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Eigentlich gehört Berlin zu den Städten, die bis 2030 die Aids-Epidemie beenden wollen.

© dpa/Arne Dedert

Update

„Berliner Senat riskiert fahrlässig HIV-Neuinfektionen“: Kritik an Kürzungsplänen im Gesundheitsbereich

Freie Träger, Beratungsstellen, HIV-Schwerpunktpraxen und die Berliner Opposition schlagen Alarm: Sie fürchten, dass Projekten im Kampf gegen HIV und Aids finanzielle Kürzungen drohen.

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Große Ehre für Berlin: Die Hauptstadt wird am kommenden Sonntag für ihr Engagement gegen HIV und Aids ausgezeichnet. Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) wird nach Amsterdam reisen und den Preis mit dem sperrigen Titel „Fast Track Cities Circle of Excellence Award 2023“ stellvertretend für den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) entgegennehmen.

2016 hatte sich Berlin als erste deutsche Stadt der Fast-Track-Cities-Initiative to end Aids angeschlossen. Diese hat zum Ziel, bis zum Jahr 2030 die Aids-Epidemie in den Metropolregionen der Welt zu beenden. Eines der Zwischenziele der Initiative – bis 2025 sollen 95 Prozent der mit HIV infizierten Menschen in Therapie sein, davon wiederum 95 Prozent in erfolgreicher Therapie – hat Berlin bereits erreicht.

Doch in die Freude über den Erfolg und die Auszeichnung Berlins mischt sich Kritik. Freie Träger, Beratungsstellen und HIV-Schwerpunktpraxen, die medizinische Testangebote für HIV und Hilfe bei Aids und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten anbieten, fürchten um die Finanzierung ihrer Projekte. In einer Mitteilung weisen sie darauf hin, dass „Kürzungen von faktisch bis zu zehn Prozent“ drohen, die im Entwurf des Haushaltes 2024/2025 vorgesehen seien. Damit „riskiert der Berliner Senat fahrlässig Neuinfektionen im Bereich HIV und Tuberkulose, virale Hepatitis und sexuell übertragbare Infektionen“, heißt es weiter.

„Aus vielen Studien und Beobachtungen wissen wir, dass ein Nachlassen der Bemühungen in der Prävention und Versorgung immer zu einem Wiederanstieg der Neuinfektionen führt. Dies gilt es in Berlin zu verhindern“, sagt Christoph Weber, einer der führenden HIV-Experten in Deutschland und Leiter der Beratungsstelle „Checkpoint Berlin“.

Der Checkpoint werde, wenn die vorgesehene Kürzung kommt, unter anderem keine Menschen mit HIV mehr behandeln können, die nicht krankenversichert sind. Bei Testangeboten müssten Öffnungszeiten gekürzt werden und es könnte nicht mehr allen, die sich auf sexuell übertragbare Krankheiten testen lassen wollen, geholfen werden.

Vulnerable Gruppen wären besonders betroffen

Von den Einsparungen wären besonders vulnerable Gruppen wie wohnungslose, sexarbeitende, Substanzen konsumierende und nicht krankenversicherte Menschen betroffen, kritisiert auch Astrid Leicht vom „Fixpunkt“. Sie spricht von 400.000 Euro, die für diese Menschen fehlen würden, wenn der Haushalt so beschlossen wird.

Die Beratungsstellen und freien Träger, zu denen auch die Berliner Aidshilfe, der Paritätische Wohlfahrtsverband und die Schwulenberatung Berlin gehören, fordern deshalb die Rücknahme der Kürzungen und zusätzliche Mittel, um Tarifsteigerungen und Kostensteigerungen durch die Inflation auszugleichen. Senat und Gesundheitsverwaltung müssten „Verantwortung für eine adäquate Ausstattung und Weiterentwicklung der Angebote der gesundheitlichen Versorgung vulnerabler Gruppen übernehmen“.

Klaus Lederer fordert Aufstockung der Mittel

Kritik kommt auch von der Opposition. Der queerpolitische Sprecher der Linken, Klaus Lederer, teilte mit: „Mit seinen Kürzungsplänen gefährdet der Senat die Erfolge, die Berlin in den vergangenen Jahren gegen die Ausbreitung von HIV/Aids und sexuell übertragbaren Infektionen erzielen konnte.“ Den Rotstift ausgerechnet bei der gesundheitlichen Versorgung anzusetzen, sei „fahrlässig und kurzsichtig“.

Besonders marginalisierte Gruppen würden unter der Ausdünnung von Testangeboten leiden, es drohe ein „Wiederanstieg von Neuinfektionen“. Es brauche mehr zielgruppengerechte und niedrigschwellige Testangebote, um die angestrebten Ziele der Fast-Track-Cities Initiative erreichen zu können. Denn das für 2025 angestrebte Zwischenziel, dass mehr als 95 Prozent der Menschen ihren Status kennen, sei in Berlin noch nicht erfüllt. Lederer forderte CDU und SPD auf, die Kürzungen im Haushaltsentwurf zu korrigieren und die Mittel in diesem Bereich aufzustocken. 

Gesundheitsverwaltung: „Abstriche unumgänglich“

Die zuständige Gesundheitsverwaltung teilte auf Tagesspiegel-Anfrage mit, dass im Rahmen der Mittel, die ihr zugewiesen wurden, „Abstriche unumgänglich“ seien. Man habe sich entschieden, die Last möglichst gleich zu verteilen, damit möglichst viele Projekte erhalten bleiben können. Nun sei das Berliner Parlament als Haushaltsgesetzgeber am Zug – die Abgeordneten könnten „hier nochmal eigene Schwerpunkte setzen“.

Es bleibe Ziel des Senats, „die HIV-Pandemie bis 2030 zu beenden und einen wirkungsvollen Beitrag gegen die Stigmatisierung von Menschen mit HIV zu leisten“. Die Landesregierung werde entsprechende Beratungs- und Versorgungsstrukturen fortführen und dies auch mit Öffentlichkeitskampagnen unterlegen. Auch wolle sich die Verwaltung regelmäßig mit den freien Trägern, Beratungsstellen und HIV-Schwerpunktpraxen austauschen. „Ziel ist, die Prävention sexuell übertragbarer Infektionen sowie die Versorgung zu stärken, um auch kurzfristig auf akute Ereignisse reagieren zu können“, heißt es von der Gesundheitsverwaltung.

Berlins Queerbeauftragter Alfonso Pantisano (SPD) sagte dem Tagesspiegel: „Wir können stolz auf unser Berlin sein, dass wir Teil der Fast-Track-Cities-Initiative sind, die bis 2030 Aids besiegen will.“ Es sei deshalb richtig, dass die schwarz-rote Koalition in den Richtlinien der Regierungspolitik „die Fortführung und Verstetigung dieser Initiative“ festgeschrieben habe. Diese Pandemie bis 2030 zu beenden, sei möglich. „Wir sind jede konsequente Anstrengung, die Aids beenden kann, den vielen queeren Menschen in Berlin schuldig, die an Aids gestorben sind“, so Pantisano. 

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