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Polizisten lösen eine Aktivistin der Gruppe „Letzte Generation“ von der Kreuzung Frankfurter Tor, die sich bei einer Sitzblockade mit einer Hand am Asphalt festgeklebt hat.

© Christian Mang / CHRISTIAN MANG

Update

Um Blockaden zu verhindern: Berliner SPD will Klimaaktivisten länger wegsperren

Berlins Innensenatorin Iris Spranger fordert, den Unterbindungsgewahrsam von 48 Stunden auf vier Tage zu verlängern. Die Koalitionspartner sehen das kritisch.

| Update:

Wegen der anhaltenden Blockaden von Klimaaktivisten ist in der rot-grün-roten Koalition ein Streit über ein schärferes Vorgehen entbrannt – mit möglichen Folgen über eine Wiederholungswahl hinaus. Die SPD will den sogenannten Unterbindungsgewahrsam verlängern und damit erneute Blockaden verhindern. Linke und Grüne lehnen das ab.

Innensenatorin Iris Spranger (SPD) forderte am Dienstag, den Unterbindungsgewahrsam von maximal 48 Stunden auf vier Tage zu verlängern. „Schön wäre es, wenn wir das länger als 48 Stunden machen könnten. Aber dafür müsste man das entsprechende Gesetz im Abgeordnetenhaus verändern“, sagte Spranger im RBB-Inforadio. Zugleich betonte sie, wie wichtig das Thema Klimawandel sei. Aber wie protestiert werde, „dafür habe ich natürlich überhaupt kein Verständnis“, sagte sie mit Blick auf die Blockaden.

Erst im vergangenen Jahr hatte die damalige Koalition mit denselben Bündnispartnern den möglichen Gewahrsam auf Druck von Grünen und Linken verkürzt. Bis dahin waren es bis zu vier Tage. Seither kann per Richterbeschluss ein Gewahrsam höchstens bis zum Ende des Tages nach der Festnahme verhängt werden.

Daran halten Linke und Grüne auch fest. Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) sagte dem Tagesspiegel zu Sprangers Vorstoß: „Ich sehe nicht, dass es dafür aktuell politische Mehrheiten gibt.“ Linke-Rechtsexperte Sebastian Schlüsselburg erklärte: „Eine Verlängerung des Polizeigewahrsams wird es mit der Linksfraktion nicht geben. Grund- und Freiheitsrechte werden wir sicherlich nicht als SPD-Wahlkampf-Sonderopfer auf dem Altar anachronistischer Fortbewegungsmittel darbringen.“

Linke-Innenpolitiker warnt vor „autoritären Reflexen auf die Klimaaktivisten“

Linke-Innenpolitiker Niklas Schrader warf Spranger vor, „klar auf CDU-Kurs“ zu sein. Beim Präventivgewahrsam sei es einst um schwerste Gewaltstraftaten gegangen, Spranger wolle es nun systematisch gegen Klimaaktivisten einsetzen. Die Halbierung des Gewahrsams durch die Novellierung des Sicherheitsgesetzes „werden wir jetzt nicht über den Haufen werfen, weil einige ihren autoritären Reflexen auf die Klimaaktivisten nicht widerstehen können“.

„Die Mehrbelastung der Polizei ist kein Anlass freiheitsentziehende Normen auszuweiten. Es wird in Berlin keine Verschärfung des Präventivgewahrsam geben“, sagte Grünen-Innenexperte Vasili Franco. „Freiheitsentzug ist das schärfste Schwert des Strafrechts, das gilt erst recht für eine Haft auf Verdacht. Ein Sonderstrafrecht für Klimaaktivisten ist rechtsstaatlich mit uns nicht zu machen.“ Die ganze Debatte löse nicht das zentrale Problem, „wie man mit den Menschen umgeht, die so verzweifelt sind, dass sie bereit sind, Straftaten zu begehen“.

Antje Kapek, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, sagte am Dienstagabend im rbb-Bürgertalk, wer den Weg des zivilen Ungehorsams gehe, der wisse im eben auch, dass das zu Strafen führt. „Das heißt aber nicht, dass ich die Strafen nachschärfen muss, sondern dass ich darauf vertrauen muss, dass im Zweifelsfall sowohl die Leute, die sich festkleben, als auch die Gerichte da ordentlich mit umgehen“.

Zuvor hatte Polizeipräsidentin Barbara Slowik der „Welt am Sonntag“ gesagt: „Berlin hatte bis 2021 auch vier Tage Gewahrsam zur Gefahrenabwehr vorgesehen. Das würde uns schon helfen.“ Die Möglichkeit für einen Gewahrsam von bis zu sieben Tagen würde „noch mehr“ helfen.

Slowik begründete ihren Vorstoß damit, dass für die Polizei eine „extreme zusätzliche Arbeitsbelastung“ durch die Proteste der „Letzten Generation“ entstehe. Die Polizei arbeite „mit allen Mitteln, die uns rechtsstaatlich zur Verfügung stehen, um unsere Stadt aus dem Würgegriff dieser Protestaktionen freizubekommen“.

Andere Polizeiaufgaben werden aufgeschoben

Durch die allein bislang geleisteten 130.000 Einsatzstunden habe die Polizei andere Aufgaben aufschieben oder verringern müssen – etwa die Verkehrsüberwachung, die Bekämpfung der Clankriminalität und die Kriminalitätsbekämpfung in den örtlich zuständigen Polizeidirektionen. Auch seien weniger Beamte im Nahverkehr unterwegs, die Umsetzung von Durchsuchungsbeschlüssen und Haftbefehlen leide.

SPD-Fraktionsvize Tom Schreiber warnte davor, die Forderung nach längerem Gewahrsam einfach beiseite zu schieben. „Wir sollten das, was die Polizeipräsidentin sagt, sehr ernst nehmen und ohne Scheuklappen darüber diskutieren. Es geht nicht um den Einzelfall, dafür kann man nicht das Gesetz ändern, eine ähnliche Debatte gibt es um Gefährder“, sagte Schreiber. Die alte Koalition habe sich auf einen kürzeren Gewahrsam verständigt, „ich habe das nicht für richtig gehalten“.

Ihm gehe es um eine praxisnahe Politik, sagte Schreiber. Er verwies auch auch auf Widerstände von Grünen und Linken beim Einsatz von Bodycams. „Die Bürger wollen, dass Probleme gelöst werden“, sagte der Fraktionsvize. Er zeigte sich aber skeptisch, dass vor einer Wiederholungswahl des Abgeordnetenhauses das Gesetz in Sachen Gewahrsam noch geändert werde.

Landeschef der Polizeigewerkschaft unterstützt Sprangers Vorstoß

Seit Beginn der Straßenblockaden Anfang des Jahres hat die Polizei nach Angaben der Innenverwaltung für mehr als 300 Personen einen Gewahrsam beantragt. In 41 Fällen haben Richter danach auch einen Gewahrsam erlassen. Dafür muss die Polizei nachweisen, dass Wiederholungsgefahr droht. Genau daran ist die Polizei jedoch auch in zahlreichen Fällen gescheitert. Laut Spranger sind wegen der Blockaden oder Aktionen in Museen bislang 2000 Strafanzeigen ausgestellt worden. Bei der Staatsanwaltschaft gebe es knapp 800 Vorgänge.

Stephan Weh, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) unterstützt den Vorstoß von Spranger. „Vier, fünf Tage Gewahrsam würden den präventiven Handlungsrahmen spürbar erweitern“, sagte Weh. „Grundsätzlich müssen wir feststellen, dass sich Protestformen stetig verändern und weiterentwickeln, wir folglich auch eine stetige Novellierung der gesetzlichen Regeln zur Gefahrenabwehr brauchen.“

Nötig sei aber auch, dass die Gewahrsamsregeln auch genutzt werden und „man nach mehrfacher Nötigung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nicht mit drei Beratungsgesprächen nach Hause geht“.

Stefan Schifferdecker, Landeschef des Deutschen Richterbundes, sagte dem RBB, es gehe auch darum abzuwägen, in welchem Verhältnis das Einsperren und eine Beschränkung der Demonstrationsfreiheit stehen. „Man muss bedenken, dass die Klima-Demonstranten ein verfassungsrechtlich geschütztes Demonstrations- und Versammlungsrecht ausüben.“

Unterstützung bekam Spranger von der Opposition. „Endlich wacht SPD-Innensenatorin Spranger auf. Es ist bedauerlich, dass die SPD nur auf öffentlichen Druck hin und nur angesichts einer möglichen Wahlwiederholung ankündigt, hier handeln zu wollen“, sagte CDU-Fraktionschef Kai Wegner. „Wie Bayern muss auch Berlin endlich mit längerem Unterbindungsgewahrsam reagieren. Wir dürfen nicht länger zulassen, dass eine kleine Minderheit immer und immer wieder die Stadt tyrannisiert.“

Auch die Liberalen können sich einen längeren Gewahrsam vorstellen. „Wir stehen dem grundsätzlich reserviert gegenüber. Doch die maximal 48 Stunden sind nicht geeignet, die Lagen in der Hauptstadt in den Griff zu bekommen“, sagte FDP-Innenexperte Björn Jotzo. Die Blockierer seien „intensive Wiederholungstäter“.

Einig sind sich alle jedoch in einem: Einen 30-Tage-Gewahrsam wie in Bayern, wo das Polizeigesetz auch deshalb vom Verfassungsgericht überprüft wird, will niemand – auch nicht Innensenatorin Spranger und Polizeipräsidentin Slowik.

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