Patient*innen sinnvoll behandeln sollen.“ Die schriftliche Urteilsbegründung ist voraussichtlich in einigen Wochen zu erwarten.

Sollte es ähnlich ausfallen, wäre theoretisch auch eine Verfassungsbeschwerde denkbar. Dafür stünden allerdings gerade einmal vier Wochen zur Verfügung – ein enges Zeitfenster angesichts der Komplexität einer solchen Klage. „In jedem Fall werden wir aber weitermachen und Druck auf den Gesetzgeber ausüben, damit die Notwendigkeit der Operationen endlich rechtlich anerkannt wird“, so Nobicht.

Hümpfner betont, dass auch die Bundesregierung sich dafür einsetzen könnte, die Kostenübernahme für geschlechtsangleichende Maßnahmen insgesamt zu verbessern und zu vereinfachen, etwa durch Änderungen im Sozialgesetzbuch. Damit würde sie auch ihre Versprechen im Koalitionsvertrag umsetzen. Darin ist festgelegt, dass die Kosten für geschlechtsangleichende Behandlungen vollständig von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden sollen.

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