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Ricardo Lange, 39, arbeitet als Intensivpfleger in Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Intensivpfleger an der Corona-Front: „Das war der schlimmste Tag der Pandemie für mich“

Ricardo Lange berichtet jede Woche aus dem Krankenhaus. Diesmal: Vorschläge zur Zukunft der Pflege und ein Anruf seines Idols. Ein Interview.

Von Julia Prosinger

Ricardo Lange, 39, arbeitet als Pflegekraft auf Berliner Intensivstationen mit Covid-Schwerpunkt. Hier berichtet er jede Woche von Nachtschichten, Provisorien und Hoffnungsschimmern.

Herr Lange, die Inzidenzen sinken, 32 Prozent der Deutschen haben ihre erste Impfdosis erhalten. Spüren Sie bereits Linderung?
Leider nicht, die Fälle liegen oft wochenlang bei uns. Und die vielen Monate sitzen uns in den Knochen. Ich habe ja schon oft berichtet, dass Covid-Patient:innen besonders viel gedreht werden müssen, beispielswiese in die entlastende Bauchlage. Einige Kliniken ziehen jetzt extra Kräfte von anderen Stationen heran, die nur beim Lagern helfen. Das erleichtert uns immerhin die Arbeit.

Vergangene Woche waren Sie bei Markus Lanz in der Sendung und sagten, Sie fühlten sich durch den Personalmangel emotional misshandelt.
Ein Beispiel: Als es meinem Hund im vergangenen Sommer nicht gut ging, habe ich auf Arbeit angerufen, um frei zu bekommen. Aber weil mich meine Kollegen brauchten, bin ich hingegangen. Im Frühdienst hat mich die Nachricht erreicht, dass mein Hund, mein bester Freund, verstorben ist.

Zeit zu trauern hatte ich nicht, weil ich mich um vier Patienten kümmern musste und es keine Chance gab, den Dienst zu tauschen. Als ich endlich zu Hause war, konnte ich meinen geliebten Hund nur noch begraben. Ich fühle mich heute noch wie ein Verräter, weil ich nicht da war, als er und meine Familie mich brauchten. Das war der schlimmste Tag der Pandemie für mich.

Sie haben sich jetzt mit ersten Politiker:innen getroffen, um eine bessere Zukunft der Pflege zu diskutieren.
Ein Vorschlag betrifft die Personaluntergrenzen, die meist als Obergrenzen interpretiert werden. Momentan ist es so, dass die Klinik Strafe an den Staat zahlen muss, wenn sie diese überschreitet. Da haben aber weder wir Pflegekräfte noch die Patient:innen was davon.

Eine Kollegin hatte eine gute Idee – ein Punktesystem: Jedes Mal, wenn ich aufgrund von Krankheit oder Fehlplanung mehr Patient:innen als vorgesehen betreuen muss, kriege ich einen Punkt. Fünf Punkte ergeben einen freien Tag oder so. Das wäre ein Entschädigungssystem, das unsere Erholung in den Mittelpunkt rückt.

Die Grünen schlagen eine 35-Stunden Woche für Pflegekräfte vor.
Finde ich sehr sinnvoll. Wenn ich nach dem Nachtdienst ausschlafe, gilt das als freier Tag. Dabei kann ich den kaum nutzen. Mit einem solchen Modell hätte ich wieder die Chance auf ein Privatleben.

[Weitere Folgen der Kolumne "Außer Atem" mit Ricardo Lange]

Letzte Woche schilderten Sie hier, den Rummel nach der Bundespressekonferenz. Ist’s besser geworden?
Nein. Ich soll mich zu den Morden im Potsdamer Wohnheim für behinderte Menschen äußern oder ein Statement zur Corona-Impfung von Schwangeren abgeben. Das fände ich unseriös, meine Expertise ist die Intensivpflege. Ich kann nicht zu allem und jedem etwas sagen, und will das auch gar nicht.

Gleichzeitig weiß ich: Sobald die Fallzahlen sinken, sinkt auch das Interesse an der Pflege. Ich muss diesen Moment also nutzen und spreche deshalb mit vielen – von Pfizer bis Mai Thi Nguyen-Kim von MaiLab. Interessant ist, dass mich im Moment viel weniger Beleidigungen erreichen. Nur einige Kolleg:innen sind der Meinung, ich solle lieber arbeiten, als mich politisch zu engagieren, das bringe doch eh nichts. Erstens: Ich mache das nebenher. Zweitens: Ich glaube inzwischen, dass es was nützen kann.

Daher Ihre hörbar gute Laune?
Ich schwebe, weil sich der Schauspieler Ralf Moeller bei mir gemeldet hat. Mein absolutes Idol, sein Poster hing in meinem Jugendzimmer, wegen ihm mache ich Kraftsport. Und jetzt ruft der mich einfach so an.

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