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Kampf gegen Tierversuche: Rettungseinsatz für Katz und Maus

Die Zahl der Tierversuche in Berlin steigt rasant. Verbände wollen dagegen klagen – unterstützt von der Gesundheitssenatorin.

Berlin boomt als Standort für die Zukunftsbranche Biomedizin. Tatsächlich sind in den vergangenen Jahren viele Pharmafirmen und Forschungseinrichtungen in die Stadt gezogen. Der Trend lässt sich auch an der rasant gestiegenen Zahl der Tierversuche ablesen. Berlins Tierschützer machen dagegen Front: Sie wollen erreichen, dass sie als Verband gerichtlich gegen Tierversuche vorgehen können.

Bislang ist die Möglichkeit einer Verbandsklage für Tierschutzorganisationen weder bundesweit noch auf Landesebene vorgesehen. Versuche, ein solches Klagerecht im Bund durchzusetzen, scheiterten bisher. Nun streben die Tierschützer eine kleinere Variante an - eine Verbandsklage, begrenzt auf Berlin. Unterstützt werden sie dabei von Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) sowie von den Grünen und den Tierschutzexperten von SPD und Linke im Abgeordnetenhaus. Die Möglichkeit einer Verbandsklage auf Landesebene ist aber in der Koalition umstritten: Gegner sehen den Forschungsstandort Berlin gefährdet. Firmen könnten aus Furcht vor Klagen in andere Bundesländer abwandern.

Die jüngste Statistik des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, bei dem alle Tierversuchsprojekte beantragt werden müssen, hat den Tierschutzbeauftragten des Senats, Klaus Lüdcke, alarmiert. 2007 starben 349.240 Tiere in den Forschungslabors großer Pharmafirmen und Uni-Institute - 55.000 mehr als im Jahr zuvor. Dies ist ein Anstieg von 16 Prozent. Dass etwa 81 Prozent der Versuchstiere Mäuse sind, vermag die Tierschützer nicht zu besänftigen - zumal auch Kaninchen, Ratten und Vögel noch zu Tausenden eingesetzt werden sowie hunderte größere Tiere wie Hunde oder Schweine. "Berlin gilt als Hauptstadt der Tierversuche", sagt Lüdcke. Und der Tierschutzexperte der SPD-Fraktion, Daniel Buchholz, hat ausgerechnet, dass inzwischen etwa zwölf Prozent aller Tierexperimente in Deutschland an der Spree gemacht werden.

Mit ihrem Widerstand gegen Tierversuche wollten die Tierschützer diesen Gewinn an Arbeitsplätzen und Wirtschaftskraft keineswegs gefährden, betont Buchholz. Die gemeinnützigen Tierschutzverbände würden durchaus anerkennen, "dass bestimmte Experimente für bessere Medikamente unverzichtbar sind." Viele Versuchsziele könnten allerdings schon heute durch alternative Forschungsmethoden ohne den Einsatz von Tieren erreicht werden (siehe Kasten) - nur darum gehe es den Tierschützern. "Mit einer Verbandsklage wollen wir Präzedenzfälle vor Gericht bringen, die wissenschaftlich unbegründet erscheinen oder Tieren zu viel Leid zufügen", ergänzt Berlins Tierschutzbeauftragter Lüdcke. Man denke nicht daran, "pauschal gegen Tierversuche zu klagen."

Berlin will das "Bremer Modell" nicht

Bei ihrem Einsatz für eine Verbandsklage orientieren sich die Tierschützer an den Möglichkeiten im Naturschutz. Denn bei strittigen Fragen in diesem Bereich können die gemeinnützigen Naturschutzorganisationen bereits seit 2002 als Verband klagen. Das ist bundesweit einheitlich geregelt. So geht der Bund für Umwelt- und Naturschutz beispielsweise vor Gericht gegen den Ausbau des Sacrow-Paretzer Kanals vor oder gegen die vorgesehene Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide bei Wittstock als Luftwaffenübungsgelände. Einzelpersonen wäre es nicht möglich, eine solche Klage einzureichen, da sie nicht persönlich betroffen sind.

Im vergangenen September versuchten Berlin, Bremen und Rheinland-Pfalz auf einem Treffen der Gesundheitsminister der Länder, die gleiche Klagemöglichkeit für den Tierschutz durchzusetzen. Doch die übrigen Bundesländer stimmten dagegen. Rheinland-Pfalz will die Forderung nun im Bundesrat einbringen, während Berlins Naturschützer auf Landesebene aktiv werden. Ihr Vorbild ist der Stadtstaat Bremen. Dort ist eine Verbandsklage seit Anfang 2008 möglich. Das Landestierschutzgesetz wurde entsprechend ergänzt. Einige Klagen sind schon in Vorbereitung - nicht nur gegen Tierversuche, sondern auch gegen die Lebendhaltung von Hummern in Restaurants oder "die Quälerei" von Zirkustieren.

Ein Antrag der Grünen im Abgeordnetenhaus, das "Bremer Modell" auf Berlin zu übertragen, stieß kürzlich aber bereits im Rechtsausschuss auf Ablehnung. Die Mehrheit befürchtete wirtschaftliche Nachteile für die Stadt. Auch der "Verband Forschender Arzneimittelhersteller" warnt vor Klagen, "die Forschungsvorhaben verzögern und Firmen im Wettstreit benachteiligen könnten." Eine Sprecherin des Berliner Pharmakonzerns Bayer-Schering hält eine Verbandsklage zudem für "völlig überflüssig". Die Tierschützer seien ohnehin schon an der Genehmigung von Tierversuchen beteiligt. Sie verweist auf die sogenannte Tierversuchskommission im Landesamt für Gesundheit und Soziales. Diese prüft jeden Versuchsantrag und beeinflusst maßgeblich die Entscheidungen der Behörde.

Tatsächlich sitzen in der siebenköpfigen Kommission auch drei Tierschutzvertreter. Doch diese sind, wie es heißt, häufig frustriert, weil sie nur wenige Versuchsvorhaben verhindern können. Die Verbandsklage soll ihren Einfluss stärken.

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