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Am 15. Juni ist Pater Vincens, 92 Jahre alt, in Berlin gestorben. Er war 30 Jahre lang Gefängnisseelsorger in Tegel.

© Tsp/Privat

Update

Zum Tod von Pater Vincens: Kirchliche Autorität mit einem Schatten in der Biografie

Eher Arbeiterpriester als feinsinniger Theologe: Pater Vincens war 30 Jahre lang Gefängnisseelsorger in Tegel. Vorher hatte er wohl Schuld auf sich geladen.

„Wenn ihr an mich denkt, so seid nicht traurig“, rief Pater Vincens seinen Freunden zu, „erzählt lieber von mir und lacht.“ So stand es in seiner Todesanzeige am Sonntag. Und bitte: Erzählen wir von einem, den Berlin mal sehr gut kannte, auch wenn sein Leben nicht nur zum Lachen war. Bis 2002 – damals schon 72 Jahre alt – war der katholische Salvatorianerpater Gefängnisseelsorger in Tegel, 30 Jahre lang. Und diese Arbeit hatte ihn geprägt, so, wie er diese Arbeit geprägt hatte.

Ging es um die Lebensbedingungen im Gefängnis, ging es um Notfallseelsorge schlechthin, saß er mit am Tisch in Berlin und redete Klartext. „Pater Vincens poltert gern“, hieß es in einem der zahlreichen Texte zu seinem Abschied, er war kein feinsinniger Theologe mit diplomatischem Gespür, sondern einer, der wohl eher dem Ideal des Arbeiterpriesters nacheiferte, der Missstände nicht nur beklagte, sondern anpackte, und dafür auch Kritik kassierte; „pastoraler Grobschmied“ wurde er bisweilen genannt. Die Todesanzeige enthielt, in Berlin immer noch unüblich, ein Foto des Verstorbenen, kein trauriges, nein, ein fröhlich epikureisches Porträt mit dicker Zigarre in der Rechten.

Mancher Schwerverbrecher verdrückte zum Abschied eine Träne

Am 31. August 2002, die 30 Dienstjahre waren voll, hielt der Pater, der wegen seines runden Bauchs den Beinamen „Pfarrer Kugelblitz“ trug, seine letzte Messe in der JVA Tegel. Sogar Ex-Häftlinge kamen, um bei seinem Abschied dabei zu sein, und sein Anstaltsleiter rief ihm nach, er habe für „soziale Sicherheit“ im Gefängnis gesorgt und mit seiner „unverbogenen Seelenachse“ vielen Insassen Halt und Kultur gegeben.

Mancher Schwerverbrecher, so wird berichtet, habe zum Abschied eine Träne verdrückt, als der Pater seinen „Banditen“, wie er stets sagte, eine Tüte mit Tabak, Kaffee, Schokolade und einer Kerze in die Hand drückte. Seine Autorität war unumstritten, denn selbst in dieser letzten Messe raunzte er einen störenden Häftling an, wie nur er es wagte: „Noch einmal, und du fliegst hier raus!“

Im System der „Heimerziehung“ machte er sich wohl schuldig

Diese fröhliche Grobheit hatte allerdings auch eine schwarze Seite. Über seine frühe Zeit als Erzieher in Westfalen nämlich schwieg der Pater zeitlebens; Recherchen des Journalisten Peter Wensierski (erst im "Spiegel", dann in der "Zeit") zeigten eine Weile nach der letzten Messe, dass er wohl im rücksichtslosen System der „Heimerziehung“ der jungen Bundesrepublik allerhand Schuld auf sich geladen hatte. Diesen Vorwürfen stellte er sich, wenn überhaupt, nur ausweichend. Die Berliner Öffentlichkeit nahm davon wenig Notiz, die katholische Kirche schwieg; erst im Missbrauchsgutachten für das Erzbistum aus dem Jahr 2021 wurde sein Fall näher behandelt (hier als PDF, ab Seite 208). Intern hatte Vincens die Vorwürfe demnach stets zurückgewiesen.

Auch mit 72 setzte er sich nicht zur Ruhe, arbeitete als Krankenhausseelsorger in Lankwitz und engagierte sich für die Notfallseelsorge, die er zusammen mit den Spitzen von Polizei und Feuerwehr in Berlin überhaupt erst erfunden hatte. Er mischte sich ein, wo er Gottes Hand am Wirken sehen wollte, segnete aus Protest gegen die bevorstehende Zwangsräumung 2005 die 1065 Holzkreuze des Mauer-Mahnmals am Checkpoint Charlie.

Und auf Wunsch der Boulevardpresse empörte er sich gern in fachlichen Fragen, beispielsweise, als 2010 der prügelnde TV-Serienpriester „Lasko, die Faust Gottes“ eine täuschend echte Mönchskutte trug und sich damit des Missbrauchs klösterlicher Amtskleidung schuldig machte. Dann verschwand er langsam aus der Öffentlichkeit. Am 15. Juni ist Pater Vincens, 92 Jahre alt, in Berlin gestorben.

Anmerkung der Redaktion: Nach Erscheinen dieses Nachrufs sind wir durch einen Leserhinweis auf Aspekte in der Biografie von Pater Vincens aufmerksam geworden, die sein Leben in einem anderen Licht erscheinen lassen. Diese Passagen zu seiner Zeit als Erzieher haben wir inzwischen ergänzt.

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