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Den Verkehr auf dem Bosporus reduzieren – das verspricht sich die türkische Regierung vom neuen Kanal.

© Burak Kara/Getty Images

Neues Mega-Projekt in der Türkei: Erdogans geplanter Kanal in Istanbul bringt Bauern und Fischer auf

Mit dem „Kanal Istanbul“ will die türkische Regierung das Schwarze mit dem Marmarameer verbinden. Kann Widerstand gegen das Milliarden-Projekt etwas bewirken?

In Baklali duftet es nach Büffelmist und Frühling – aber nicht mehr lange, so heißt es im Dorfgasthof. Bald werde es hier keine Büffel mehr geben, kein hundertjähriges Dorf und keine Bauern, prophezeien die Bewohner, die im Lokal zusammensitzen und Tee trinken.

Das neue Mega-Projekt von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan soll hier gebaut werden, der Kanal Istanbul. Unmittelbar an Baklali vorbei soll der Kanal führen und von neuen Satellitenstädten für Istanbul gesäumt werden. So viel können sich die Bauern aus den Äußerungen der Regierung zusammenreimen. Was dann aus ihnen und ihrem Dorf werden soll, hat ihnen allerdings noch niemand gesagt.

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So wie den Bewohnern von Baklali geht es Tausenden Menschen entlang der 45 Kilometer langen Trasse für den Kanal, der vom Marmara-Meer zum Schwarzen Meer führen und dem Bosporus den Schiffsverkehr abnehmen soll. Der erste Spatenstich ist für Juni geplant. Doch in der Landschaft zwischen dem Schwarzen und dem Marmarameer ist das Gleichgewicht für Menschen und Natur schon dahin.

Ein „tollkühner“ Plan

Sogar Erdogan selbst nennt den Kanal wegen der Dimensionen des Projekts „tollkühn“. Der elf Milliarden Euro teure Kanal westlich von Istanbul würde den europäischen Teil der Metropole zu einer Insel machen.

Um die 275 Meter breite und 21 Meter tiefe Fahrrinne auszuheben, müssten in der Bauzeit von mindestens sieben Jahren 1,2 Milliarden Kubikmeter Erdreich bewegt werden. Die Regierung verspricht sich von dem Vorhaben Zehntausende Arbeitsplätze und kräftige Einnahmen aus den Durchfahrtgebühren von Frachtern und Tankern.

Außerdem werde die Gefahr eines schweren Schiffsunglücks auf dem Bosporus – und damit mitten in einer 16-Millionen-Stadt – gebannt, sagt Ankara.

Großer Widerstand gegen das Projekt

Doch der Widerstand gegen das Projekt ist groß. Die oppositionsgeführte Stadtverwaltung von Istanbul schimpft über den geplanten „Beton-Kanal“, der katastrophal für die Umwelt und schlecht für das Land sein werde. Weil Handelsschiffe nach geltendem Recht gratis durch den Bosporus fahren könnten, würde wohl kaum eine Reederei für die Durchfahrt für den neuen Kanal viel Geld bezahlen, sagt Bürgermeister Ekrem Imamoglu.

Mit den Milliarden für den Kanal könne die Türkei mehr als 1500 Krankenhäuser bauen. Experten warnen zudem, dass die neue Wasserstraße das ökologische Gleichgewicht im Marmara-Meer so schwer stören könnte, dass alles Leben dort abstirbt.

Außerdem vernichte der Kanal große Ackerflächen und Trinkwasserspeicher für Istanbul. Erdogan lässt sich davon nicht beirren. Seine Regierung will entlang des Kanals neue Siedlungen mit Luxuswohnungen bauen. Einige der besten Grundstücke sind bereits verkauft, auch an reiche Araber.

Während sie Investoren verwöhne, ignoriere die Regierung die angestammten Bewohner der Gegend, kritisiert Imamoglu.

Sorge bei den Anwohnern

Das sehen auch die Dörfler in Baklali so. Was er von der Regierung zu erwarten habe, das könne er sich denken, sagt ein älterer Mann im Dorfgasthaus: „Drei Pfennige und einen Tritt in den Hintern“ werde er für Haus und Hof bekommen, wenn der Staat sich sein Land hole. Seit Generationen lebe seine Familie in Baklali, erzählt der Mann, der hier geboren und aufgewachsen ist.

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Seine Vorväter kamen vor hundert Jahren als Flüchtlinge aus Bulgarien hier an, als die Republik gegründet wurde. Die ganze Gegend nordwestlich von Istanbul wurde damals von muslimischen Flüchtlingen vom Balkan besiedelt. Seit Generationen ziehen sie hier Wasserbüffel auf, die in der sumpfigen Landschaft gut gedeihen und für ihre nahrhafte Milch geschätzt werden.

Zucht vor dem Ruin. Heute leben in dem Gebiet nur noch 1500 Büffel, einst waren es 10.000 Tiere.
Zucht vor dem Ruin. Heute leben in dem Gebiet nur noch 1500 Büffel, einst waren es 10.000 Tiere.

© Susanne Güsten

Wasserbüffel bedroht

Doch schon das letzte Mega-Projekt der Regierung hat die Büffelzucht nahezu ruiniert. Von einst rund 10.000 Wasserbüffeln sind nach Angaben von Bauern nur noch 1500 übrig, seit auf ihrem Weideland der neue Großflughafen von Istanbul entstand, der ebenfalls nordwestlich der Stadt liegt.

Der Kanal soll knapp an der westlichen Startpiste vorbeiführen und wird voraussichtlich die letzten Weiden verschlucken.

Selbst die Fische im Schwarzen Meer bleiben von den Auswirkungen der Mega-Bauten nicht verschont. Viel gebe es schon jetzt nicht mehr zu fangen, sagt ein junger Fischer mit schwarzem Bart in dem Fischerdorf Karaburun, wo der Kanal ins Schwarze Meer münden soll. Nur wenige Fischerboote dümpeln noch im Hafen, einige liegen auf dem Trockenen.

Einige hoffen auf Aufschwung

Die Fische seien aus den alten Fanggebieten abgewandert, als beim Bau des Flughafens die Millionen Tonnen Aushub ins Meer gekippt wurden, die beim Abtragen der bewaldeten Hügel entstanden, erzählen die Fischer.

Fischfang vor dem Ruin. Die wenigen Boote im Dorf Karaburun liegen schon jetzt auf dem Trockenen.
Fischfang vor dem Ruin. Die wenigen Boote im Dorf Karaburun liegen schon jetzt auf dem Trockenen.

© Susanne Güsten

Beim Bau des Kanals werde voraussichtlich noch viel mehr Erdreich im Meer landen, befürchten sie. Ob ihr Hafen überhaupt bleiben darf oder ob er von dem Mega-Projekt verschluckt wird, wissen die Männer nicht.

Manche Leute in Karaburun hoffen aber darauf, dass der Kanal ihnen Aufschwung und Wohlstand bringen wird. „Ohne den Kanal wird aus Karaburun nie etwas", sagt Süleyman, der mit Verwandten eine kleine Pension am SchwarzmeerStrand betreibt.

Erdogan habe versprochen, dass alle anständig entschädigt würden. Die Teetrinker im Gasthaus von Baklali sehen jedoch schwarz für die Zukunft. Mit Ackerbau und Viehzucht sei es aus, wenn Bagger und Lastwagen anrücken, sagen die Bauern. Dann werde es hier nur noch „Reiche und Araber“ geben.

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