zum Hauptinhalt
Peter Kurth spielt Strafverteidiger Richard Schlesinger im TV-Drama "Glauben".

© TVNOW / Stephan Rabold

„Ferdinand von Schirach – Glauben“ bei RTL+: Wenn der Volkszorn die Urteile spricht

Im TV-Drama „Glauben“ verlegt Ferdinand von Schirach den Wormser Justizskandal aus den 1990ern in die Gegenwart der sozialen Medien.

Um eine unterhaltsame TV-Serie über ein so schwieriges Thema wie die vermeintlich größten Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern zu machen, in dem die Angeklagten von den Zuschauern nicht ebenso voreilig für schuldig befunden werden wie seinerzeit vom Volkszorn, braucht es drei Dinge: einen untergründigen Sinn für Humor unter widrigsten Umständen, einen wunderbaren Peter Kurth als Darsteller eines unnachgiebigen Strafverteidigers und einen Goldfisch. Mindestens.

An diesem Donnerstag ändert die Mediengruppe den Namen ihres Streamingdienstes TVNow in RTL+. Mit dem Namenswechsel soll auch ein Qualitätsschub einhergehen. Besser als mit dem TV-Drama „Ferdinand von Schirach – Glauben“ kann man diesen Anspruch kaum unterstreichen. Bereits vor der Bereitstellung der Mini-Serie bei RTL+ und der Ausstrahlung im Free-TV-Sender Vox Anfang Dezember hat die siebenteilige Mini-Serie – die einzelnen Folgen sind nur jeweils eine halbe Stunde lang, das würde man sich auch für viele andere Serien wünschen – zwei Preise in Cannes gewonnen, darunter einen für das beste Drehbuch.

[„Ferdinand von Schirach – Glauben“, komplett ab Donnerstag bei RTL+, am 1. und 8. Dezember auf Vox]

Dieses Drehbuch von Ferdinand von Schirach ("Terror - Ihr Urteil") wurde „inspiriert von wahren Begebenheiten“, wie es bei True-Crime- Produktionen heißt. Konkret handelt es sich um die erschütternden Missbrauchsprozesse in Worms. 25 Angeklagte standen in den Jahren 1993 bis 1997 in drei Verfahren vor Gericht. Ihnen wurde vorgeworfen, eine Vielzahl von Kindern in Sexorgien missbraucht und dabei kinderpornografische Filme hergestellt zu haben. Fürs Fernsehen wurde der Fall in den ebenso fiktiven wie pittoresken Ort Ottern mit hübschen Fachwerkhäusern und Kopfsteinpflasterstraßen verlegt.

Volkes Stimme in Tweets und Posts

Zudem spielt die Serie in der Gegenwart mit ihren sozialen Medien. Ein überaus gelungener Kniff von Schirach, denn dadurch lässt sich Volkes Stimme in Form von Tweets und Posts jederzeit über die Handlung legen. Am Hass gegen die Beschuldigten ändert das zwar nichts, denn die Rufe nach Kastration solcher Täter und Wiedereinführung der Todesstrafe hat es auch damals gegeben. Neu ist hingegen, dass man Verwünschungen wie „Kinderschänder sollte man am Sack aufhängen“ aus der vermeintlichen Anonymität des Internets noch ungehemmter verbreiten kann. Der Missbrauchsfall von Worms entpuppte sich als gewaltiger Justizskandal, alle Beklagten wurden freigesprochen. Es gab weder einen Kinderpornoring noch Sexorgien, sondern nur Erinnerungsverfälschungen und grob fehlerhafte Befragungsmethoden.

Strafverteidiger Richard Schlesinger (Peter Kurth) und Geldeintreiberin Azra (Narges Rashidi) bilden ein ungleiches Team.
Ein schlagkräftiges Team: Strafverteidiger Richard Schlesinger (Peter Kurth) und Geldeintreiberin Azra (Narges Rashidi).

© RTL/Moovie/Stephan Rabold

Wie es dazu kommen konnte, erzählt die Serie über die handelnden Personen. Auf der einen Seite ein vorschnell diagnostizierender Arzt (dargestellt von Falk Rockstroh), eine voreingenommene Kinderschützerin (Katharina Marie Schubert) und ein ehrgeiziger junger Staatsanwalt (Sebastian Urzendowsky). Als Gegengewicht fungieren auf der anderen Seite eine gewissenhafte Kommissarin (Désirée Nosbusch), eine um Objektivität bemühte Richterin (Julika Jenkins) und besonders freilich Strafverteidiger Richard Schlesinger (Peter Kurth, "Babylon Berlin").

[Alle wichtigen Nachrichten des Tages finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter "Fragen des Tages". Dazu Kommentare, Reportagen und Freizeit-Tipps. Zur Anmeldung geht es hier.]

Die Serie fällt keineswegs mit der Tür in das Haus, Regisseur Daniel Prochaska lässt sich viel Zeit für die Einführung zweier Figuren: Anwalt Schlesinger ist über den Tod seiner geliebten Frau nicht hinweggekommen, neigt dem Alkohol übermäßig zu und war so töricht, seine Schulden bei chinesischen Geldverleihern nicht pünktlich zurückzuzahlen. Dadurch macht er die Bekanntschaft der Geldeintreiberin Azra (Narges Rashidi), die sich elegant zu kleiden und im Nullkommanichts säumige Schuldner mit gezielten Schlägen an ihre Pflichten zu erinnern versteht. Ihr hat es Schlesinger zu verdanken, dass er den 26. Angeklagten im Missbrauchsverfahren von Ottern verteidigt.

"Verteidigen, das heißt vor allem Akten lesen"

Ernesto Perez (Michael Pink) soll in seiner Gastwirtschaft die Sexorgien des Kinderpornorings veranstaltet haben. Zunächst darf Schlesinger jedoch noch in Berlin im Fall einer jungen Frau, die ihren Mann mit Kopfschuss getötet haben soll, beweisen, wie ernst er seinen Job trotz Trauer und Alkohol nimmt. Und dass für ihn die Worte Rechtsstaatlichkeit und Unschuldsvermutung nichts an Bedeutung verloren haben.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

„Verteidigung ist nicht wie im Fernsehen. Verteidigung heißt vor allem Vorbereitung, das Lesen von Akten“, sagt der Anwalt an einer Stelle. Schirach, selbst früher als Strafverteidiger tätig, lässt seine Protagonisten häufig weit vom eigentlichen Fall abschweifen. In solchen Gesprächen geht es dann um die Rolle des Strafverteidigers in der Rechtspflege, um Gerechtigkeit und Moral, aber ebenso um psychologische Aspekte. In einer beinahe theologischen Diskussion mit einem Pater in einem Kloster lässt Schirach Schlesinger später auch erläutern, welche Bewandtnis es mit dem Begriff Glauben hat, der der Mini-Serie immerhin den Namen gegeben hat.

Zurück zum Goldfisch. Seine Existenz in der Serie verdankt er dem Rat eines Berliner Richters (Thorsten Merten), der es gut mit Schlesinger meint. Er empfiehlt den Anwalt, umgehend sein Leben zu ändern und sich ein Haustier anzuschaffen. Warum es ein Goldfisch geworden ist, erklärt sich wiederum mit dem tiefgründigen Humor dieser überaus sehenswerten TV-Produktion. Angesichts des Umstands, dass die Kinder von Worms, die zum Schutz aus ihren Familien genommen, in einem Heim untergebracht wurden und tatsächlich missbraucht wurden, ist dies umso bemerkenswerter.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false