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Hähne im Visier. Regisseur Luis Buñuel (r.) und sein Filmteam.

© ZDF

Arte-Film über Luis Buñuel: Zwischen Reisedoku und Schockelementen

Gegen jede Form von Normen, Sitten, Moral: Ein Animationsfilm erzählt von den Anfängen des spanischen Regisseurs Luis Bunuel.

Als der Film „Das goldene Zeitalter“ im November 1930 in die Filmtheater gelangt – es handelt sich um einen der ersten französischen Tonfilme –, da wird ihm nur eine sehr kurze Spielzeit beschieden sein. Das Pariser Kino „Studio 28“ kann den Film ein gutes halbes Dutzend Male vorführen, als es zu Protesten kommt, es folgt ein Aufführungsverbot, das Jahre vorhalten soll. Ein handfester Skandal mit langem Nachbeben, ausgelöst durch den provokativen Regisseur, dem Bürgerlichkeit zuwider ist, und der in seinem Werk gegen jede Form von Normen, Sitten, Moral und Konventionen angeht: Luis Buñuel.

Der abendfüllende Animationsfilm „Buñuel im Labyrinth der Schildkröten“ des Trickfilm-Regisseurs Salvador Simó, eine spanisch-niederländische Co-Produktion, basierend auf der spanischen Graphic Novel von Fermín Solís, erzählt von Buñuels Leben aus den späten 1920er, frühen 1930er Jahren, als der 1900 in Calanda geborene Regisseur dabei ist, seine ureigene Filmsprache zu finden und mit dem 1929 entstandenen „Ein andalusischer Hund“ den ersten der beiden wohl bedeutendsten surrealistischen Kinofilme inszeniert hat („Buñuel im Labyrinth der Schildkröten“, Arte, Donnerstag, 23 Uhr 15).

Der zweite ist „Das goldene Zeitalter“, dem eine Schaffenskrise folgt, spürt der junge Buñuel doch, wie sehr er gesellschaftlich aneckt, bis zum Moment, in dem finanzielle Unterstützung für Projekte entzogen wird. Da kommt das Angebot, einen Dokumentarfilm über eine der ärmsten Gegenden Spaniens zu drehen, den im Westen des Landes gelegenen Las Hurdes im iberischen Gebirge, gerade recht.

Salvador Simó und sein Animations-Team kreieren diesen Buñuelschen Kosmos mit großem Detail- und Facettenreichtum, nie schablonesk oder eindimensional, voller Anspielungen und Querverweise. Zudem lässt Simó die Narration auf mehreren Ebenen verlaufen, jener der Retrospektive auf das Leben des bis dahin 30-jährigen Buñuel, der Gegenwart, und jener der Visionen, die den Filmkünstler immer wieder heimsuchen.

Es sind nicht nur Leid und Elend der bitterarmenBevölkerung

Die Traum-Sequenzen werden mit Motiven Salvador Dalís gestaltet, der bei „Ein andalusischer Hund“ Co-Autor des Drehbuchs war, bevor ihn Buñuel bei „Das goldene Zeitalter“ nach Differenzen hinauswarf. Die ungewöhnliche Entstehung des schwarz-weißen Dokumentarfilms „Las Hurdes – Land ohne Brot“ ist der Haupterzählstrang: wie der Regisseur, sein Freund und Finanzier Ramón Acin, sowie der aus Paris anreisende Kameramann sich 1933 auf die zweimonatige Reise in die Hurdes, der Gebirgsregion im Norden der Extremadura, begeben, um dort die bittere Armut der Menschen einzufangen.

Eine Reisedoku und Sozialstudie, von Buñuel in Teilen bewusst inszeniert, überhöht und mit überraschenden Schock-Elementen versehen. Es sind nicht nur Leid und Elend der bitterarmenBevölkerung in diesem Teil Spaniens, in all der Kargheit und Archaik geradezu naturalistisch gezeigt; sondern auch die inszenierten Sequenzen, in denen Buñuel in Nahaufnahme auf die lebenden, an ihren Krallen an einem Seil aufgehängten Hähne geht, denen innerhalb eines barbarischen Hochzeits-Ritus’ die jungen Ehemänner, auf Pferden reitend, brachial die Köpfe abreißen.

Luis Buñuel, der 1983 im Alter von 83 Jahren in Mexiko-Stadt starb, konnte übrigens die Annullierung jenes Aufführungsverbotes, 1930 ausgesprochen, noch erleben: ab 1981 war und ist das Meisterwerk „Das goldene Zeitalter“ wieder frei zugänglich – nach 50 Jahren unter Verschluss.

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