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Zusammenhalt. Manchmal hilft Zuhören, aber manchmal braucht es mehr. Der Tagesspiegel sammelt in seiner Spendenaktion für Angehörige von Suizid-Betroffenen.

© Getty Images/EyeEm / Chanintorn Vanichsawangphan / EyeEm

Spendenaktion „Menschen helfen!“: Wie ein Berliner Verein Angehörigen von Suizid-Betroffenen hilft

Etwa 400 Menschen nehmen sich in Berlin jährlich das Leben. Eine Beratungsstelle hilft den Hinterbliebenen. Der Tagesspiegel bittet um Spenden für seine Weihnachtsaktion.

Von Silvia Passow

Bei Frauen ist es oft ein Hilfeschrei, Männer setzen ihrem Leben gleich final ein Ende. Wie nur dem Betreffenden – und den Angehörigen helfen? Die Beratungsstelle für suizidbetroffene Angehörige (Besu) ist darauf spezialisiert und berät auch jene, deren Angehörige einen Suizid ankündigen. Zum 30-jährigen Bestehen seiner Spendenaktion „Menschen helfen!“ sammelt der Tagesspiegel auch für Besu.

Geschützter Rahmen

„In gängigen Trauergruppen fühlen sich Angehörige von Menschen, die einen Suizid begingen, oft nicht ganz wohl“, sagt Kerstin Großmann, Geschäftsführerin der Telefonseelsorge Berlin e.V. Dabei wäre besonders in diesen Fällen ein gegenseitiger Austausch unter Betroffenen nötig. Diesen Raum bietet Besu Berlin mit Gruppen, in denen Suizidhinterbliebene einen geschützten Rahmen zum Austausch untereinander finden.

Vom Verlassenwerden

„Eine Person, die freiwillig aus dem Leben geht, hinterlässt im Schnitt fünf bis sechs Angehörige“, erklärt Psychologin Bettina Schwab, Fachliche Leitung der Telefonseelsorge Berlin. „Wenn die Verzweiflung groß ist, können die Hinterbliebenen in ein tiefes Loch stürzen. In dieser Phase des Schmerzes ähneln die Symptome denen einer Depression. Was wir hier machen, ist also auch eine Präventionsmaßnahme“, führt sie weiter aus.

Telefonseelsorge war da

Die Besu ist die Tochter der Telefonseelsorge Berlin (Kontakt: Telefon 030 62732734 oder E-Mail an: mail@besu-berlin.de). 1956 wurde die Telefonseelsorge Berlin gegründet. Die erste in Deutschland, der Grund war die hohe Suizidrate. Berlin war damals die Hauptstadt der Selbsttötungen in Deutschland, erklärt Großmann. Entgegen dem, was der Name vermuten lässt, stand kein kirchlicher Träger hinter dem Vorhaben. Seele pflegen geht auch ohne Konfession, das ist bis heute bei der Telefonseelsorge Berlin so geblieben.

Bei Suizidgedanken helfen

Die überwiegende Mehrheit der Anrufenden hatte damals suizidale Absichten oder kannte jemand, der/die sich damit trug. Das änderte sich zwar später, dennoch blieb der Suizid oder die Absicht dazu ein Thema. Bevor die Besu gegründet wurde hatten rund 12 Prozent der Anrufe diesen Hintergrund. Initiiert wurde die Besu 2016 von Martina Kulms, die lange Jahre selbst dort tätig war.

Es war ihre Idee, Angehörigen von Menschen, die ihr Leben selbst beendeten, einen besonderen Raum und eine Beratungsstelle zu geben. Zu diesen Angehörigen gehört nicht nur die Verwandtschaft, es können auch Freunde, Kollegen oder Nachbarn sein, die unter dem Verlust besonders leiden.

400 Menschen nehmen sich in Berlin jedes Jahr das Leben. Die Zahlen sind, allen Prognosen zu den sich abwechselnden Krisen, rückläufig, sagt Anika Schoetzau. Sie und Frauke Dobek sind mit einem Team von Honorarkräften in der Besu tätig, hören den Hinterbliebenen zu, halten Tränen, Schweigen und Wut aus. Scham und Reue und besonders die Frage nach der Schuld. Die Schuld ist das große Thema, sagt Schoetzau.

Schuld kann auffressen.

Annika Schoetzau, Beratungsstelle Besu

„Schuld kann auffressen“, sagt sie, und genau das wollen sie hier gemeinsam verhindern. Es geht darum, einen Weg zu finden, mit der Trauer, den Fragen nach der Verantwortung und auch den Vorwürfen, die sich jemand selber macht oder die aus dem Umfeld kommen, weiterzuleben.

Etwa 600 bis 700 Beratungen finden im Jahr statt. „Die Not und der Bedarf sind groß“, sagt Großmann. Hier kann ausgesprochen werden, was sonst verschwiegen wird. „Was beim Thema Suizid so schief läuft ist, dass es niemand anspricht“, sagt Schwab.

Mythen um den Suizid

Dazu kommen viele Mythen rund ums Thema Selbsttötung. Eine davon lautet: „Wer mit Suizid droht, der macht das nicht“, berichtet Schwab und setzt kopfschüttelnd nach: „Stimmt absolut nicht.“ Auch die Theorie die dunkle Jahreszeit verleite zur Selbsttötung stimme nicht, sagen die Frauen. Die meisten Suizide geschehen zwischen Mai und August. Nicht schlechtes Wetter ist das Problem, sondern wenn es wieder schöner wird, wärmer, die Tage länger und draußen das Leben neu beginnt.

Jugendliche wissen nicht weiter

Auch die Frage, ob ein Abschiedsbrief vorhanden ist, mache nicht immer den großen Unterschied. Es gibt kein Alter, in dem Suizide nicht vorkommen. Kinder, Jugendliche, hoch Betagte, wenn das Gefühl „Ich kann nicht mehr. Ich schaff das nicht mehr. Ich halte das nicht länger aus, übermächtig wird, sollte schnell professionelle Hilfe geholt werden.

Nicht allein sein

Die Trauergruppen der Besu lassen die Angehörigen an deren ganz speziellen Tagen nicht allein, zum Beispiel, wenn der Geburtstag des verlorenen Menschen ansteht. Oder die Reise an einen Ort, den man davor immer gemeinsam aufsuchte, so manches lässt sich in der Gruppe besser ertragen, die Gemeinschaft fängt auf.

Nicht nur die Trauernden, auch Schoetzau sieht sich durch die Erfolge der Trauernden immer wieder neu motiviert, sagt sie. Zu sehen, wie Menschen sich nach einem solchen Schicksalsschlag wieder erholen, sei auch gut für ihre Seele, sagt sie und fügt hinzu, dass Trauern nicht nur aus Weinen besteht. Auch Lachen kann dazu gehören, wenn Erinnerungen an schöne gemeinsame Zeiten zurückkehren.

Hilfe für Helfende

Dennoch, wie hält man das aus? So viel Schmerz, Zweifel, Scham und Schuldgefühle an einem Ort? Sie haben einmal im Monat eine Supervision fürs ganze Team, sagt Großmann. Und damit meint sie auch die Kollegin der Verwaltung. Auf alle Situationen könne man nicht vorbereitet sein, manches ist schwer zu verarbeiten.

Neue Herausforderung

Eine neue Thematik für die Mitarbeitenden in der Besu ist der assistierte Suizid, der durch eine Reform im Juni 2022 im Bundestag beschlossen wurde. „Da hat die Politik die Angehörigen in der Planung schlicht vergessen“, sagt Schoetzau. „Wer kümmert sich um die Zurückbleibenden?“ Eine für die Gesellschaft völlig neue Situation sei das, sagt sie. Denn nun habe man nicht nur einen Angehörigen, der sterben wolle, man kenne auch das Datum, wann sie oder er aus dem Leben scheiden wird. Eine ganz besondere Belastung, schon im Vorfeld, sagt sie.

Das wünschen sie sich

Gutes Team. Anika Schoetzau und Frauke Dobek von der BeSu-Beratungsstelle für Angehörige von Suizidbetroffenen.
Gutes Team. Anika Schoetzau und Frauke Dobek von der BeSu-Beratungsstelle für Angehörige von Suizidbetroffenen.

© BeSu Berlin / BeSu Berlin

Die Beratung in der Besu ist gratis. Es tauchen keine Unterlagen oder Schriftstücke auf, die einen Aufenthalt in den Räumen belegen. Die Besu bekommt öffentliche Zuwendungen, die reichen jedoch nicht für alles aus, sagt Großmann. Und so ist man auch hier auf Spenden angewiesen. Die Räume der Besu liegen neben denen der Telefonseelsorge.

Ein freundlich wirkendes Gebäude in einer Neuköllner Seitenstraße, zweite Etage, leider ohne Fahrstuhl. Für ihre Klient:innen haben Großmann und ihre Mitarbeiter Kaffee, Tee und Mineralwasser da. Letzteres schleppen sie in Kästen die Treppen hinauf. Einfacher wäre ein Wasserspender, sagt Großmann. Und auch kostengünstiger und umweltfreundlicher. Die 1200 Euro für Mineralwasser, die jährlich anfallen, könnte die Besu dann für andere Dinge ausgeben.

In der Beratungsstelle für suizidbetroffene Angehörige arbeiten ausgebildete Fachkräfte. Ehrenamtliche sind in der Telefonseelsorge tätig, nachdem sie eine anderthalbjährige Ausbildung durchlaufen haben. In der Besu selbst wäre ein Hobbyhandwerker willkommen, es gäbe so einige Reparaturen, für die gerade das Geld fehlt.

Haben Sie dunkle Gedanken? Wenn es Ihnen nicht gut geht oder Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie sich melden können.

Der Berliner Krisendienst ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern variieren nach Bezirk, die richtige Durchwahl für Ihren Bezirk finden Sie hier.

Weiterhin gibt es von der Telefonseelsorge das Angebot eines Hilfe-Chats. Außerdem gibt es die Möglichkeit einer E-Mail-Beratung. Die Anmeldung erfolgt – ebenfalls anonym und kostenlos – auf der Webseite. Informationen finden Sie unter: www.telefonseelsorge.de. Diese ist zudem Tag und Nacht unter dieser Nummer erreichbar: 0800 1110111.

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