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Mit KI lassen sich schnell Nacktfotos von Menschen produzieren. Diesem Missbrauch gilt es juristisch beizukommen.

© Freepik, Bearbeitung: Tagesspiegel

Mütter in Spanien wehren sich: Mit KI erstellte Teenager-Nacktbilder beschäftigen die Justiz

Jugendliche in einer spanischen Kleinstadt erstellten gefakte Nacktbilder ihrer Mitschülerinnen. Der Fall zeigt Gesetzeslücken auf – und zeigt doch auch die Macht des Aktivismus auf.

Als die 14-jährige Isabel (Name geändert) Mitte September zum ersten Mal nach den Sommerferien wieder ihre Schule in der spanischen Kleinstadt Almendralejo betrat, wurde sie auf den Gängen von Getuschel begrüßt. Unter den Kindern und Jugendlichen verbreitete sich die Nachricht, dass einige von ihnen Nacktfotos von Mitschülerinnen auf ihren Handys hätten. Auch Fotos von Isabel waren dabei. Erstellt wurden sie mithilfe von Künstlicher Intelligenz. 

Die spanische Tageszeitung El País berichtet, dass inzwischen Nacktbilder von mindestens 22 Mädchen aufgetaucht sind. Sie alle sind zwischen 11 und 17 Jahre alt. „Würde ich den Körper meiner Tochter nicht kennen, würde ich sagen, das Foto ist echt“, zitiert die Zeitung die Mutter eines betroffenen Mädchens. 

Almendralejo in der Autonomieregion Extremadura hat 30.000 Einwohner und fünf Sekundarschulen. An vier von diesen Schulen sind Schülerinnen betroffen. Inzwischen ist der Tathergang klar: Eine Gruppe Jungs aus der Stadt kopierten sich die Profilbilder der Mädchen bei Instagram und WhatsApp und erstellten die sogenannten Deepnudes mithilfe einer der dutzenden KI-Anwendungen, die im Internet genau das anbieten. Zehn Euro für 25 Fotos. Dann verbreiteten sie diese über soziale Netzwerke. Ein Mädchen sollen sie sogar selbst fotografiert haben, beim Volleyball-Training.   

Es ist vor allem den Müttern zu verdanken, dass dieser Fall von sexualisierter Gewalt in Spanien hohe Wellen schlägt. Viele telefonierten noch am Abend des ersten Schultags miteinander und bildeten eine WhatsApp-Gruppe. In den Tagen darauf stellten mehrere von ihnen Strafanzeige. 

Eine dieser Frauen ist Míriam Al Adib, Gynäkologin und Mutter von vier Mädchen, von denen eines zu den Opfern gehört. Auf Instagram hat sie einen Kanal mit 130.000 Followern. In einem Video sagt sie, sie und andere Eltern befürchteten, dass die Fotos auf pornografischen Webseiten landen könnten und nicht mehr zu löschen seien. „An die Jungs, die das getan haben: Ich glaube, ihr seid euch gar nicht bewusst, wie viel Schaden ihr angerichtet habt und dass ihr eine Straftat begangen habt”, fügt sie hinzu.

10
Euro haben die Schüler für 25 von KI produzierten Nacktbildern mit den Gesichtern der Mädchen gezahlt.

Spaniens nationale Polizeibehörde hat die Ermittlungen übernommen und bereits zehn Verdächtige identifiziert, von denen drei die Fotos erstellt und weitere sieben diese verbreitet haben sollen. Alle sind minderjährig und einige sogar jünger als 14 und damit nicht strafmündig. 

Bisher ist allerdings unklar, ob die Jungen sich überhaupt strafbar gemacht haben. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob die Strafmündigen unter ihnen wegen der Verbreitung pornografischen Materials oder dem Besitz von Kinderpornografie angeklagt werden könnten, was Gefängnisstrafen zwischen fünf und neun Jahren mit sich bringen könnte. Auch Vergehen gegen die Ehre oder die Intimsphäre Minderjähriger könnten nach dem spanischen Strafgesetzbuch geahndet werden. Hier beträgt die Höchststrafe zwei Jahre Gefängnis. 

Manuel Cancio, Professor für Strafrecht an der Autonomen Universität in Madrid, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Euronews, in diesem Fall existiere eine Gesetzeslücke: Da die Bilder nicht echt seien, würden sie die Privatsphäre der betroffenen Personen nicht verletzen. „Das Gesetz hinkt hier einen Schritt hinterher“, fügt er hinzu.

Im März 2022 schlug die Europäische Kommission vor, diese Art von Straftaten in einer Richtlinie über Cyberkriminalität unter Strafe zu stellen. Cancio zufolge ist das niederländische Strafgesetzbuch bislang das einzige, das eine Bestimmung zu diesem Thema enthält.

Und in Deutschland? Der Jurist Benjamin Lück, der mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte einen Entwurf für ein Digitales Gewaltschutzgesetz geschrieben hat, sagt, das deutsche Recht decke einen Fall wie den in Almendralejo relativ gut ab. Im deutschen Strafrecht gebe es zwar keine Regelung, die Deepnudes ausdrücklich verbietet. „Unabhängig vom Alter der Betroffenen ist es aber etwa nach § 201a StGB grundsätzlich verboten, solche Bilder anderen zugänglich zu machen, die das Ansehen der abgebildeten Person schädigen können, also etwa die Person bloßstellen“, sagt er. Wesentlich schärfer sei die Rechtslage im Bereich der Kinderpornografie: „Hier ist regelmäßig sogar schon der Besitz solcher Inhalte strafbar“, sagt Lück. Dafür müsse es sich auch nicht um ein tatsächliches Geschehen handeln, es reicht ein wirklichkeitsnahes Geschehen. 

Allein: Um einen Täter strafrechtlich zu verfolgen, muss dieser bekannt sein. In Almendralejo ist das zwar so. „Das ist nicht immer der Fall und wird die Rechtsverfolgung wesentlich kompliziert machen“, sagt Lück – eine Meinung, der sich viele Juristen anschließen.

Doch selbst, wenn die Jungen in Spanien nicht wegen der Deepfakes vor Gericht kommen, hat der Fall den gesellschaftlichen Umgang mit dieser Form von sexualisierter Gewalt schon verändert. Das liegt vor allem an der großen Aufmerksamkeit, die ein neues Problembewusstsein geschaffen hat, und an der Solidarität mit den Opfern, die Politiker, Justiz und die Bevölkerung gezeigt haben. „An die betroffenen Mädchen: Schämt euch nicht, ihr habt keine Schuld!“, wiederholte Míriam Al Adib mehrmals in einem ihrer Videos. Dass sie es so betont, zeigt, dass die Haltung nicht selbstverständlich ist.

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