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„Sprechen Sie mit den Betroffenen“ empfiehlt Senatorin Kalayci als das wichtigste Kriterium für die Heimwahl.

© Kai-Uwe Heinrich

Senatorin Dilek Kalayci über Pflege: „Nicht warten, bis der Krisenfall eintritt“

Berlins Pflegesenatorin Dilek Kalayci über die Wahl eines guten Pflegeheims, den Sinn des Pflege-TÜVs und die Tagesspiegel-Umfrage zur Mitarbeiterzufriedenheit in Berliner Heimen.

Wenn Sie für einen Angehörigen einen Platz in einem Pflegeheim suchen müssten, welche Kriterien würden Sie heranziehen, um ein gut geeignetes Heim zu finden?

Wenn man einen Pflegebedürftigen in der Familie hat, ändert das die ganze Lebenssituation in ähnlich umfassender Weise, wie wenn man ein Kind versorgen muss. Und so, wie man bei letzterem zum Beispiel einen Kitaplatz braucht, ist es bei ersterem der Platz in einem Pflegeheim. In beiden Fällen braucht es vorher umfassende Recherchen, bevor man sich entscheidet.

Welche konkreten Tipps können Sie geben?

Der erste: Nicht zu warten, bis der Krisenfall Pflege eintritt. Denn dann ist es oft zu spät für Recherchen, um eine gute Entscheidung treffen zu können. Aber man kann selbst wenn es plötzlich passiert, den Einzug ins Pflegeheim noch hinauszögern, um sich ausreichend darauf vorbereiten. Der zweite Tipp: Das wichtigste Kriterium für die Auswahl des Heimes ist das Gespräch mit dem Betroffenen, was sie oder er sich wünscht. Ist ein urbanes Umfeld wichtig oder soll das Heim im Grünen liegen und einen großen Garten haben. Wie soll das Zimmer sein, will die Person ein Einzelzimmer oder den letzten Abschnitt mit jemandem teilen. Welche Angebote sind dem Betroffenen wichtig, musikalische zum Beispiel oder viele gemeinsame Ausflüge. Der dritte Tipp ist, die Einrichtungen vor der Entscheidung in Augenschein zu nehmen. Und um für die Besuche vor Ort eine Vorauswahl zu treffen, sollte man sich vorher informieren. Dafür gibt es zahlreiche Informationsquellen.

Zum Beispiel welche?

Wenn man das selbst tun möchte, gibt es zwei hauptsächliche Quellen. Die eine sind die Prüfberichte des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) – der sogenannte Pflege-TÜV, der Auskunft über die Qualität der Pflege gibt. Die Einrichtungen müssen diese auf ihren Homepages veröffentlichen. Die andere Quelle sind die Kontrollberichte der Heimaufsicht, die in Berlin auf der Homepage des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) veröffentlicht werden. Aber man kann in Berlin auch auf ein weit gespanntes Netz an Beratungsstellen – den sogenannten Pflegestützpunkten – zugreifen. In Berlin gibt es davon 36, die zu allen Fragen rund um die Pflege beraten - übrigens auch telefonisch unter der kostenlosen Servicenummer 0800 59 500 59. Und da kann man auch mit den Prüfberichten hingehen, um besser zu verstehen, was diese aussagen.

Allerdings nicht zu juristischen Fragen, also zum Beispiel dazu, wie ein Pflegevertrag aussehen muss oder wie man gegen Entscheidungen zur Pflegebedürftigkeit Einspruch einlegen kann.

Im Vordergrund steht bei den Pflegestützpunkten die sozialarbeiterische Beratung, die vor allem dabei unterstützen soll, mit den veränderten Lebensumständen zurechtzukommen. Und man darf nicht vergessen, dass auch die Pflegekassen beraten müssen.

Bei den Qualitätsprüfungen im Auftrag der Pflegekassen – dem sogenannten Pflege-TÜV – schneiden die meisten Berliner Pflegeheime mit Bestnoten mit einer 1 vor dem Komma ab. Steht also alles zum Besten in den Berliner Pflegeheimen?

Es stimmt schon, dass die Schulnoten der Berliner Pflegeheime fast immer „sehr gut“ sind, im Durchschnitt aller Pflegeheime und ambulanten Pflegedienste mit 1,1 sogar besser, als der Bundesdurchschnitt. So erfreulich das ist, so sind die „Schulnoten“, die der MDK vergibt, leider nicht so aussagekräftig, wie ich mir das vorstelle. Deshalb begrüße ich es, dass die Bundesregierung neue Prüfkriterien initiiert hat, die nicht nach Stichprobenprüfungen wie bisher gehen, sondern die Lebenswirklichkeit aller Bewohnerinnen und Bewohner in den Blick nimmt. Die werden ab Herbst 2019 vorliegen.

Es gibt noch eine Prüfinstanz in der Pflege: die Heimaufsicht. Im vergangenen Jahr haben Sie gesagt, dass die Berliner Heimaufsicht mehr unangekündigte Kontrollen durchführen werde. Und tatsächlich stieg der Anteil der unangekündigten Kontrollen von 18 auf 50 Prozent. Doch dafür wurden sehr viel weniger Heime überprüft. Ist diese Entwicklung in Ihrem Sinne?

Als ich Pflegesenatorin wurde, stand die Kritik im Raum, dass die Heimaufsicht viel zu häufig erst nach Voranmeldung prüfte. Ich habe deshalb die Vorgabe gemacht, dass mindestens die Hälfte aller Prüfungen ohne Voranmeldung durchgeführt wird. Da dies aber mit einem höheren Personalaufwand verbunden ist, habe ich zwei zusätzliche Stellen in der Heimaufsicht geschaffen, wo nun 26 Mitarbeitende tätig sind. Diese reichen aber noch nicht aus, um den Mehraufwand abzudecken, denn bei unangemeldeten Kontrollen müssen wegen des höheren Aufwandes zwei Mitarbeitende vor Ort sein, bei angemeldeten reicht einer. Deshalb sank die Zahl der kontrollierten Heime. Aber ich bin dabei, weitere Stellen zu schaffen, sodass dies nur eine vorübergehende Situation sein wird.

Sie haben mit großen Pflegeverbänden in der Stadt einen Pakt für Pflege geschlossen. Ziel dabei ist es unter anderem, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte zu erreichen. Wo sehen Sie derzeit hier die größten Mängel?

Wir haben ja gerade viel über Qualität in der Pflege gesprochen. Die ist sehr wichtig, nützt aber nichts, wenn Pflegekräfte fehlen. Der Pakt für Pflege soll sicherstellen, dass ausreichend Pflegenachwuchs ausgebildet wird und die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Pflege so attraktiv sind, dass sich Jugendliche gern für den Beruf entscheiden und dass sich die Pflegekräfte in ihrem Beruf wohlfühlen und nicht nach wenigen Jahren frustriert den Job hinwerfen. Das wichtigste Qualitätskriterium für ein Pflegeheim ist, dass dort genügend qualifizierte Pflegekräfte tätig sind – und das ist derzeit noch allzu oft nicht der Fall. Und nicht etwa, weil die Heime sie nicht einstellen wollen, sondern einfach weil es einen Mangel an Fachkräften gibt.

Dem Motto, gute Pflege herrscht dort, wo zufriedene Pflegekräfte arbeiten, folgt auch der Tagesspiegel. Erstmals werden für den neuen Pflegeheimvergleich die Pflegenden in den Heimen befragt, wie zufrieden sie mit den Arbeitsbedingungen sind. Sie unterstützen diese Befragung. Was erwarten Sie davon?

Ich freue mich wirklich sehr, dass der Tagesspiegel diese Befragung durchführt und fände es gut, wenn viele Berliner Pflegeeinrichtungen diese unterstützten. Ich bin auf die Ergebnisse gespannt. Wenn dabei Gravierendes zutage tritt, das noch nicht bekannt war, werde ich das selbstverständlich mit den Akteurinnen und Akteuren im Berliner Pakt für die Pflege besprechen und wir werden gemeinsam nach Lösungen suchen.

Das Gespräch führte Ingo Bach. Erstmals befragt der Tagesspiegel die Pflegekräfte in den Berliner Pflegeheimen zu ihrer Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen. Berlins Pflegesenatorin Dilek Kalyci und der Landesbezirk Berlin-Brandenburg der Gewerkschaft Verdi unterstützen die Befragung. Für die Verteilung der Fragebögen werden die Pflegeheime um Hilfe gebeten. Informationen zu den Bögen und wie man diese als festangestellte Pflegehilfs- oder -fachkraft eines Berliner Pflegeheimes auch direkt anfordern kann, gibt es per Mail an ingo.bach@tagesspiegel.de

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