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Madame Paloma Bakehouse in Berlin Neukölln

© Shir Zilber

Heftig hefig: So backen die Brioche Punks

Erez Pintok und Hilla Sasson inszenieren das klassische französische Gebäck ganz neu. In Paris sorgten sie für Stirnrunzeln, in Berlin haben ihre Kunstwerke aus Mehl und Butter längst Fans.

Von Susanne Leimstoll

Barock muss sie damals ausgesehen haben. Der Maler Jean Siméon Chardin, Meister naturgetreuer Küchenstillleben, setzte sie 1763 in einem Ölgemälde in Szene mit frischen Pfirsichen, Kirschen und einem Karäffchen Likör. Aus dem dicken Gebäcklaib erhebt sich ein Knubbel, reif zum Anschneiden. Ein gut aufgegangener Kuchen, karamellbraune Kruste, schwerer Hefeteig. Eine Leckerei, fettreich, erfunden im 15. Jahrhundert in der für hochwertige Butter bekannten Normandie: die Brioche. Ihre kleine Schwester ist französisches Esskulturgut; man gönnt sie sich, wenn’s mal kein Croissant sein soll, am liebsten zum Frühstück: mit Butter, Marmelade oder cremegefüllt.

Der israelische Patissier Erez Pintok backt und inszeniert die Brioche ganz anders. Im klitzekleinen Schaufenster des „Madame Paloma Bakehouse“ in einer stillen Seitenstraße der Karl-Marx-Allee, stellt er seine Kreationen bäckereiuntypisch aus: in Glaskugeln, die an Gliederketten von der Decke baumeln. Brioches wie riesige Brötchen mit farbiger Kruste oder wie ein in Zucker gewälzter Zylinder oder ein Blätterteigfladen.

Fette Füllung: Das Innere des fluffigen Hefeteiggebäcks ziert eine schwarze Sesampaste und eine graue Creme Mousseline.

© Shir Zilber

Gerade setzt Erez – geboren im Norden Israels, ein Ingenieur, der lieber Törtchen konstruiert und sich am renommierten „Le Cordon Bleu“ in Paris zum Patissier ausbilden ließ – in seiner verglasten Backstube mit dem Spritzbeutel handtellergroße Blumenmuster auf Backpapier: eine graue Creme Mousseline mit geröstetem schwarzem Sesam, die zusammen mit Sesampaste das Innenleben seiner „Black Halva-Brioche“ bildet.

Am Drumherum hat er so lange gefeilt wie an den Füllungen: Sauerteig, der zwölf Stunden in der Kühlung ruhen darf, grobporig, luftig, leicht vanillig, buttrig, aber nicht fettig, nicht zu süß. Mit mehr Biss als ein Berliner Pfannkuchen.

200
Brioche bäckt Erez Pintok an Spitzentagen.

Jeden Morgen ab sechs Uhr fertigt er 150 bis 200 Stück. Die Füllungen sind selbstgemacht: mit einem Steinmahlwerk zerkleinert er Nüsse, Korn, Sesam, Pistazien, mit dem Mischer verarbeitet er Pulver und Karamell zu Pasten. Die gefüllten Brioches ruhen bis zum Verkauf in einer Kühlung, deren regulierte Feuchtigkeit sie vor dem Austrocknen schützt: pink gesprenkelte „Saint Genix“, in deren Teig von rosa Zucker umhüllte Mandeln und Haselnüsse stecken, gezuckerte mit einem Herz aus leichter Patisserie-Creme und Apfelmarmelade oder einer Creme Mousseline aus drei Sorten belgischer Schokolade, mit karamellisierter Nuss- oder Pistazienpaste, oder als Tarte au Sucre nur getränkt mit Butter, Sahne und Zucker, sehr saftig.

Erez Pintok spielt mit der Form. Seine Brioches wirken wie Burger-Buns, wie Plunderstücke, wie hohe oder flache Walzen. Bald produziert er auch gefüllte Croissants, die aussehen wie Blüten oder Ellipsen, nicht ein einziges Hörnchen dabei. Immerhin: Eine Shakshuka-Quiche gibt es schon.

Paris hat ihn irgendwann genervt. Die konservative Kundschaft lobte seine Patisserie und sagte im nächsten Satz: „Aber weißt Du, wo es die besten Croissants der Stadt gibt? Da drüben.“ Also wirklich!

Für Berlin entschieden sich Erez Pintok und seine Frau Hilla Sasson, weil sie fanden, die Berliner seien neugierig genug, sich auf Neues einzulassen. Das „Paloma“ sieht mehr nach Punk aus als nach Patisserie: ein paar schwarze Stahlhocker, eine knallbunte Wand wie nach einer Demo-Attacke, von den Inhabern kreativ mit farbbefüllten Eiern beworfen. Hinter dem schwarzen Tresen, auf dem sich die Brioche-Prototypen reihen, steht Hilla Sasson in Meshshirt und Cargohose, blonde Strähnen und Sidecut im Haar – und begrüßt jeden Kunden warmherzig und mit einem Strahlen.

Funky Formen: Manche seiner Brioches bäckt Erez Pintok wie eine Walze.

© Shir Zilber

Zwei ältere Damen, Rheinländerinnen auf Berlinbesuch, sagen: „Mer ham Se vorhin entdeckt un ham jedacht, dat sieht so lecker aus, mer kommen wieder.“ Zwei junge Typen treten ein, „Shalom!“, sagt Hilla aus Tel Aviv, serviert Brioche mit Halva-Füllung zum Espresso und kann sich mal in ihrer Muttersprache unterhalten. Es läuft israelische Musik, die ist gut gegen Heimweh. Mit den Gästen spricht sie meist Englisch, Deutsch klappt noch nicht so gut.

Anfangs dachten die beiden, ihr Bakehouse finde in der großen Stadt keiner. Aber es dauerte nur ein paar Wochen, dann hatte sich die Adresse herumgesprochen. Und wieso eigentlich „Paloma“? „Die Taube steht für Frieden“, sagt Hilla. „Es ist für uns einfach ein friedvoller Ort, wo wir wir selbst sein können.“

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