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Der angeklagter Polizist steht in einem Gerichtssaal im Amtsgericht Tiergarten. Die Anklage wirft dem 53-jährigen Beamten fahrlässige Tötung vor. Foto: /dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© Paul Zinken/dpa

Entscheidung im Fall Fabien Martini: Warum die Schuldfrage nicht nur Polizist Peter G. trifft

Im Prozess zum Unfalltod von Fabien Martini steht ein Urteil bevor. Es geht nicht mehr nur um die Schuld des Polizisten. Ein Rückblick auf die Verhandlung.

Christian Martini ist wütend, einmal verlässt er bei laufender Verhandlung sogar den Gerichtssaal, als es um den Polizeischutz für den Angeklagten geht. Seit Ende Oktober saß Martini im Amtsgericht Tiergarten jenem Polizisten gegenüber, der den Tod seiner Tochter Fabien verursacht hat.

„Er soll sich nie bei mir blicken lassen, das wäre nicht gut, für ihn nicht gut, für mich nicht gut“, sagte Christian Martini schon am ersten Prozesstag. „Ihm war völlig egal, wer noch draufgehen kann.“

Am Dienstag nun sollen die Plädoyers in dem Prozess gegen Hauptkommissar Peter G. gehalten werden, spätestens am Mittwoch soll das Urteil ergehen. Die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung.

Die Entscheidung der Richter wird den Schmerz der Eltern nicht lindern können. Nach allem, was im Prozess lief, wird sich das Gericht auch mit der Frage befassen, welchen Anteil die damals 21 Jahre alte Fabien Martini selbst an diesem für sie tödlichen Unfall hatte – und welche Schuld den Polizisten trifft.

Es war der 29. Januar 2018. Kurz nach Mittag fuhr G. im Streifenwagen mit einem Kollegen zum Einsatz. Die Polizei war wegen eines Raubes alarmiert worden. Ein Fehlalarm, wie sich später herausstellte. Mit Blaulicht, Martinshorn und Tempo 130 ging es durch den freien Tunnel in der Grunerstraße, dann sah G. den weißen Renault Clio von Fabien Martini in selber Fahrtrichtung.

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Andere Autos waren nicht unterwegs. G. bremste einmal leicht, machte dann eine Vollbremsung, als Martini plötzlich von rechts nach links über die gesamte Fahrbahn zu den Parkplätzen auf den Mittelstreifen zog. Beim Aufprall war der Einsatzwagen 93 Stundenkilometer schnell, Fabien Martini erlag noch am Unfallort ihren Verletzungen.

Ein Jahr danach. Die Eltern von Fabien Martini wenden sich in ihrer Trauer und Wut jetzt an die Öffentlichkeit.

© Stefan Jacobs

Über den zwischenzeitlich erhobenen Alkoholverdacht bei Peter G. wird das Gericht nicht entscheiden. Im Sommer 2018 waren die Ermittlungen fast abgeschlossen, dann gab es Hinweise aus der Charité an den Anwalt der Eltern.

Erst wollte die Staatsanwaltschaft dem nicht weiter nachgehen, später ließ sie die Patientenakte beschlagnahmen – rechtswidrig, wie das Gericht bereits vor Prozessbeginn festgestellt hat.

Erweitertes Schöffengericht wegen aufgeheizter Stimmung

Klinikpersonal will den Akten zufolge Alkoholgeruch bei dem Polizisten festgestellt haben - deshalb die Blutentnahme. Für Alkoholtests nach Verkehrsunfällen gelten aber schärfere Regeln. Die Patientenakte ist nicht verwertbar, hat keine Beweiskraft.

Die Verkehrsermittler fuhren aber auch nicht zu G. ins Krankenhaus, belastende oder entlastende Beweise – Fehlanzeige. Es kamen Vertuschungsvorwürfe auf. Und im Prozess gab es keinen Zeugen, auch nicht der Beifahrer, der Alkoholgeruch bei G. bemerkt hat.

Polizisten und Feuerwehrmänner am Unfallort.

© picture alliance / Gambarini

Los wurde G. den Alkohol-Vorwurf dennoch nie: Als „Suff-Cop“ und „Totraser“ wurde er in den Medien bezeichnet, im Internet als Mörder. Die öffentliche Meinung stand und steht gegen ihn, das Urteil schien klar.

Aber weil Volkes Zorn nicht Recht ist, weil all die Berichte auch die Schöffen beeinflusst haben könnten, zog das Gericht einen Schutzriegel vor. Statt eines normalen Schöffengerichts mit einem Richter und zwei Schöffen ist für den Fall ein erweitertes Schöffengericht gebildet worden – zwei Richter, zwei Schöffen.

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Beim Patt entscheidet die Stimme des Vorsitzenden Richters. Und das Landeskriminalamt ordnete Schutzmaßnahmen für den Angeklagten an – wegen massiver Anfeindungen in den sozialen Medien.

Nach der Beweisaufnahme im Prozess geht es um die Frage, ob Peter G. mit 130 Stundenkilometern zu schnell unterwegs war und damit fahrlässig Fabien Martini getötet hat. Verkehrsrechtlich geht es zudem darum, ob er auch mit 93 Stundenkilometern zu schnell gewesen wäre. Das wäre die für G. günstigste Berechnung.

Tödlicher Unfall. In dem Kleinwagen starb eine 21-Jährige.

© imago/Olaf Selchow

Mit diesem Tempo wäre der Unfall laut Aussage des Unfallsachverständigen vermeidbar gewesen. Selten wird ein Unfall so tiefgehend analysiert und technisch ausgewertet wie in diesem Fall, beide Fahrzeuge hatten einen Unfalldatenspeicher. Fahrlinien, Geschwindigkeit, alles liegt vor, sogar zwei Videos.

Kurz vor dem Einbiegen von der Karl-Marx-Allee in die Otto-Braun-Straße hatte Fabien eine Nachricht am Handy geschrieben. 26 Sekunden vor dem Unfall erhielt sie selbst eine Nachricht, sie war im Sperrbildschirm zu sehen. In der Grunerstraße bemerkten mehrere Passanten das Martinshorn des Streifenwagens von Peter G., einige wunderten sich, warum Fabien Martini nicht wartete.

Wie Gerichte in anderen Fällen entschieden haben

Erhellend ist ein Blick auf andere Gerichtsentscheidungen zu Polizisten, die Unfälle im Einsatz verursacht haben. Im Juli entschied das Amtsgericht über einen Beamten, der eine Autofahrerin bei einem Unfall schwer verletzt hatte. Er war wegen fahrlässiger Körperverletzung angeklagt.

Der Polizist war im November 2018 in Neukölln mit Blaulicht und Martinshorn unterwegs zu einem Überfall auf einen Supermarkt. Die Ampel zeigte Rot, der Polizist war 89 Stundenkilomenter schnell. An einer Kreuzung kam eine Frau im Kleinwagen bei für sie grüner Ampel von rechts, der Streifenwagen raste ihr mit Tempo 77 in die Seite.

Der Tod von Fabien Martini und der Fall des Polizisten Peter G. 

Das Gericht sah unglückliche Umstände: An der Kreuzung war ihr Blick nach links durch einen Lkw verdeckt, sie hörte laut Musik, bemerkte die Polizei nicht. Am Ende musste der Beamte 1200 Euro zahlen, das Verfahren wurde eingestellt.

In einem anderem Fall musste ein Polizist 6300 Euro – 90 Tagessätze zu 70 Euro – zahlen. Er war mit 74 bis 87 Stundenkilometern unterwegs – zu schnell, entschied das Amtsgericht Potsdam 2019.

An einer Kreuzung fuhr ein Rentnerpaar bei Rot über die Ampel, der Polizeiwagen krachte hinein, die Rentner starben. Im Fall Fabien Martini gab es keine Kreuzung, keine rote Ampel. Musste G. damit rechnen, dass Martini plötzlich über die gesamte Fahrbahn rüberzieht?

Und war seine Geschwindigkeit auf freier Strecke angemessen? Die Eltern von Fabien Martini werden wohl in ihrer Trauer keine Erlösung finden können durch die Gerichte. Peter G. wird wohl niemals mehr richtig Dienst tun können.

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