zum Hauptinhalt
Bülent Ceylan ist wieder zu Besuch im Campus Efeuweg. Die gemeinsame Probe nutzt er, um mit den Kindern ins Gespräch zu kommen und sie zu motivieren.

© ZDF und Oliver Ziebe

Bülent Ceylan im Porträt: Kurpfälzer in Gropiusstadt

Bülent Ceylan holt für das ZDF Neuköllner Kids aus dem Abseits – und taucht tief in die eigene Biografie ein.

Diese Randfigur hat’s an die Spitze geschafft, und wie sie es geschafft hat. Vom Außenseiter zum Aufsteiger, vom Gastarbeitersohn zum Fernsehstar, vom mittellosen Mannheimer zum wohlhabenden Weltbürger, vom Migrationshintergrund zur populärsten Mähne der Republik. Wer Bülent Ceylan 46 Jahre nach seiner Geburt im robusten Stadtteil Waldhof fragt, was ihm aus der sozialen Randlage über schummrige Kleinkunstbühnen ins Rampenlicht riesiger Hallen und Kanäle geholfen hat, erwartet daher wesensverwandte Gehilfen. Muhammad Ali vielleicht oder Mesut Özil.

Knapp daneben.

„Wo ich heute bin“, erzählt der Komiker ernst, „da hat mir Johann Sebastian Bach hingeholfen.“ Als Papa Ahmet den kleinen Bülent 1986 – „damals für Kinder mit meiner Biografie alles andere als selbstverständlich“ – auf das Gymnasium schickte, bekam er nämlich einen Musiklehrer, „der das Fach und die Schüler ernst genommen hat“, erinnert sich der große Ceylan 2022 ans Erwachen seiner zweiten Leidenschaft neben dem Gelächter.

Und da es dann daheim kein Geld für Instrumente gab, holte Ahmet „die Geige meines Urgroßvaters aus dem Keller und ließ sie für’n Appel und’n Ei reparieren“. („Don’t Stop the Music“, Dienstag, ZDF, 22 Uhr 15)

Fertig war ein Fluchthelfer mit vier Saiten, auf dem Bülent Ceylan Bach übte, rauf und runter. Ob seinerzeit auch Vivaldi auf dem Lehrplan stand, weiß der Comedian ein halbes Künstlerleben später nicht mehr genau. Vorm inneren Auge fliegt instinktiv das pechschwarze Haar des Urgroßenkels über Urgroßvaters Violine, als die dramatischen Streicher der „Vier Jahreszeiten“ ein Format einleiten, das den unaufhaltsamen Aufstieg des Nachkommen bestens zum Ausdruck bringen: zum Vorbild, zum Lehrer, zum Promi ohnehin und deshalb nun zum Host einer bemerkenswerten Reportage.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

„Don’t Stop the Music“ hat das ZDF dieses australische Lehnprodukt ein bisschen bemüht juvenil, aber auch nicht ganz abwegig betitelt. Rund 50 Grundschüler und -schülerinnen der sozial benachteiligten Berliner Gropiusstadt lernen ein halbes Jahr lang Instrumente vom Schlagzeug über Geige, Gesang, Gitarre bis hin zur Trompete – ohne Drehbuch zwar, aber bis in die Wohnungen kamerabegleitet.

Am Ende der vierten Folge dann tritt das Ensemble in einer echten Konzerthalle vor leibhaftigem Publikum auf, und immer mittendrin: Bülent Ceylan, das populäre Gesicht dieser Social Factual genannten Gesellschafsstudie.

Populär? Da wird der frühere Außenseiter im aktuellen Komiker leicht mürrisch. Das ZDF habe ein Gesamtpaket erworben, betont er mit kritikhartem Ton im butterweischen Kurpfälzisch: Komiker mit Migrationshintergrund, Musiker mit Familie, Außenseiter mit Aufstiegsbiografie – „alles schon drin in mir, was fürs Format wichtig ist“.

Natürlich sei er Promi, klar. Mehr aber noch Bindeglied, Motivator, Freund, Komiker und Fan vieler Klangstile. Deshalb wechselt die Begleitmusik nach Vivaldis „Jahreszeiten“ auch zügig zum Soundtrack von „Star Wars“, den ein richtiges Kammerorchester auf dem Campus Efeuweg interpretiert und damit Kinderaugen weitet.

Ein vorurteilsbrechendes Ereignis. Auch für Bülent Ceylan

Die meisten der Schüler – 80 Prozent ausländischer Herkunft und 80 Prozent lehrmittelbefreit, wie ein Lehrer das Neuköllner Wurzelwerk erklärt – hätten noch nie klassische Musik gehört, und dann das: Popkultur meets Hochkultur, E trifft U, Hollywood begegnet Bayreuth – ein vorurteilsbrechendes Ereignis. Auch für Bülent Ceylan.

Denn wie er die bildungsfernen Protagonisten des TV-Experiments begleitet, wie er mit ihnen lacht, leidet, jubelt und bangt, wie er das Begleitwissen ausgesuchter Fachleute voller Witz und Empathie auf den Boden der Tatsachen übersetzt, wie er dabei auch ohne die üblichen Geigenteppiche gerührt ist, rührselig zu werden – da zeigt sich: Der macht das hier nicht nur für andere, der macht das auch für sich.

„Ich weiß ja, wie es ist, als Außenseiter aufzuwachsen“, sagt das jüngste von vier Kindern eines türkischstämmigen Waldhofers mit deutscher Frau und erzählt von seiner Doppelflanke zur Überwindung vermeintlicher Chancenlosigkeit: Musik und Humor.

Als Teenager habe ihm Musik geholfen, „meinen Frust rauszuschreien, also abzubauen“, während Humor weniger schwere, aber keinesfalls leichte Türen öffnete. „Wer Mädchen zum Lachen bringt, rückt vom Rand der Idioten, die mich gehänselt haben, Richtung Mittelpunkt“, erzählt er aus den Achtzigerjahren. „Das war Genugtuung und Exitstrategie in einem.“

Auf der Welle des Comedy-Booms im Privatfernseh-Zeitalter surfte er damit über den Umweg eines abgebrochenen Philosophiestudiums in den Dunstkreis vom Quatsch-Impresario Thomas Hermanns, bevor ihm sein Bühnensolo 2002 zum Durchbruch verhalf. Titel: „Döner for One“.

Weil der Türke ab und zu Witze über Türken macht

Bülent Ceylans biografisches Lebensthema, es blieb auch sein humoristisches. Vier Fünftel „meiner Programme beschäftigen sich mit Menschen allgemein“, grummelt die Monnemer Frohnatur da zurück. „Aber weil der Türke ab und zu Witze über Türken macht, wird das ständig hervorgehoben?“ Nein! Sein Humor denke meist „gar nicht um vier Ecken gesellschaftlicher Probleme“.

Gerade in dieser schwierigen Zeit gebe er „einfach mal Anlass zum Ablachen“. Dennoch, fügt Bülent Ceylan hinzu, „beschäftige ich mich natürlich mit Ungerechtigkeit“. On Stage oder als Mensch. Rassismus zum Beispiel. Oder wie hier: das Schulwesen. „Musik und Kunst werden gern als bessere Beschäftigungstherapie vernachlässigt“, klagt der musikalische Komik-Künstler.

„Dabei beeinflussen sie die kognitive und emotionale Intelligenz so, dass auch andere Fächer oder Integration besser funktionieren und somit helfen, Gewalt- oder Fluchterfahrungen besser zu verarbeiten.“

Ziemlich dicke Bretter für ein vierteiliges Help-Format nach dem „heute-journal“, aber wer mit Bülent Ceylan darüber redet, spürt dann auch schnell: Es ist ihm bei allem Spaß glaubhaft ernst damit. „Ich habe echt schon viele Sachen fürs Fernsehen gemacht“, meint er noch, „aber hier geht es wirklich mal um was Grundlegendes“, und zwar jenseits von reinem Entertainment: „Kunst ist wichtig.“ Da kann man ihm nur zustimmen.

Jan Freitag

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false