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Martin Sonneborn zog 2014 als Satiriker ins EU-Parlament ein.

© W. Kumm/dpa

Europawahl am 26. Mai: Satiriker Martin Sonneborn – ein ernsthafter Konkurrent

Mit 0,6 Prozent zog er mit "Die Partei" 2014 ins EU-Parlament. Jetzt tritt der Ex-Titanic-Chefredakteur erneut an – und könnte bis zu vier Prozent holen.

Von Sabine Beikler

Er ist für die Einführung der Faulenquote in der Wirtschaft, den Bau neuer Mauern, für die Höchststrafe Führerscheinentzug bei Klimawandelleugnung und für Artenschutz für die Grünen: Martin Sonneborn wurde als Politclown verschrien, als er nach seinem Einzug ins EU-Parlament die Rotation einleiten wollte.

Der Plan: Die Parteimitglieder sollen monatlich zurücktreten, um 60 Kollegen in fünf Jahren „durchzuschleusen“ vor allem wegen des Geldes. „Wir melken die EU wie ein kleiner südeuropäischer Staat.“ Von dieser Idee nahm der 54-Jährige schnell wieder Abstand, zog mit seiner Familie nach Brüssel und wurde EU-Politiker, ohne Fraktion und inmitten einer illustren Schar von Rechtsaußen, Faschisten, Antisemiten aus osteuropäischen Ländern. Hinter ihm saß Udo Voigt von der NPD, der einen Sitzplatz hatte, dessen Nummer auf 88 endete, in der Szene Symbol für „Heil Hitler“.

Sonneborn war Mitglied im Kulturausschuss, in der Delegation für die Beziehungen zur Koreanischen Halbinsel und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Auswärtiges. Er wollte in den Kulturausschuss, „weil mir die Aufrechterhaltung des Zeitungswesens sehr am Herzen liegt“.

Im Laufe der Zeit registrierte er, dass dieser Ausschuss nicht sehr viel erreichen konnte. Und die „Krawallschachteln“ der rechtspopulistischen UKIP habe er mit ihren Äußerungen, dass die Leute in Nordschottland Hunger hätten, nicht mehr ertragen können. Und besuchte den Ausschuss seltener.

Sonneborn wollte die Gurkenkrümmungsverordnung für den Export deutscher Waffen

Im Parlament machte er sich stark für die Wiedereinführung der europäischen, 2009 abgeschafften Gurkenkrümmungsverordnung. In der Verordnung wurden Handelsklassen für Gurken definiert: Die Klasse „Extra“ bestimmte gut geformte Gurken mit einer maximalen Krümmung von zehn Millimetern auf zehn Zentimeter Gurkenlänge.

Und krumme Gurken waren Gurken mit einer Krümmung von über 20 Millimetern auf zehn Zentimeter Gurkenlänge. Nur wollte Sonneborn diese Verordnung nicht für Gurken, sondern für den Export von deutschen Waffen. Er forderte pro zehn Zentimeter Lauf zwei Zentimeter Krümmung.

Diese Idee habe er seinem CDU-Parlamentskollegen David McAllister geschildert. „Er fand, das sei eine sehr interessante Idee und ist dann in einen Aufzug gesprungen, der zufällig anhielt“, beschreibt Sonneborn diese Szene in seinem Buch „Herr Sonneborn geht nach Brüssel“.

Seine Vision: Ein Kerneuropa mit 27 Satellitenstaaten und Sonneborn an der Spitze

Als Stefan Eck von der Tierschutzpartei Sonneborn nach einer Unterschrift unter einem Formular für mehr Tierschutz fragte, bat Sonneborn im Gegenzug um eine Unterschrift für seine Gewehrkrümmungs-Idee, „um den Menschen zu helfen“. Der Tierschutz-Kollege unterschrieb nicht, weil er an die Sache „nicht mit Humor rangehen“ wollte.

Wegen mangelnder Unterstützung stellte Sonneborn in den vergangenen fünf Jahren keinen einzigen parlamentarischen Antrag, erlebte die intensive Lobbyarbeit der Industrie und Wirtschaft in Brüssel bei Champagner und Häppchen und propagierte seine Vision eines Kerneuropas mit 27 Satellitenstaaten und mit Sonneborn an der Spitze.

Beinahe wäre er mit EU-Parlamentariern nach Pjönjang gereist. Die Tickets gab es schon, nur luden die Nordkoreaner die Gruppe wieder aus. Sonneborn vermutet als Grund „erhöhtes diplomatisches Aufkommen“. Er schaute sich Rumänien unter der Ratspräsidentschaft an und reiste mit offizieller Einladung nach Armenien und in die Republik Arzach, bis 2017 Bergkarabach, wo er sehr viel Maulbeerschnaps trinken musste.

Er stimmte abwechselnd mit "Ja" und "Nein"

Seinem Wahlversprechen „Ja zu Europa, Nein zu Europa“ ist Sonneborn in den vergangenen Jahren treu geblieben. Er stimmte abwechselnd mit „Ja“ und „Nein“, gibt aber zu, dass er dieses „Stimmverhalten“ bei 20.000 Abstimmungen nur dann an den Tag legte, wenn es ohnehin deutliche Mehrheiten oder Ablehnungen im Parlament gegeben habe.

Er schrieb dem scheidenden Präsidenten der Ukraine, Petro Poroschenko, einen Unterstützungsbrief, als dieser den Bau einer Mauer zwischen der Ukraine und Russland ankündigte. Das habe ihn an die Mauerbau-Idee seiner „Partei“ erinnert, als sie 2004 gegründet wurde. Aber er wollte diese ein wenig uminterpretieren und forderte den Mauerbau mit einem kommunistischen Schreckensregime unter der Leitung von Gregor Gysi im Osten.

Die PARTEI ist sehr gut, zumindest für Europa reicht es. Und sie möchte die Demokratie in der EU einführen, notfalls gegen den Willen der Bevölkerung.

schreibt NutzerIn Rotfahrer

Ein "gut bezahlter Fremdenführer für politisch Interessierte"

Sonneborn und Gysi trafen sich einmal in der Manyo-Bar in Berlin und tranken vor Kameras gemeinsam Bier. Gysi soll nicht so erpicht darauf gewesen sein, ein solches Regime zu führen, erzählt er. Stattdessen soll ihm Gysi heimlich einen klaren Wodka in sein Bier geschüttet haben.

Sonneborn fühlt sich mitunter in Brüssel wie ein „gut bezahlter Fremdenführer für politisch Interessierte“. Er hat unendlich viele Mails von Bürgern beantwortet, Besuchergruppen durch Brüssel geführt und regen Austausch mit Studenten der Bucerius Law School gepflegt. Darüber hatte sich ein CDU-Abgeordneter beschwert. Dieser Brief wurde Sonneborn zugespielt – und veröffentlicht.

Nur vier Menschen grüßt er nicht im Parlament

Nach aktuellen Umfragen liegt „Die Partei“ zwischen zwei und drei Prozent. Da es keine Sperrklausel bei der Europawahl gibt, hat sie gute Chancen auf zwei Sitze für Sonneborn und Nico Semsrott. Zu zweit könnte man sich laut Sonneborn aufteilen: Einer ginge in eine Fraktion, der andere bliebe fraktionslos. Das wäre wohl Sonneborn, der sich ernsthaft in der nächsten Legislatur mit steigenden Rüstungsausgaben, der AfD und konstitutionellen EU-Fragen befassen will.

Martin Sonneborn bezeichnet sich als Humanist und höflichen Menschen. Nur vier Menschen grüßt er nicht im Parlament: Jörg Meuthen von der AfD und drei rechtsradikale Griechen der „Goldenen Morgenröte“, die, so Sonneborn, „das Horst-Wessel-Lied nur auf Griechisch singen können“.

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