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Schild an einem Wald in der Nähe des Ortes Meymac: Die Behörden wollen hier nach dem Massengrab suchen. 

© AFP/Pascal Lachenaud

Update

Massengrab aus Zweitem Weltkrieg: Frankreich sucht nach 47 erschossenen Wehrmachtssoldaten

Partisanen sollen in Meymac ein Kriegsverbrechen verübt haben. Viele Jahre später bricht ein 98-jähriger Franzose sein Schweigen.

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Frankreich hat die Suche nach 47 erschossenen Wehrmachtssoldaten angeordnet, nachdem ein ehemaliger französischer Widerstandskämpfer das Schweigen über die Massenerschießung der Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg gebrochen hatte.

Gemeinsam mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge soll im Juni im südfranzösischen Meymac nach den Überresten der Soldaten gesucht werden, teilte das Verteidigungsministerium in Paris am Mittwoch mit.

Sollten die Deutschen an der vermuteten Stelle gefunden werden, werde der Volksbund die Exhumierung und Beisetzung auf einem deutschen Soldatenfriedhof veranlassen.

Zu der Erschießung der Deutschen kam es im Juni 1944 nach einem Massaker der Waffen-SS an der Bevölkerung in Tulle sowie der Auslöschung des Dorfes Oradour-sur-Glane, einem Kriegsverbrechen, das zum Symbol der Nazi-Barbarei in Frankreich wurde.

Dass die Deutschen und eine der Kollaboration beschuldigte Französin in einem Waldgebiet erschossen wurden, war nur grundsätzlich bekannt. Zu den näheren Umständen hatten alle Beteiligten aber den Rest ihres Lebens geschwiegen. Als letzter überlebender Augenzeuge brach nun der heute 98 Jahre alte Edmond Réveil sein Schweigen.

Der damals 19 Jahre alte Réveil gehörte einer Widerstandsgruppe an, die bei einem Angriff auf deutsche Soldaten in Tulle zahlreiche Gefangene gemacht hatte. Sie zogen sich mit ihnen in ein schlecht zugängliches Waldgebiet zurück. „Wir wussten nicht, was wir mit ihnen machen sollten“, erinnert sich Réveil in einem am Montagabend veröffentlichten Interview mit der Zeitung „La Montagne“.

„Wir haben den Befehl bekommen, sie zu erschießen“, berichtet er. Jeder von ihnen habe einen der Deutschen töten sollen. Da niemand die Frau erschießen wollte, sei einer ausgelost worden. „Wir haben sie alle gezwungen, ihr eigenes Grab auszuheben. Dann haben wir Kalk hinein geschüttet. Es roch nach Blut“, berichtet er. „Und dann haben wir nie wieder darüber gesprochen.“

Die Résistance wusste oft nicht, was sie mit Gefangenen machen sollte.

Historiker Peter Lieb

Der Angriff der Partisanen in Tulle hatte eine massive Vergeltungsaktion durch die SS nach sich gezogen, bei der 99 Zivilisten öffentlich erhängt wurden, an Balkonen und Laternenpfählen.

Einen Tag später verübte die Waffen-SS ein weiteres Massaker an dem ohne besonderen Grund ausgewählten Ort Oradour-sur-Glane, der rund hundert Kilometer entfernt liegt. Dort wurden 643 Dorfbewohner auf grausame Weise getötet.

Zu diesem Zeitpunkt waren die Partisanen aus Tulle mit ihren Gefangenen auf der Flucht ins Hinterland. Von den Massakern hatten sie vermutlich gehört. Aber es habe auch logistische Gründe für die Exekution der Deutschen gegeben, sagt der belgische Historiker Bruno Kartheuser. „Man war auf so viele Gefangene nicht vorbereitet“, sagt Kartheuser, der als einer der wenigen zur Erschießung der deutschen Soldaten in der Nähe von Meymac recherchiert hat.

„Die Résistance wusste oft nicht, was sie mit Gefangenen machen sollte“, sagt auch der Potsdamer Historiker Peter Lieb. „Das ist definitiv ein Kriegsverbrechen.“ Nach seinen Forschungen wurden im Spätsommer 1944 insgesamt 350 deutsche Soldaten durch französische Widerstandskämpfer erschossen, etwa in Vieugy und Les Rousses im Osten des Landes.

Es war falsch, Kriegsgefangene zu töten.

Edmond Réveil

Der Fall von Meymac, den seine Recherchen nicht umfassten, sei aber ungewöhnlich, weil die Zahl hoch sei und die Alliierten erst wenige Tage zuvor in der Normandie gelandet seien. Dass die Zeitzeugen aber das Ereignis verschwiegen haben, wundert die Historiker nicht. „Man wollte im wahrsten Sinne Gras drüber wachsen lassen“, sagt Lieb.

Réveil zeigt sich heute schuldbewusst. „Es war falsch, Kriegsgefangene zu töten“, sagt der 98-Jährige. Er wolle aber davon erzählen, damit die Nachfahren der Getöteten davon erfahren.

„Frankreich ist verpflichtet, die sterblichen Überreste zu überführen“, sagte Xavier Kompa, Leiter der örtlichen Veteranen-Behörde. Die französischen Behörden wollen in den kommenden Wochen das Massengrab suchen und die Überreste der Kriegstoten bergen. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der sich um Kriegstote kümmert, soll dafür demnächst ein Bodenradar nach Frankreich schicken.

Bereits 1967 hatte es eine Ausgrabung gegeben, bei der die Überreste von elf Getöteten gefunden worden waren. Doch damals war die Zeit der Aufarbeitung offenbar noch nicht reif. „In unserem Archiv findet sich keine Spur davon“, sagt der Bürgermeister von Meymac, Philippe Brugère. (AFP)

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