zum Hauptinhalt
Nirgendwo in Berlin sind sich die Menschen so uneinig wie an dieser Kreuzung in Pankow.

© Tagesspiegel Innolab

Vier Stimmbezirke, vier Wählerwelten: An dieser unscheinbaren Kreuzung zeigt sich die politische Zerrissenheit der Hauptstadt

Hier sanierter Altbau, da DDR-Plattenbauten – eine Straßenecke in Pankow steht exemplarisch für die Brüche und unterschiedlichen Milieus von Berlin. Die spiegelten sich auch im Wahlergebnis.

Berlin sei gespalten, heißt es seit der Wahl immer wieder. Vor allem CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner wird nicht müde, das zu betonen. „Berlin braucht eine Regierung, die die Stadt wieder zusammenführt“, sagt er. „Innen- und Außenstadt, Jung und Alt, Fahrradfahrer und Autofahrer müssen wieder miteinander versöhnt werden.“

Blickt man auf die Karte der Wahlergebnisse, zeigt sich die politische Spaltung der Stadt vor allem an einem Ort. An der Ecke Greifswalder Straße, Berliner Allee, Lehderstraße, Gürtelstraße prallen vier Stimmbezirke und Wohn- und Wählerwelten aufeinander. Hier sanierter Altbau, da DDR-Plattenbauten. Hier Zugezogene aus dem Westen, da Berliner Originale.

In der einen Ecke haben die Menschen ihr Kreuz mehrheitlich bei der CDU gemacht, in der anderen bei der SPD, hier gewinnen die Grünen, dort die Linken. Auf den Straßen drängeln sich Autos und Fahrräder. Trams und die nahe Ringbahn sind oft brechend voll. In keinem anderen Gebiet in Berlin driften die Zweitstimmenergebnisse so deutlich auseinander.

Die ganze Folge inklusive der Reportage hören Sie hier im Player* oder bei Spotify, Apple, Deezer und überall dort, wo es Podcasts gibt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

*aktivieren Sie hierfür den Button „externer Link“

Zwischen Berlinern und Zugezogenen

Am frühen Nachmittag ist nicht viel los. Direkt auf der Grenze zwischen grünem und schwarzem Stimmbezirk ist eine Kneipe, die „Bieroase“. Der Wirt wartet auf Kundschaft. Seine Stammgäste haben das Wahlergebnis mit Verärgerung aufgenommen. „Ich habe keinen hier erlebt, der sich nicht aufgeregt hat, dass die CDU Position 1 hat“, sagt er. Warum die Christdemokraten im Kiez trotzdem so gut abgeschnitten haben? „Wir haben hier viele Zugereiste, hier gibt es haufenweise Eigentumswohnungen. 80 Prozent der CDU-Wähler in Berlin werden solche Leute sein.“

Im Kiez ändert sich seit einigen Jahren die Bevölkerungsstruktur. Einerseits durch Verdrängung, andererseits durch demografischen Wandel. Die Fotografin sieht vor allem den Zuzug von jungen, wohlhabenden Familien kritisch. „Die sind da in ihrer Welt und gehen in Mitte oder Prenzlauer Berg einkaufen, weil sie da keine Wohnung bekommen haben, weil es so teuer ist“, erklärt sie. „Und wo sollen die Alteingesessenen einkaufen? Es gibt hier nur Billigläden, Trödelshops. Und eben die Barberläden.“

Mittlerweile zieren viele dieser Friseurläden die Berliner Allee. Im mehrheitlich grün-wählenden Kiez wohnen heute doppelt so viele Deutsche mit Migrationshintergrund wie noch vor fünf Jahren. Fragt man den Inhaber eines Barberladens nach seine Eindrücken zur Wiederholungswahl, schüttelt er nur mit dem Kopf. Ohne deutschen Pass dürfe er nicht wählen und sowieso: Politik und Religion seien in seinem Salon ein Tabu.

Zwischen Protest- und Nichtwählern

Gleich um die Ecke beginnt der Stimmbezirk, in dem die SPD die meisten Zweitstimmen sammeln konnte. Angesprochen auf die Berliner Politik, spricht ein Mann in Bauarbeiterkleidung über die Verkehrssituation im Kiez: „Es sollte weniger Autos geben. Die Alternative ist die Bahn – nicht das Fahrrad, auf dem man hier stirbt. Aber nur die Straßenbahn fährt hier regelmäßig. Und die Ringbahn ist eine Katastrophe!“

Das Thema Verkehr treibt auch die Menschen im Komponistenviertel um. Hier wurde mehrheitlich CDU gewählt. Eine Frau geht mit ihrem Hund Gassi und kritisiert die Fahrradfahrer: „Die fahren hier alle auf den Gehwegen, nehmen keine Rücksicht, sagen auch ihren Kindern nicht, wie sie fahren sollen. Das ist ein ganz großes Problem.“ Wählt man deshalb die CDU?

Ein Vater vermutet, dass die Wahlentscheidung bei vielen Menschen im Kiez Ausdruck des Protests war. „Ich glaube, dass viele mit der jetzigen Regierung unzufrieden sind und deshalb die CDU gewählt haben. Mein Sohn geht hier auf eine Schule, die ist relativ heruntergekommen. Sanierungsstau ohne Ende. Viele sagen: ‚Jetzt wollen wir mal was anderes in der Regierung haben‘. Ob es besser wird, ist natürlich die Frage.“

Bei anderen ist die Unzufriedenheit mit der Politik noch größer. Im SPD-dominierten Stimmbezirk lag die Wahlbeteiligung bei nur 55,4 Prozent. Der Wirt aus der Bieroase kennt einige Menschen, die gar nicht zur Wahl gegangen sind. Das macht ihn wütend. „Ich habe ihnen gesagt, dass das der größte Fehler ist, den sie machen können. Zurück kommt: ‚Keine Lust, ändert sich sowieso nichts, frustriert, was soll meine Stimme noch ändern?‘“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false