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Hackbraten von Patrizia Fontana.

© Aron Erdohati

Lesen oder lieber essen?: Martin Suters neuer Roman steckt voller Rezepte aus einem Schweizer Kochbuch

In „Melody“ wird dauernd gegessen. Die Gerichte stammen von Patrizia Fontana, einer italienischen Feinkosthändlerin. Der Bestseller-Autor ist Stammkunde.

„Und?“, will der alte Mann vom jungen wissen – „Wunderbar!“, antwortet der. Da weiß Tom noch nicht, dass alles, was Mariella, die italienische Haushälterin seines Arbeitgebers, kocht, wunderbar ist. Der Hackbraten zum Beispiel, den Hausherr Dr. Stotz mit Applaus und Aplomb ankündigt, die Zabaione mit Orangenschale oder die Lasagne ai frutti di mare. Bei der Lektüre läuft einem das Wasser im Munde zusammen. Weiterlesen – oder doch lieber essen?

In Martin Suters neuem Roman „Melody“, der seit Monaten auf der Bestsellerliste steht, wird nicht nur viel geredet, sondern auch dauernd gegessen. Ein kleiner Spaß, den sich der Schriftsteller da erlaubt. Die Geschichte hat er sich ausgedacht, die Gerichte nicht. Sie stammen, wie Suter im Nachwort verkündet, fast alle aus dem „wunderbarem Kochbuch ,La Mia Cucina‘“.

Martin Suter ist Genießer – und Stammkunde von Patrizia Fontana

Der Schweizer Autor ist bekannt als Genießer und als solcher Stammkunde von Patrizia Fontana, die vor 34 Jahren in Zürich ihren Feinkostladen mit Take-away eröffnete – zu einer Zeit, als sie, wie sie im Telefoninterview erzählt, vielen Schweizern erklären musste, was sie mit Olivenöl anfangen sollten.

Reicht den Zürchern feine Kost: Patrizia Fontana führt neben exzellentem Olivenöl auch selbst gemachte Pasta, etwa hauchdünne Ravioli.
Reicht den Zürchern feine Kost: Patrizia Fontana führt neben exzellentem Olivenöl auch selbst gemachte Pasta, etwa hauchdünne Ravioli.

© Nadja Atanasiou

Wobei es nie irgendwelches Öl war. In ihrem Laden in der Scheuchzerstrasse hat Fontana immer nur, wie sie sagt, Nischenprodukte angeboten. Und ihre selbst gemachte Pasta, vor allem die hauchdünnen Ravioli, für die Kunden aus Kultur, Politik und Medien bei ihr anstehen. Auch Tina Turner beziehungsweise ihr Koch gingen hier einkaufen. Von ihrer Rolle in „Melody“ wusste Patrizia Fontana nichts, bis Suter ihr am Tag der Veröffentlichung ein Exemplar mit Widmung schenkte. Sie rief den Autor gleich an, um sich zu bedanken.

In der Schweiz geboren, wo ihre italienischen Eltern arbeiteten, ist Fontana die ersten Jahre bis zur Schule noch bei den Großeltern am Gardasee aufgewachsen, wo Aal so gewöhnlich war wie hierzulande Zander. Es waren kulinarisch prägende Jahre, in denen das kleine Mädchen zuschaute, wie der Großvater das Schwein schlachtete und zu Wurst verarbeitete, die Großmutter das Kaninchen abzog und am Abend die Polenta anrührte. Viel Lamm, Geflügel, Kaninchen, überhaupt: Alle Teile vom Tier finden sich jetzt in ihrem Kochbuch wieder. Filets kann die heute 66-Jährige wenig abgewinnen. „Das hat nichts mit Kochen zu tun, die brät man zack-zack.“

Suter hat recht: „La Mia Cucina“ ist ein wunderbares Kochbuch, allein wegen der Aufmachung. Gestaltung und Styling hat die Ästhetin mit ihrer Tochter sowie jungen ungarischen Gestaltern selbst übernommen, „die haben noch viel Freude und Elan“. Besonders die farbigen Illustrationen von Tamás Füredi und sein Handlettering machen gute Laune.

Patrizia Fontana: „La Mia Cucina“, 284 Seiten 48 Euro, 2021 Echtzeit Verlag.
Patrizia Fontana: „La Mia Cucina“, 284 Seiten 48 Euro, 2021 Echtzeit Verlag.

© Echtzeit Verlag

Patrizia Fontana hat immer viel gearbeitet, „von acht bis acht, danach noch Haushalt“. Nichts zu tun, passt auch heute nicht zur quirligen Unternehmerin. Also denkt sie schon über ein zweites Kochbuch nach, in dem dann einfache Pizza- und Focaccia-Rezepte stehen sollen, für die man nicht schon einen Tag vorher den Teig ansetzen muss. Und fährt jetzt in die Toskana, um mit ihrem Mann ein altes Bauernhaus zu suchen, das sie renovieren will, wo sie Olivenbäume pflanzen kann, um ihr eigenes Öl zu produzieren. Und wahrscheinlich allerlei mehr.

Einfache Raffinesse: eine kulinarische Weisheit, die sich mit dem Alter entwickelt

Einfach raffiniert, so beschreibt Martin Suters Hauptfigur die Kochkunst seiner Haushälterin und macht klar, dass es eine kulinarische Weisheit ist, die sich mit dem Alter entwickelte. Einfach raffiniert, das bringt auch Fontanas Gerichte auf den Punkt. „Ich koche wie zu Hause.“ Die Rezepte sind so gehalten, dass alle Zutaten leicht zu kriegen sind.

So enthält das kürzlich erschienene Buch etliche Risotti – die zu kochen habe sie vom Vater gelernt – sowie Gnocchi-Rezepte. Die Kartoffeln backt Patrizia Fontana dafür immer im Ofen, „dann werden sie schön kartoffelig und man braucht weniger Mehl. Ich traue den Kartoffeln heute nicht mehr. Deswegen landen sie bei mir alle im Ofen.“ In Deutschland seien die viel besser.

Als Italienerin in der Schweiz erlaubt sie sich auch Freiheiten, die im traditionsreichen Mutterland vielleicht verpönt wären. So baut Fontana gern japanische und marokkanische Elemente in ihre Gerichte ein, mischt zum Beispiel Wasabi („allein wäre der zu scharf“) unter Sauerrahm, als Beigabe zum Thunfischsteak.

Selbst den kompletten Leichenschmaus aus Martins Suters Roman kann, wer will, jetzt nachkochen: Sellerieravioli als erste Vorspeise, Jakobsmuscheln auf Linsen, dann der berühmte Hackbraten und zum Dessert Dolce Basyma, ein Honigkuchen mit Walnüssen und Feigen. Ein Rezept allerdings fehlt: die Zitronenravioli! Ausgerechnet Fontanas signature dish, für das die Kunden Schlange stehen und die sich etliche Restaurants gehobenen Anspruchs in Zürich und Umgebung liefern lassen.

Fontana lacht. Sie wird doch nicht ihr Geheimnis verraten, damit die Lokale aufhören, bei ihr zu bestellen! Nein, nein, „die sollen auch ein bisschen basteln“, findet sie. „Hej, übt weiter!“, ruft sie ihnen zu. Und es klingt wie: Da können sie lange üben. Sie musste ja auch erst experimentieren, als ein Restaurant sich die Ravioli wünschte. „Nur Zitronensaft, das ist zu wenig. Auch zu sauer, zu flüssig.“ Und sie arbeitet nur mit Naturprodukten, ohne künstliche Helferlein. Warum ausgerechnet die Zitronenravioli so ein Bestseller sind, versteht sie allerdings nicht. Ihre Lieblingspasta ist es nicht.

Inzwischen hat Patrizia Fontana noch „La Fontana“ eröffnet, ein Bistro mit Café am Haldenbachplatz. Aus dem täglichen Geschehen hat sich die 66-Jährige herausgezogen; Tochter Olivia, die auch am Kochbuch mitgearbeitet hat, hat mit einer Geschäftsführerin übernommen, die Mutter wirkt weiter im Hintergrund mit. Und zeigt Präsenz. Jeden Mittag isst sie mit ihrem Mann Boris Blank in der Luxuskantine, wie sie sie nennt, zu Mittag. Der Musiker, die eine Hälfte des Musikerduos „Yello“, hat auch ein Rezept fürs Buch beigesteuert, einen Obstsalat, den er seiner Frau im Sommer gern zubereitet.

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