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Verkauft weiter Möbel trotz Kündigung: Walter Lang will in Spandau bleiben. 

© Kitty Kleist-Heinrich

"Wir sind ja nicht gegen den Wohnungsbau": Warten auf den Gerichtsvollzieher

Warum können sie nicht mit dem Wohnungsbau koexistieren, fragen sich Gewerbetreibende in Spandau. Sie müssen dem Großprojekt "Waterkant Berlin" weichen. 

Die Bagger sind bereits am Werk: Ein Gewerbegebiet in Spandau wird abgerissen. Hier entsteht „Waterkant Berlin“, mehr als 2500 Wohnungen direkt an der Havel – die Berlin dringend benötigt, wie Senatorin Katrin Lompscher (Linke) beim Richtfest betont hatte. In ihrer Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen spricht man von einer „großflächigen Transformation des Westraums“ und einem „Wohnungsbaustandort von gesamtstädtischer Bedeutung“. 

In der Rhenaniastraße 35 entsteht Teilprojekt 3 der „Waterkant“, nicht direkt an der Havel gelegen. Dort sprechen Gewerbetreibende über das Ende ihrer wirtschaftlichen Existenz. Bis Ende Juni sollten sie das Gelände verlassen haben, so die Aufforderung der Wohnungsgesellschaft Gewobag, die alle Mietverträge gekündigt hat. Auf Anfrage sagte das kommunale Unternehmen, man unterstütze die Gewerbetreibenden „selbstverständlich bei der Suche nach Ersatzflächen“. 

"Uns allen ist bewusst, dass man Wohnungen braucht"

So einfach ist das allerdings nicht. Tischlermeister Thorsten Schwemmler darf als einziger Mieter noch bis September bleiben, dann geht es vor Gericht gegen die Gewobag. „Uns allen ist bewusst, dass man Wohnungen braucht. Aber nicht auf Kosten von funktionierendem Gewerbe“, sagt Schwemmler. 

Bis zu 100 Jobs sind gefährdet, Hallen und Gebäude mit einer Gesamtfläche von 9000 Quadratmetern waren seit mehr als 25 Jahre voll vermietet, 17 Gewerbemieter verfügten über insgesamt 33 Mietverträge. Einige von ihnen waren nicht zu erreichen oder wollten sich nicht zur Sache äußern. Sie hoffen auf gute Angebote für Ersatzflächen. 

Wohnen an der Havel: In Spandau entsteht "Waterkant Berlin". 
Wohnen an der Havel: In Spandau entsteht "Waterkant Berlin". 

© Kitty Kleist-Heinrich

Viele Gewerbetreibende zieht es nach Brandenburg. So wie Marco Skala von „Beekeepers“. Er hat in Berlin nichts gefunden und ist enttäuscht, den Standort verlassen zu müssen. Auch Schwemmler wurden andere Standorte angeboten, von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und der Gewobag. Jemand habe angerufen und sich nach dem Bedarf erkundigt, auf der anderen Havelseite gebe es Flächen – allerdings nicht für eine Tischlerei, das sei aus Gründen des Brandschutzes nicht möglich. 

Auf der Suche nach Ersatzflächen

Die Gewobag bot Schwemmler dann einen ehemaligen Supermarkt in einem Spandauer Wohngebiet an, aber der Tischler lehnte dankend ab: Über dem leerstehenden Markt sind mehrere Etagen mit Wohnungen, er hätte teure Ablüftungsanlagen und Emissionsschutz einbauen müssen. Schwemmler ging auch selbst auf die Suche: Aber kein Vermieter habe langfristige Verträge abschließen wollen, mehr als fünf Jahre Vertragslaufzeit sei nicht möglich gewesen – und er brauche mindestens zehn Jahre, sonst würden sich die Investitionen in den Umbau nicht rentieren. Am liebsten würde Schwemmler ohnehin in der Rhenaniastraße 35 bleiben. 

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So geht es auch seinem Nachbarn, dem Gartenmöbelhandel Lang, derzeit noch geöffnet trotz rechtskräftiger Kündigung zum 30. Juni. „Wir warten auf den Gerichtsvollzieher“, sagt Inhaber Walter Lang. Er versteht nicht, warum sein Geschäft nicht vor Ort bleiben könne, neben den Wohnungen. Auch, wenn es dann an einer anderen Stelle und viel kleiner sei, das würde Lang in Kauf nehmen. „Wir sind ja nicht gegen den Wohnungsbau. Aber müssen wir dafür vor Ort verschwinden und Arbeitsplätze aufgeben?“ 

Eine ehemalige Lagerhalle in der Rhenaniastraße wird abgerissen. 
Eine ehemalige Lagerhalle in der Rhenaniastraße wird abgerissen. 

© Kitty Kleist-Heinrich

Die Ersatzflächen, die ihm angeboten wurden, seien so schlecht, es sei schon unverschämt, diese überhaupt anzubieten. Die Hälfte seiner bisherigen Fläche von 500 Quadratmetern, viel teurer, aber vor allem: ohne Zufahrt für Lkw. Wie soll Lang da seine Waren in den Laden bekommen? Enttäuscht schaut er über das Gelände: Überall liegt Müll, viele Hallen stehen bereits leer. Früher hat Kaiser Wilhelm I. hier Kanonenpulver herstellen lassen. Maschinen- und Siebhaus stehen unter Denkmalschutz. 

Die Siebhalle steht unter Denkmalschutz: Hier hat Kaiser Wilhelm I. Kanonenpulver herstellen lassen. 
Die Siebhalle steht unter Denkmalschutz: Hier hat Kaiser Wilhelm I. Kanonenpulver herstellen lassen. 

© Kitty Kleist-Heinrich

Die Gewobag teilte auf Anfrage mit, man habe mit den Abrissarbeiten vor Ort begonnen, zu Rechtsstreitigkeiten mit Mietern wolle man sich nicht äußern. Es werde jedoch eine Durchsetzung der Räumungspflicht geben, die Coronakrise spiele hier keine Rolle. Bereits verlassen wurden die Räumlichkeiten des BMW Motorradclub Berlin-Spandau e.V.. Der Vorsitzende Peter Reiter hat ein Angebot der Gewobag angenommen: Ab September kann sein Verein in eine ehemalige Parkgarage im Saatwinkler Damm ziehen. Noch ist aber nichts unterschrieben. Die Vertragslaufzeit soll drei Jahre betragen. „Klar hätte ich gerne was Langfristiges oder wäre in der Rhenaniastraße geblieben. Angetan sind wir von dem neuen Ort nicht gerade.“ 

Debatte fand nicht statt - Parlamentsferien

Reiter ärgert auch, dass sein Vereinsheim abgerissen wird, obwohl das Abgeordnetenhaus die Änderung des Flächennutzungsplans noch gar nicht verabschiedet habe: Aus einem Mischgebiet für Gewerbe und Wohnen soll ein reines Wohngebiet werden. Am 30. Juni, also mit Ablauf der Mietverträge, hätte das Abgeordnetenhaus über die Änderung des Flächennutzungsplans debattieren sollen. Dies fand nicht statt – Parlamentsferien. Der Termin wurde auch nicht nachgeholt. 

Neues Wohngebiet: Mehr als 2500 Wohnungen entstehen in Spandau-Haselhorst.
Neues Wohngebiet: Mehr als 2500 Wohnungen entstehen in Spandau-Haselhorst.

© Kitty Kleist-Heinrich

Laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen sei dies auch nicht nötig: Es werde als vereinfachtes Verfahren geführt und daher dem Senat lediglich zur Beschlussfassung vorgelegt. Ein Termin für den Senatsbeschluss werde derzeit im Haus abgestimmt. Der Flächennutzungsplan könne von Bürgerinnen und Bürgern rechtlich gesehen nicht angefochten werden. Die Öffentlichkeitsbeteiligung sei bereits abgeschlossen, die Ergebnisse stünden einer Umsetzung des Projekts nicht entgegen. Die Änderung der Flächennutzung von Misch- in Wohngebiet schaffe die Grundlage für die Entwicklung des Wohnungsbaus und entspreche dem Ziel von Senat und Bezirk, dem steigenden Wohnungsbedarf der wachsenden Stadt gerecht zu werden. Es gebe hier keinerlei Planungsalternativen.

Senatsverwaltung rechnet mit "Verlagerung" des Gewerbes

„Waterkant Berlin“ trage zur Entlastung des Wohnungsmarktes des Bezirks und der gesamten Stadt bei. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung schreibt auch ganz deutlich: Durch die Umwandlung in ein reines Wohngebiet „ist mit einer Verlagerung der bestehenden Gewerbebetriebe zu rechnen“. Die Bereitstellung von Ersatzflächen sei nicht Bestandteil der Planungen. Das Bezirksamt Spandau und der zuständige Stadtrat Frank Bewig (CDU) reagierten nicht auf eine Tagesspiegel-Anfrage zum Thema.

Die betroffenen Gewerbetreibenden stört vor allem dieses Vorgehen der Senatsverwaltung: Würde diese das Gelände nicht vom Misch- zum Wohngebiet machen, könnten sie eventuelle vor Ort mit den Wohnungen koexistieren. 

Czaja: Arbeitsplätze gehen verloren

So sieht das auch der FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja: Waterkant Berlin könne unter Beibehaltung des Gewerbestandortes realisiert werden. Dem Land Berlin gingen hier unnötigerweise Arbeitsplätze und Steuereinnahmen verloren, weil man nicht bereit sei, eine gemeinsame Lösung zu finden. Er fordert den Senat auf, den Gewerbestandort Rhenaniastraße zu erhalten und die Planungen entsprechend anzupassen. „Rot-rot-grün betreibt die Entmietung der Gewerbeflächen ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Prosperität.“

Der Motordclub Spandau hat das Gelände bereits verlassen. 
Der Motordclub Spandau hat das Gelände bereits verlassen. 

© Kitty Kleist-Heinrich

Laut der Industrie- und Handelskammer zu Berlin (IHK) entstehen auf dem Areal der „Waterkant“ an der Rhenaniastraße 35 mit rund 3,5 Hektar Fläche gerade mal bis zu 220 Wohnungen. Die Kammer bat Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), sie möge eine Umwidmung einer gemischten Baufläche in eine Wohnbaufläche noch abwenden. Ihre Verwaltung bestätigt, sie habe dafür plädiert. Eine Nutzung der Gesamtfläche in Form von Wohnen und Gewerbe sei auch vorgesehen gewesen, die vorhandenen Gewerbetreibenden hätten bleiben können. Aber: „Leider fand diese Position unter wohnungspolitischen Zielsetzungen nicht die Mehrheit in Senat und Bezirk. Nunmehr sollen im Rahmen des bezirklichen Bebauungsplanverfahrens knapp 900 Wohnungen entstehen.“

Laut Gewobag sollen hier statt Gewerbe ein Park und Sportplätze wachsen. Man verbinde „naturnahes Wohnen mit Urbanität“. Visualisierungen zeigen großflächige Wiesen mit Joggern. Zudem soll es eine Quartiersgarage und einen Standort für einen Carsharing-Dienstleister geben – dort, wo sich bisher der Motoradclub traf, oder Walter Lang seine Möbel verkauft. Vielleicht entsteht hier aber auch das Gymnasium.

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