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«Stop Zwangsräumung» steht am 25.02.2017 in Berlin auf dem Plakat, mit dem Demonstranten gegen steigende Mieten und mögliche Räumungen im Berliner Stadtteil Kreuzberg protestieren. Foto: Maurizio Gambarini/dpa ++ +++ dpa-Bildfunk +++

© picture alliance / Maurizio Gambarini/dpa

Exklusiv

Trotz Appellen in den Krisen: Zahl der Zwangsräumungen in Berlin geht nicht zurück

Senatoren appellierten sowohl in der Corona-Pandemie als auch in der aktuellen Krise an die Gerichte, auf Wohnungsräumungen zu verzichten. Offenbar ohne Wirkung.

In Berlin ist die Zahl der Wohnungsräumungen trotz Rufen nach richterlicher Milde fast stabil geblieben – für das laufende Jahr deutet sich sogar an, dass sie höher ausfallen könnte. Tatsächlich durchgeführte Räumungen werden erst seit dem vierten Quartal 2019 statistisch voll erfasst. Damals wurden 594 Berliner Wohnungen nach einem Urteil geräumt. Im Jahr 2020 waren es 1487, im Folgejahr 1423 Wohnungen.

Im ersten Halbjahr 2022 sind nun schon 914 Wohnungen betroffen. Die Zahlen stammen aus einer Antwort von Justizstaatssekretärin Saraya Gomis auf eine Anfrage des CDU-Rechtsexperten Alexander J. Herrmann, die dem Tagesspiegel vorab vorliegt.

Den Abgeordneten Herrmann stört, dass Justizsenatorin Lena Kreck und Sozialsenatorin Katja Kipping (beide Linke) im Oktober öffentlich ein Räumungsmoratorium forderten. Damit hätten sich die Politikerinnen in die richterliche Unabhängigkeit eingemischt. „Dabei sind solche politischen Appelle in der Praxis wirkungslos“, sagte Herrmann. „Die Zahl der Zwangsräumungen ist seit 2019 nicht zurückgegangen. Tatsächlich braucht es zur Entlastung des Wohnungsmarkts massiv Neubauten. Und hier liefert der rot-grün-rote Senat leider nicht.“

In den vergangenen Jahren waren meist Zahlen öffentlich geworden, die Räumungsurteile bezifferten. So war von bis zu 5000 Wohnungen pro Jahr die Rede, die zwangsgeräumt werden sollten, weil die Bewohner ihre Miete nicht zahlten. Dabei wurde nach Behördenangaben nicht dokumentiert, ob nach entsprechenden Urteilen auch tatsächlich geräumt wurde.

Sie dürfen sich nicht nach emotionalen Aufrufen richten und keine Streitpartei bevorteilen.

Stefan Schifferdecker, Berliner Landesvorsitzender des Deutschen Richterbundes

Die Senatorinnen Kreck und Kipping hatten im Oktober an die Gerichte appelliert, angesichts steigender Preise bei säumigen Mietern möglichst auf Zwangsräumungen zu verzichten. In einem von Justizsenatorin Kreck verschickten Schreiben an die Gerichtspräsidenten hieß es, man wolle Richterschaft und Gerichtsvollzieher sensibilisieren, damit diese in dieser turbulenten Zeit die „notwendigen und angemessenen Entscheidungen treffen können“.

Der Deutsche Richterbund hat den Appell als unzulässige Einflussnahme der Politik zurückgewiesen. Richter seien sich ihrer Verantwortung in Krisenzeiten bewusst, Recht und Gesetz aber verpflichte, teilte der Berliner Landesvorsitzende Stefan Schifferdecker mit: „Sie dürfen sich nicht nach emotionalen Aufrufen richten und keine Streitpartei bevorteilen. Wir würden auch Appelle der Immobilienwirtschaft zurückweisen, in deren Sinn zu entscheiden.“

Der Richterbund betonte, es sei Aufgabe der Politik, den Schutz vor Zwangsräumungen im Miet- und Sozialrecht zu regeln. Schon während der Höhepunkte der Corona-Pandemie hatten Linke-Politiker an die Justiz appelliert, Mieter durch Aussetzen von Wohnungsräumungen zu schützen.

„Aufgrund des Infektionsgeschehens“ und der damit verbundenen Notwendigkeit von „Quarantäne- und Isolierungsmöglichkeiten im häuslichen Bereich“, solle am besten auf Zwangsräumungen verzichtet werden, schrieb die von der Linken geführte Sozialverwaltung im Januar 2021 an die Justizstaatssekretärin, die sich wiederum an die Gerichte wandte und vorsichtig um „angemessene Entscheidungen“ bat. Zuvor hatte im Dezember 2020 Kultursenator Klaus Lederer (Linke) seinen damaligen Amtskollegen in der Justizverwaltung, Dirk Behrendt (Grüne), öffentlich gebeten, sich gegen das Räumen säumiger Mieter einzusetzen.

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