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Ida entschuldigt sich bei Adam, dass sie manchmal gemein sein kann. 

© obs / Foto: Hoferichter & Jacobs GmbH

„Adam & Ida“: Suche nach eigener Identität

Getrennt im Ghetto, wiedergefunden nach 53 Jahren. Ein Dokumentarfilm über jüdische Zwillinge

Adam Paluch erinnert sich genau an den Moment, als er von seiner wahren Identität erfuhr. „Papa, da hat so eine Verrückte angerufen. Sie sagt, sie sei deine Schwester“, berichtet sein ältester Sohn. Adam Paluch lebt mit seiner Familie in Polen, aber er trägt einen anderen Namen. Denn die Zwillinge Adam und Ida wurden 1942 im Alter von drei Jahren im jüdischen Ghetto von Sosnowiec getrennt, lebten bei verschiedenen Pflegefamilien und suchten fast 53 Jahre lang nach Hinweisen zu ihrer Herkunft. Bis zu jenem 13. Januar 1995, an dem die in den USA lebende Ida ihren Bruder anruft, nachdem sie ihn dank eines Fotos in einem Zeitungsbericht ausfindig gemacht hat.

Es werden immer weniger, die noch aus eigenem Erleben Zeugnis ablegen können über den Terror der Nazi-Zeit – und die Folgen, die die Opfer der Shoah ein Leben lang begleiten. Auch der im Mai 1939 geborene Adam Paluch ist in diesem Jahr gestorben, ihm widmeten Jan Tenhaven und Tilman Müller ihren vom NDR koproduzierten Dokumentarfilm „Adam & Ida“, der nun in voller Länge in der ARD-Mediathek und im Ersten in einer auf knapp 60 Minuten gekürzten Fassung zu sehen ist.

Der Film handelt vom Leben nach 1945 und der Suche nach der eigenen Identität, aber allem liegen die existenziellen Erfahrungen und das Trauma der Kindheit zugrunde. Der Vater von Adam und Ida kämpft im Krieg, die Mutter stürzt sich im Ghetto aus dem Fenster, als die deutschen Besatzer die Familie 1942 trennen wollen. Adam erinnert sich nicht mehr an das Ghetto, wohl aber an die Zeit im Konzentrationslager Majdanek, in das er nach dem Tod der Mutter gebracht wird. Er berichtet von medizinischen Experimenten und von der Rettung durch einen sowjetischen Soldaten. Er wird von einer polnischen Familie adoptiert, leidet aber darunter, dass die Eltern die sechs leiblichen Kinder bevorzugen.

Ida wird nach dem Tod der Mutter von einer katholischen Familie aufgenommen und bis Kriegsende vor den Deutschen versteckt. Sie wächst mit den antisemitischen Vorurteilen gegenüber Juden auf, ehe sie erfährt, dass sie selbst Jüdin ist. Als der leibliche Vater heimkehrt, nimmt er sie wieder auf. „Ich begann langsam zu akzeptieren, wer ich bin.“

Interviews in einem Raum

Adam und Ida werden in einem Raum interviewt, in dem lediglich drei Stühle stehen. Der dritte Stuhl wird unbesetzt bleiben, das Szenenbild erinnert somit an die zehn Jahre ältere Schwester Genia, über deren Schicksal offenbar nichts bekannt ist. In den Interviews zeigen sich Jahrzehnte nach dem unfassbaren Glück des Wiedersehens auch Differenzen zwischen den Zwillingen, die nun beide in der Nähe von Chicago leben. Die lebhafte Ida bedauert, dass ihr Bruder „mit dem Herzen in Polen geblieben“ sei.

Im Kontrast zu diesem reduzierten und klugen Interview-Setting setzen Tenhaven und Müller neben Fotos und Archivbildern vergleichsweise opulente Animationen ein. Sie sollen die Erzählungen von Adam und Ida nicht lediglich eins zu eins illustrieren, sondern auch deren Gefühle in Bilder fassen. Das gelingt besonders eindringlich, wenn sich die eng stehenden, hohen Häuser im Ghetto bedrohlich über die beiden kleinen Kinder zu beugen scheinen, die da an der Hand ihrer großen Schwester (oder der Mutter?) durch die Straßenschluchten gehen.

Wenn die Animationen mitsamt der Tonspur, mit Hundegebell, dem Brüllen der deutschen Wachleute und den ängstlichen Schreien der Bewohner, gewissermaßen den Sound des Ghettos nachzustellen versuchen, ist das eher fragwürdig. Zweifellos aber geben die oft eindrucksvollen und sorgfältig gestalteten Animationen dem Film eine besondere Note – und bezeugen somit auch Respekt vor den Zwillingen und ihrem Schicksal.

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