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Die Deutsche Aidshilfe (DAH) wird 40 Jahre alt.

© dpa/Arne Dedert

40 Jahre Aidshilfe: „Die Todesangst ist weggegangen“

Anfang der Achtzigerjahre kamen die ersten Meldungen über eine neue Krankheit: Aids. Am 23. September 1983 wurde die Deutsche Aidshilfe gegründet. Was sich in 40 Jahren verändert hat.

Es gab eine Zeit, da war Rainer Schilling ständig auf dem Friedhof. Bekannte starben, Freunde, sogar sein Lebenspartner. Es waren die Achtzigerjahre, Deutschland und die Welt steckten mitten in der Aidskrise. 1981 gab es in den USA erste Meldungen über eine rätselhafte Krankheit, mit der sich vor allem junge, schwule Männer ansteckten. Viele von ihnen starben schnell.

32.000 Menschen starben in Deutschland nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) von Epidemiebeginn bis Ende 2021 an den Folgen einer HIV-Infektion. „Die Angst war groß“, erzählt Schilling. Die Medien schürten Panik, schwule Bars und Clubs wurden deutlich weniger besucht, viele fragten sich: Kann ich weiter Sex haben? „Viele sind gar nicht mehr rausgegangen.“

Wir hatten unglaublich viele Anfragen, aber noch wenig Antworten.

Rainer Schilling, Gründer der Aidshilfe

Der heute 80-jährige Schilling beschloss, etwas zu tun. Gemeinsam mit zehn anderen Personen gründete er vor 40 Jahren, am 23. September, 1983 die Deutsche Aidshilfe (DAH). Sie wollten Informationen beschaffen und weitergeben, Kranke unterstützen, Trauer begleiten, die Sexualität erhalten.

„Wir hatten unglaublich viele Anfragen, aber noch wenig Antworten“, erinnert er sich im Gespräch. „Wir wussten zunächst nicht, wie man sich vor der Krankheit schützen kann, wie lange die Infizierten noch zu leben haben.“

Berühmte Kampagnen wie „Gib Aids keine Chance“

Aber die Aidshilfe professionalisierte sich schnell. Zu den Gründungsfiguren gehörte die Krankenschwester Sabine Lange. In ihrer Landesimpfanstalt ließen sich viele schwule Männer anonym untersuchen lassen. Sie erkannte den Ernst der Lage schnell.

Etwa ein Jahr später war bereits bekannt, dass Kondome vor der Ansteckung mit dem HI-Virus, das Aids auslöst, schützen können. Rainer Schilling übernahm das Schwulenreferat bei der Aidshilfe, die Berater*innen und Streetworker*innen ausbildete – und gestaltete Plakate zum Thema „Safer Sex“.

„Sicher besser – Safer Sex“: das erste Plakat der Aidshilfe.

© DAH/Detlev Pusch

Zu einer Zeit, als es noch kein Internet gab, waren diese Plakate für die Aidshilfe die beste Art, Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie hingen in schwule Saunen und Bars, die Schilling mit ins Boot holte. Anfangs noch zögerlich, waren sie ab Mitte der Achtziger stark in der Präventionsarbeit engagiert.

„Die Barkeeper haben viel abbekommen zu dieser Zeit“, sagt Schilling. „Nacht für Nacht haben sie sich das Leid derer angehört, die alleine am Tresen saßen, weil ihr Partner verstorben oder krank zuhause war.“

Staatliche Förderung ab 1985

Die Deutsche Aidshilfe war die erste Organisation, die aus den eigenen Communitys heraus Präventionsarbeit machte. Erst, weil die Politik nicht sofort reagierte. Und dann, weil sie deren Wert erkannte. Ab 1985 wird die Deutsche Aidshilfe mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt gefördert.

Politiker*innen wie die Gesundheitsminister*innen Heiner Geißler und Rita Süssmuth setzten sich für die Bekämpfung von Aids ein. Sie erkannten: Die betroffenen Gruppen und Menschen sind nicht das Problem, sondern Teil der Lösung.

„Die Prävention muss aus der Selbsthilfe kommen, weil nur die Menschen, um die es geht, wissen worum es geht, die richtige Sprache sprechen, glaubwürdig sind“, sagt Holger Wicht, Pressesprecher der Deutschen Aidshilfe. „Wir kannten unsere Zielgruppen und ihre Bedürfnisse“, ergänzt Rainer Schilling.

Für mehr Prävention: Gründer Rainer Schilling.

© DAH

Bis heute richtet sich die Aidshilfe vor allem an schwule und bisexuelle Männer, Menschen in Haft, Sexarbeiter*innen und Menschen, die aus stark betroffenen Ländern kommen oder intravenös Drogen konsumieren.

1800
Menschen infizierten sich 2021 in Deutschland mit HIV

Ab Mitte der Achtziger verbesserte sich nicht nur die Beratungssituation für von HIV besonders gefährdeten oder bereits infizierten Menschen, sondern auch die Medizin. Rainer Schilling erlebte, wie 1985 die ersten HIV-Tests auf den Markt kamen. Die erste Kombinationstherapie 1996, die eine medikamentöse Behandlung ermöglichte.

Anfang der 2000er gab es die ersten wissenschaftlichen Bestätigungen, dass mit HIV-infizierte Menschen so medikamentiert werden konnten, dass sie nicht mehr infektiös waren. Und 2016 kam schließlich die PrEP (Präexpositionsprophylaxe): Eine Tablette, die ähnlich wie ein Kondom vor der Ansteckung schützen kann. Jeder dieser Momente, sagt Schilling, sei bahnbrechend gewesen. „Die Todesangst ist weggegangen.“

Deutschland steht im internationalen Vergleich gut da

32.000 Menschen nutzen nach Angaben des RKI PrEP. Viele schwule Männer lassen sich heute häufig und regelmäßig testen, sagt Holger Wicht von der Aidshilfe. Deutschland hat im internationalen Vergleich sehr niedrige Neuinfektionszahlen, 2021 infizierten sich noch 1800 Menschen mit HIV. Tendenz: sinkend.

„Trotzdem haben wir pro Jahr immer noch rund 800 Fälle, bei denen die Infektion viel zu spät erkannt wird“, sagt Wicht. Das RKI geht von rund 8600 Menschen in Deutschland aus, die nicht wissen, dass sie HIV haben.

Außerdem werden Menschen, die HIV-positiv sind, nach wie vor häufig diskriminiert und stigmatisiert. „Bis heute gibt es irrationale Ängste vor HIV-positiven Menschen, im Fitnessstudio, auf der Arbeit, beim Zahnarzt.“ Auf schwulen Datingapps suchen viele immer noch nach „nur gesunden“ Partnern. Für Menschen mit HIV, sagt Wicht, bedeutet das eine psychische Belastung.

Ein Grund für die anhaltende Stigmatisierung ist, dass viele immer noch nicht wissen, dass HIV unter Therapie nicht mehr übertragbar ist. „Einer Umfrage vor drei Jahren zufolge kannte nur ein Fünftel der Bevölkerung diese entlastende Nachricht“, sagt Wicht.

Und es wird nicht einfacher: Aidshilfe-Organisationen fürchten um die Finanzierung ihrer Projekte in Berlin. In einer aktuellen Mitteilung weisen mehrere von ihnen darauf hin, dass „Kürzungen von faktisch bis zu zehn Prozent“ drohen, die im Entwurf des Haushaltes 2024/2025 vorgesehen seien. Damit riskiere der Berliner Senat fahrlässig Neuinfektionen. Der Kampf gegen HIV, für die Deutsche Aidshilfe geht er also auch nach 40 Jahren weiter.

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