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Der Unfallort. Der Renault Clio wurde völlig zerstört. Schon vorher kam es an der Stelle zu schweren Unfällen.

© Maurizio Gambarini/dpa

Update

Polizist Peter G. wieder vor Gericht: Neuer Prozess um den Tod von Fabien Martini

Am 29. Januar 2018 starb Fabien Martini im Alter von 21 Jahren bei einem Unfall in Berlin. Der Prozess gegen den Polizisten Peter G. wird nun neu aufgerollt.

Dreieinhalb Jahre nach dem Unfalltod von Fabien Martini wird der Prozess gegen den Polizisten Peter G. wegen fahrlässiger Tötung nun neu aufgerollt. Das Amtsgericht Tiergarten hatte G. im Dezember 2020 zu einem Jahr und zwei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

An diesem Donnerstag beginnt die Berufungsverhandlung, angesetzt sind dafür 20 Verhandlungstage bis zum 20. Januar. Fabien Martini war am 29. Januar 2018 gestorben, nachdem der von G. gesteuerte Streifenwagen mit 91 Stundenkilometern seitlich in ihren Kleinwagen krachte. Fabien Martini hatte keine Chance, sie erlag ihren schweren Verletzungen noch am Unfallort.

Im Gegensatz zum Amtsgericht, das acht Verhandlungstage benötigte, hat die Berufungskammer am Landgericht bereits 20 Tage angesetzt. Die Zeugenaussagen und Verhandlungen sollen offenbar entzerrt werden, hieß es.

Noch offen ist, ob alle Zeugen erneut gehört werden. Darüber dürften sich alle Seiten – Staatsanwaltschaft, Verteidiger und die Nebenklagevertreter der Eltern von Fabien Martini – gleich zu Prozessbeginn verständigen.

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Die Eltern hoffen darauf, dass diesmal auch die Patientenakte von Peter G. vom Gericht als Beweis zugelassen wird – um dem Alkoholverdacht gegen G. zu prüfen. Die erste Instanz hatte das abgelehnt, denn nach der Strafprozessordnung unterliegen derlei Unterlagen dem Beschlagnahmeverbot.

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Im Sommer 2018 waren die Ermittlungen zu dem Unfall fast abgeschlossen, dann gab es Hinweise aus der Charité an den Anwalt der Eltern. Erst wollte die Staatsanwaltschaft dem nicht weiter nachgehen, denn auch sie weiß, dass sie Patientenakten von Beschuldigten nicht einfach beschlagnahmen darf.

Die Anklage wirft dem 53-jährigen Beamten fahrlässige Tötung vor.
Die Anklage wirft dem 53-jährigen Beamten fahrlässige Tötung vor.

© Paul Zinken/dpa

Die Staatsanwaltschaft tat es mithilfe eines Richterbeschlusses und wegen einem fingierten Verfahren gegen Charité-Personal trotzdem. Beschluss und Beschlagnahme waren rechtswidrig, wie das Amtsgericht später feststellte.

Ärztliche Schweigepflicht, die Grundrechte des Angeklagten auf informationelle Selbstbestimmung und Privatsphäre sowie das Rechtsstaatsprinzip seien grundlegend verletzt worden. Daher ließ das Amtsgericht den Anklagevorwurf der Gefährdung des Straßenverkehrs durch Trunkenheit nicht zu.

Das Ergebnis der Blutprobe ist bislang nicht verwertbar

Das Klinikpersonal will den Akten zufolge Alkoholgeruch bei dem Polizisten festgestellt haben, bei ihm war eine Blutprobe entnommen worden. Demnach soll der Beamte ein Promille Alkohol im Blut gehabt haben, gemessen in einer zwei Stunden nach dem Unfall entnommenen Probe, die vernichtet wurde.

Die Unfallswracks in der Grunerstraße in Berlin-Mitte.
Die Unfallswracks in der Grunerstraße in Berlin-Mitte.

© imago/Olaf Selchow

Überprüfbar ist das wegen des Verwertungsgebots nicht mehr. Die Polizei wird seit Bekanntwerden der Hinweise vorgeworfen, Beamte hätten aus Korpsgeist die mögliche Alkoholisierung ihres Kollegen bewusst vertuscht.

Begünstigt wurden derlei Vertuschungsvorwürfe auch, weil die Verkehrsermittler nicht ins Krankenhaus fuhren, belastende oder entlastende Beweise zu einer möglichen Alkoholisierung wurden nicht gesucht.

Mit 93 statt 131 Stundenkilometer hätte Peter G. rechtzeitig bremsen können

Andererseits haben die Zeugen in erster Instanz übereinstimmend erklärt, keinen Alkoholgeruch bei G. bemerkt zu haben. Beteiligte Beamte wiesen Vertuschungsabsichten zurück. Auch der Unfallgutachter konnte anhand der vom Bordcomputer aufgezeichneten Daten aber auch keinerlei verzögertes Reaktionsvermögen erkennen, wie es bei Betrunkenen zu beobachten wäre.

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Der Unfallhergang ist immerhin so tiefgehend technisch untersucht worden, wie es selten der Fall ist. Der Unfallsachverständige und das Gericht konnten sich unabhängig von Aussagen der Zeugen auf eine breite Faktenlage stützen. Beide Fahrzeuge hatten einen Unfalldatenspeicher. Fahrlinien, Geschwindigkeit - alles liegt vor, sogar zwei Videos.

Die damals 21-Jährige war in der Grunerstraße in Mitte Richtung Potsdamer Platz unterwegs. G. war mit dem Polizeiwagen durch den Grunertunnel mit 131 Stundenkilometern gefahren, er war mit Martinshorn und Blaulicht unterwegs.

Ein Jahr danach. Die Eltern von Fabien Martini wenden sich in ihrer Trauer und Wut jetzt an die Öffentlichkeit.
Ein Jahr danach. Die Eltern von Fabien Martini wenden sich in ihrer Trauer und Wut jetzt an die Öffentlichkeit.

© Stefan Jacobs

Die Polizei war wegen eines Raubes alarmiert worden – ein Fehlalarm, wie sich erst später herausgestellt hatte. Fabien Martini war langsam von rechts über die Fahrbahn nach links zu den damaligen Parkplätzen auf der Mittelinsel gefahren. Ob sie geblinkt hat, ließ sich nicht mehr überprüfen.

Um noch rechtzeitig bremsen zu können, hätte G. nur 93,7 Stundenkilometer fahren dürfen, stellte das Amtsgericht im ersten Urteil fest. Demnach habe G. den Tod der Frau „kausal verursacht“.

Er habe die „erforderliche Sorgfalt in ganz erheblichem Maße außer Acht gelassen“. Neben der Verletzung der Sorgfaltspflicht sei durch die Raserei an dieser Stelle „der Tod der Fabien Martini subjektiv vorhersehbar gewesen“.

Der Tod von Fabien Martini und der Fall Peter G.

Ein „etwaig ebenfalls verkehrswidriges Verhalten“ von Fabien und der „Mitschuldvorwurf“ – sie hätte sich „vorher vergewissern müssen, dass die Fahrbahn (…) frei war“ – ändere daran nichts, entschied das Gericht.

Einige Zeugen hatten erklärt, dass sie das laute Martinshorn des Streifenwagens gehört und sich gewundert hätten, warum Fabien Martini nicht gewartet hat, bis das Polizeiauto vorbei ist.

Gedenken für Fabien Martini. Zum ersten Jahrestag des Todes der 21-Jährigen versammelten sich Angehörige und Freunde der jungen Frau am 29. Januar an der Unglücksstelle nahe dem Alexanderplatz.
Gedenken für Fabien Martini. Zum ersten Jahrestag des Todes der 21-Jährigen versammelten sich Angehörige und Freunde der jungen Frau am 29. Januar an der Unglücksstelle nahe dem Alexanderplatz.

© RubyImages/F. Boillot

Fabien Martini wäre am Sonntag 25 Jahre alt geworden. Die Eltern erklärten dem Berliner Kurier: „Wir haben die große Hoffnung, dass Fabi in diesem Verfahren endlich Gerechtigkeit widerfährt.“

Kenner des Verfahrens rechnen nicht damit, dass sich an der Feststellung der Schuld von Peter G. im neuen Prozess etwas ändert, zumindest beim Strafmaß könnte sich bei einem neuen Urteil etwas ändern.

Peter G. war zwischenzeitlich wieder im Dienst, ist aber wieder krankgeschrieben. Für die Kosten des Verfahrens – Gutachter, Nebenklageanwälte, seinen Anwalt – wird er wohl sein Leben lang bezahlen.

„Die Folgeermittlungen zur rechtswidrig beschlagnahmten Patientenakte im Strafverfahren waren verwertbar“, sagt Mirko Prinz, Vorsitzender es Polizei-Berufsverbands Unabhängige.

Berufsverband "Unabhängige": Umstände sprechen gegen Alkoholisierung

„Und die Ermittlungen hatten ergeben, dass eine Alkoholisierung zum Zeitpunkt des Unfalls nicht vorgelegen haben kann", sagte Prinz. „So hatte ein unbeteiligter Passant, der als Ersthelfer zum Unfallort geeilt ist, ausdrücklich bekundet, keine Alkoholisierung von Peter G. festgestellt zu haben und dafür aus eigenem familiären Hintergrund besonders sensibel zu sein.“

Auch die Umstände des Unfalls - zur Mittagszeit gegen 13 Uhr, eine Einsatzfahrt mit Sonder- und Wegerechten - sprächen nicht für eine Alkoholfahrt, sagte Prinz.

Vielmehr „hatte zum damaligen Zeitpunkt niemand in Betracht gezogen, dass eine Alkoholisierung des Polizeibeamten überhaupt relevant werden könnte“, sagte Prinz. „Aus dieser Erfahrung heraus wird nunmehr bei allen Verkehrsunfällen mit Polizeibeteiligung standardisiert eine entsprechende Überprüfung veranlasst.“

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