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AfD-Jubel nach ihrem Wahlerfolg in Sonneberg.

© dpa/Martin Schutt

Aufstieg der AfD: Einige sitzen schon auf gepackten Koffern

Während die AfD von der Macht träumt, planen andere ihre Flucht. Im Notfall wollen sie Deutschland lieber zu früh als zu spät verlassen. Was heißt das für den Rest?

Ein Kommentar von Sebastian Leber

Der jüdische Publizist Michel Friedman hat kürzlich im „Stern“ beschrieben, wie sehr ihn der fortgesetzte Aufstieg der AfD verängstigt.

Dass Millionen Deutsche überhaupt eine Partei des Hasses ins Parlament wählen. Dass sich zunehmend auch Menschen radikalisieren, sich enthemmen und offen die Demokratie verachten, von denen man dies nie gedacht hätte.

Friedman überlegt, seine Koffer wieder aus dem Schrank zu holen, um notfalls sofort das Land verlassen zu können, falls in Deutschland die Menschenfeinde zurück an die Macht kehren.

Der Text hat mich stark berührt. Schockiert hat mich das Ausmaß an Niedertracht, das anschließend in Kommentaren in den sozialen Netzwerken zu lesen war. Zahllose Nutzer fühlten nicht etwa mit Friedman mit, sondern wünschten ihm bloß „eine gute Reise“.

Sie nennt ihn „Für den Fall, dass“-Koffer

Stephan Kramer, Thüringens jüdischer Verfassungsschutzchef, hat neulich ebenfalls erklärt, Deutschland bei einer Regierungsbeteiligung der AfD noch am selben Tag mit seiner Familie zu verlassen. 

Die schwarze Berliner Autorin Tupoka Ogette zählte auf, was sich in ihrem „Für den Fall, dass“-Koffer befindet: Reise- und Impfpässe, etwas Bargeld, Medizin, ein Fotoalbum sowie eine Liste mit Kontakten im Aus- und Inland. Tausende Menschen antworteten ihr, sie hätten bereits ähnliche Vorkehrungen getroffen.

Dieses Mal lieber zu früh gehen als zu spät. Dieses Mal nicht darauf vertrauen, dass die Mehrheit der Deutschen ein verbrecherisches Regime schon nicht zulassen wird.

Die Koffer sind keine Metaphern, sondern Realität. Und so fern eine Machtübernahme der Rechtsextremisten heute zum Glück noch erscheinen mag, so zeigen diese Koffer doch, was unserer Gesellschaft droht: ein unfassbarer Aderlass an Vielfalt und Potenzial, ein Massenexodus der Vernünftigen, Gescheiten und Kreativen, der Impulsgeber und Voranbringer.

Einen kleinen Vorgeschmack darauf bieten heute schon manche ostdeutsche Provinzen, wo die allermeisten Menschen mit Ambitionen bereits das Weite gesucht haben. Wer wissen will, wie die Alternative für Deutschland konkret aussieht, wird dort fündig.

Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen, hat Erich Kästner einmal gesagt. Anschließend sei es zu spät gewesen. Kästner wusste: „Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist.“

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