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Dirk Behrendt (Grünen) ist Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung in Berlin.

© Annette Riedl/dpa

„Grüne Dialektik, Bigotterie oder einfach Schnoddrigkeit“: Wie Berlins Grüner Justizsenator die Grundrechte eines Richters verletzte

Justizsenator Dirk Behrendt hat bei der Besetzung von Richterposten einen Bewerber in seinem Grundrecht verletzt. Das stellte das Oberverwaltungsgericht fest.

Jubel in der Berliner Justizverwaltung von Senator Dirk Behrendt (Grüne): Sprecher Sebastian Brux begrüßt eine Klarstellung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (OVG). Es habe „die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts“, auf die der Newsletter Checkpoint und der Tagesspiegel „bislang ihre Berichterstattung gestützt haben, für wirkungslos erklärt“, sagte Brux.

Tatsächlich aber hat das OVG die Berichte von Checkpoint und Tagesspiegel – anders als es Behrendts Sprecher suggerieren will – sogar  bestätigt. Es geht um einen Fall, der die Berliner Justiz seit Wochen bewegt und Zweifel nährt, wie genau es Behrendt mit dem Recht nimmt, insbesondere mit den Grundrechten.

Betroffen ist Andreas Dielitz, Vorsitzender Richter am Landgericht Potsdam, der dort große Verfahren geführt hat und auf CDU-Ticket Landesverfassungsrichter in Brandenburg war. Er hatte sich für einen von vier freien Posten als Vorsitzender Richter am Kammergericht beworben, war bester Bewerber, ging dennoch leer aus und klagte. Nun entschied das OVG: „Das Verfahren wird eingestellt.“ Doch die Kosten muss Behrendts Justizverwaltung tragen.

Denn nach Ansicht des OVG hat Behrendt, der als Justizsenator Recht und Gesetz besonders verpflichtet ist, Dielitz in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nach Artikel 19 des Grundgesetzes verletzt. Und er hat obendrein höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ignoriert. Das geht aus dem unanfechtbaren Beschluss des OVG hervor.

Behrendt hatte die vier besten Bewerber – mit Dielitz auf Platz eins – dem Richterwahlausschuss vorgeschlagen. Drei wurden gewählt, darunter ein Richter, den der Präsidialrat des Kammergerichts sogar als ungeeignet eingestuft hat. Dielitz verfehlte die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit. Behrendt verweigerte ihm dann aber den möglichen zweiten Wahlgang, bei dem nur eine einfache Mehrheit nötig gewesen wäre.

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Mit einem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht wollte Dielitz die Ernennung der anderen drei Bewerber vorläufig untersagen lassen, bis über seinen Fall entschieden ist. Die Verwaltungsrichter gingen davon aus, dass Behrendt stillhält. So ist es üblich, so wurde es der Justizverwaltung mitgeteilt.

Doch Behrendt hielt sich nicht daran – er ignorierte die Richter. Anstatt deren Beschluss abzuwarten, ernannte er die drei anderen Bewerber am 17. Dezember trotzdem. Doch das Verwaltungsgericht erfuhr nichts davon.

Es ordnete deshalb am 18. Dezember an, dass Behrendt die drei anderen Kandidaten vorerst nicht zu Vorsitzenden Richtern ernennen darf, bis über Dielitz‘ Bewerbung vom Gericht entschieden ist. Ansonsten bestünde für Dielitz die Gefahr, dass sein Anspruch auf ein ordentliches Bewerbungsverfahren vereitelt werde, stellte das Gericht fest.

Der Vorsitzende Richter am Landgericht Potsdam, Andreas Dielitz.
Der Vorsitzende Richter am Landgericht Potsdam, Andreas Dielitz.

© Ralf Hirschberger/dpa

Doch da hatte Behrendt bereits Fakten geschaffen, er ließ Dielitz' Rechtsanspruch und den Beschluss des Verwaltungsgerichts ins Leere laufen. Was Dielitz mit seiner Klage untersagen lassen wollte, hatte Behrendt kurz zuvor umgesetzt.

Dennoch hat Behrendts Justizverwaltung Beschwerde beim OVG eingelegt. Das musste das Verfahren aus einem einfachen Grund einstellen: Dielitz‘ Klage hatte sich durchs Behrendts Vorsprechen erledigt. Zugleich hat das Gericht aber über die Kosten für das Verfahren entschieden, die muss Behrendt tragen.

Justizverwaltung sieht keinen bewussten Rechtsbruch

Denn laut dem OVG-Beschluss war die Justizverwaltung verpflichtet, wegen Dielitz' Eilantrag die Beförderungen der übrigen Bewerber und Bewerberinnen zu unterlassen. Das OVG verweist dazu auch auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. An dessen Grundsätze hatte Behrendt sich nicht gehalten.

Das Kammergericht am Kleistpark in Berlin.

© Mike Wolff

Deshalb fragte der Tagesspiegel bei der Justizverwaltung nach, wie es Behrendt rechtfertigt, Dielitz in seinen Rechten verletzt zu haben? Und wie er es mit dem Ansehen der Gerichte und dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz hält, wenn er die Entscheidung von Gerichten nicht abwartet und damit das Recht Betroffener unterläuft?

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„Von einem bewussten Rechtsbruch kann vor diesem Hintergrund keine Rede sein“, sagte Behrendts Sprecher. Es sei darum gegangen, offene Stellen in mehreren Senaten des Kammergerichts zum Jahresbeginn besetzen zu können und die Arbeitsfähigkeit des Gerichts „in den schwierigen Zeiten der Pandemie“ aufrechtzuerhalten. Nun habe das OVG eine wichtige Rechtsfrage beantwortet, über die bislang kein Obergericht entschieden habe. Dies werde künftig berücksichtigt.

Sven Rissmann, rechtspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion.

© promo

Tatsächlich hat das OVG auf eine in Justizkreisen bekannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts verwiesen, in dem genau eine solche Frage längst geklärt war – und die auch Behrendts Verwaltung hätte kennen müssen.

Das sieht auch der Deutsche Richterbund so. Katrin Schönberg, Landesvorsitzende des Richterbundes, sagte, die Entscheidung des OVG treffe eine „eindeutige Aussage, dass der Senator in dieser Situation die anderen gewählten Richter und Richterinnen nicht hätte ernennen dürfen“. Schon zuvor war in der Justiz war von einem „kreativen Umgang“ des Senators mit dem Recht die Rede.  

Die Justiz kritisiert den Justizsenator

Sven Rissmann, Rechtsexperte der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, sagte dem Tagesspiegel, Behrendt habe einem Bewerber „de facto den effektiven Rechtsschutz“ genommen. „Es ist schlimm, dass die Justiz einem Justizsenator, der es als ehemaliger Richter wissen müsste, so etwas aufschreiben muss“, sagte Rissmann.

Sven Kohlmeier, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

© promo

„Wenn der Senator bewusst eine Gerichtsentscheidung nicht abwartet, stellt sich die Frage, wie ernst er und die Grünen es meinen mit dem Recht – oder ob sie es für ihre politischen Ziele zurechtbiegen“, sagte der CDU-Politiker weiter. Zur Erklärung der Justizverwaltung sagte Rissmann: „Da fehlen einem die Worte, ob das grüne Dialektik, Bigotterie oder einfach Schnoddrigkeit ist.“

Kritik vom Koalitionspartner SPD

„So einen Vorgang habe ich bislang nicht erlebt“, sagte Sven Kohlmeier, der seit zehn Jahren rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion ist. „Dieser Umgang zeugt nicht nur von einem schlechten Stil, er zeigt auch, welchen Stellenwert Justizpolitik für den Senator hat.“ Der OVG-Beschluss zeige „deutlich, dass die Justizverwaltung einen Fehler gemacht hat, sonst wären ihr die Kosten für das Verfahren nicht auferlegt worden.“

Die Justizverwaltung sieht nach dem OVG-Beschluss übrigens keinen Anlass dafür, Dielitz „erneut dem Richterwahlausschuss vorzuschlagen“. Vielmehr wolle sie jetzt „die notwendigen Voraussetzungen treffen, um die freigehaltene Stelle am Kammergericht zügig nachbesetzen zu können“. Damit ist der Bewerber gemeint, der auf Platz fünf im Auswahlverfahren gelandet war.

Gegenüber dem OVG hatte die Justizverwaltung noch ganz anders argumentiert: Dielitz könne seine Forderung, ebenfalls befördert zu werden auch anders erreichen: Indem er nämlich durchsetzt, dass der Senator ihn erneut dem Richterwahlausschuss erneut vorschlägt – in Konkurrenz zum Fünftplatzierten.

Behrendt dürfte nun eine weitere Klage drohen. Dielitz, der zwischenzeitlich auch für einen Posten am Oberlandesgericht Brandenburg gewählt, aber noch nicht ernannt wurde, wird diesen Umgang dem Vernehmen nach nicht auf sich sitzen lassen.

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