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Eine Frau zwischen zwei Männern. Beth Winters (Ann Skelly) will ihr Leben mit Liam Ward (Jamie Dornan, rechts) bestreiten. Vorher aber muss sie sich aus der Autorität ihres Stiefvaters Billy (Matthew Rhys) befreien.

© RTL/Night Flight Pictures

RTL+-Serie „Tod und Nachtigallen“: Absolut nicht nach Pilcher-Kriterien besetzt

Unterm Fiddel-Teppich: In seiner Kostümfest-Reihe zeigt RTL+ den Dreiteiler „Tod und Nachtigallen“.

Im Traum sind die Farben oft bunter, die Sterne heller, die Wolken weißer und damit auch die Aussichten gleich besser. Falls der Traum also kein Albtraum ist, kann man dort alles – selbst die schlimmsten Feinde besiegen. Im Traum kniet Billy Winters demnach vor seiner Stieftochter statt umgekehrt wie üblich und fleht sie weinend an, ihn nicht zu töten. Beth aber bleibt unbeugsam, kaltblütig, willensstark – und erwacht dann doch wie jeden Tag im Dunkeln, versorgt das Vieh, bleibt folgsam, warmherzig, willensschwach und blickt nach getaner Arbeit zum Horizont, wo sie schwört: „Morgen verlasse ich das hier für immer.“

Beths Realität ist schließlich ein Albtraum als Dienstmagd im eigenen Haus. Seit ihre Mutter früh gestorben ist, enthält deren Witwer dem ungeliebten Kuckuckskind das Erbe einer stattlichen Farm mit angeschlossenem Steinbruch vor und wird zudem noch übergriffig, wenn er Nacht für Nacht betrunken heimkehrt.

[„Tod und Nachtigallen“, RTL+ ]

So war es eben, das irische Landleben für Frauen im Jahr 1885, als der BBC-Dreiteiler „Tod und Nachtigallen“ nach dem gleichnamigen Bestseller von Eugene McCabe seinen Anfang nimmt: männlicher Gewaltwillkür hilflos ausgesetzt, Tag für Tag für Tag. Wobei dieser hier, Beths 23. Geburtstag, der letzte unter Fremdherrschaft sein soll.

Denn als Billy Withers morgens den Hof verlässt, packt Beth heimlich die Koffer. Kurz nach ihrem Selbstbefreiungstraum will sie dem Albtraum also ein Ende setzen und eröffnet damit ein Historienmelodram, das Regisseur Allan Cubitt nach eigenem Drehbuch über ganze 24 Stunden streckt. So wenig Zeit bleibt der Hauptfigur, genügend Goldmünzen aus Billys Safe zu nehmen, um die Flucht mit dem edlen Wanderarbeiter Liam Ward zu finanzieren. Unterbrochen von ein paar Hindernissen auf dem Weg zum Happy End droht dem Dreiteiler also das süß-saftige Schicksal aller historischen Kostümfeste dieser Art.

Der Irland-Konflikt als Hintergrund

Doch so einfach ist es nicht. Dicht entlang an der Romanvorlage von 1992 beschränkt sich „Tod und Nachtigallen“ nur selten auf fernsehtypische Irrungen und Wirrungen Richtung Liebeshochzeit im Sonnenuntergang; mit viel natürlichem Licht überm trüben Grün erzählt der Regisseur neben einer fiktiven Vereinigungsgeschichte die reale Trennungsgeschichte einer Nation im politischen Umbruch. Vor 136 Jahren war Irland mitsamt der nördlichen Provinz Ulster Teil des Vereinigten Königreiches, das die bettelarmen Bauern im Westen brutal beherrschte.

Von Hunger und Flucht, staatlicher Willkür und religiösem Eifer gebeutelt, formierte sich im Süden seinerzeit die katholisch geprägte „Home Rule League“, der sich loyalistische Nordiren zusehends gewaltsam entgegenstellten. Der Dreiteiler erzählt die emotionalen Befreiungskämpfe verzweifelter Frauen wie Beth und ihrer Schicksalsgenossin Mercy (Charlene McKenna) vorm Hintergrund nationaler Befreiungskämpfe. Dem Vorlagengeber McCabe gebührt also gehöriger Dank, die Parteien seiner Beziehungsgeschichte politisch zu grundieren, dem Filmemacher Cubitt hingegen dafür, die Protagonisten aller Kriegsschauplätze jenseits stereotyper Klischees zu besetzen.

Der Verlockung, den tyrannischen Erbschleicher als Triebtäter zu zeichnen, widersteht er zum Beispiel in Gestalt von Matthew Rhys („Perry Mason“), dessen Serienfigur Billy Winters sich trotz aller Abgründe am Ende als ähnlich gebrochen entpuppt wie sein Gegner Liam (Jamie Dornan), der wiederum weit weniger edel ist als erwartet.

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Mittendrin Ann Skelly als Beth Winters, auf irische Art attraktiv, aber keineswegs nach Pilcher-Kriterien lieblich gecastet. In Cubitts Ulster-Version des US-Westerns „Deadwood“ wirkt ihre Echtzeit-Befreiung zwar gelegentlich arg rehäugig. Sie verleiht dem erwachenden Feminismus aber das nötige Rückgrat.

Doch ZDF-Fans aufgepasst: Natürlich wird der Dreck jener bettelarmen Tage ein wenig vorgefegt. Die Ausstattung ist authentisch, doch weit weniger verlaust als seinerzeit üblich. Und die Landschaften? Sind unterm aufdringlichen Fiddel-Teppich irischer Volksweisen spektakulär wie Reisekataloge. Trotzdem hat die Traumkulisse für Historytainment-Verhältnisse zuweilen etwas Albtraumhaftes und reiht sich daher ganz gut ein in die Reihe vergleichsweise anspruchsvoller Kostümfeste, die der RTL+ Vorgänger TVnow seit Monaten zeigt.

Jan Freitag

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