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Der Angeklagte Maurice P. vor Gericht.

© imago images / Foto: imago/Olaf Wagner

Neuköllner Neonazi nach Messerangriff vor Gericht: Warum bekam Maurice P. Hafterleichterung?

Der Verfassungsschutz hat Informationen von zwei bekannten Rechtsextremen im Gefängnis abgegriffen. Handelte einer der beiden dafür einen Deal aus?

Für die Behörden ist er einer der gefährlichsten Rechtsextremen in der Berliner Szene. Und doch wurde der Neuköllner Neonazi Maurice P. Mitte Dezember 2021 nach knapp fünf Monaten unvermittelt aus der Untersuchungshaft entlassen. Nur wenige Tage vorher, Ende November 2021, hatte der Verfassungsschutz der Staatsanwaltschaft einen Hinweis übermittelt, mit dem P. einen weiteren Neonazi, Tilo P., schwer belastet.

Seit Dienstag muss Maurice P. sich vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, an einer Schlägerei mit Linken aus dem Neuköllner Schillerkiez beteiligt gewesen zu sein, bei der mehrere Personen zum Teil schwer verletzt wurden. Dabei sollen 15 bis 20 Rechtsextreme, darunter eben Maurice P., mit Holzlatten und Stühlen auf die Linken eingeprügelt haben.

Zudem soll er einen Jamaikaner bei einer Auseinandersetzung aus rassistischer Motivation heraus mit einem Cuttermesser attackiert und ihm eine Schnittverletzung am Hals zugefügt – und dabei die Halsschlagader nur um wenige Zentimeter verfehlt – haben. Den Vorwurf der Staatsanwaltschaft, dass letzteres ein versuchtes Tötungsdelikt gewesen sei, wies das Gericht zurück und klagte nur wegen gefährlicher Körperverletzung an.

Jemand rief: „Der hat den aufgeschlitzt“

Beim ersten Prozesstag beschrieben Zeugen am Dienstag, dass P. und das mutmaßliche Opfer, Steve W., vor einer Neuköllner Disko in Streit geraden sein sollen. Dabei soll P. sich rassistisch geäußert haben. Es kam zur Auseinandersetzung, plötzlich habe dann jemand geschrien: „Der hat den aufgeschlitzt“ und Steve W. habe aus einer klaffenden Wunde am Hals geblutet. Zu dem Vorfall hat P.s Anwalt eine Einlassung für einen der kommenden Prozesstage angekündigt.

Später soll es dann um weitere Anklagepunkte gehen. So soll P. , der zwei SS-Runen auf seinen linken Zeigefinger tätowiert hat, bei mehreren Anlässen den Hitlergruß gezeigt und/oder Shirts etwa mit dem Konterfei von Adolf Hitler getragen haben. Den verbotenen Gruß soll er etwa vor dem Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma im Tiergarten gezeigt und anschließend Fotos davon per Whatsapp verschickt haben, garniert mit Worten wie „Haben vor dem Holocaust-Schandmal den sechs Millionen gedacht, hahahahaha.“

Den Behörden gilt P., der unter anderem in der „Schutzzonen“-Kampagne der rechtsextremen NPD beteiligt war und wegen Drogen- und rechten Delikten mehrfach vorbestraft ist, als Führungsfigur der Berliner Nazi-Szene. Der Staatsschutz führt ihn als rechtsextremen Gefährder – als einen von, nach Tagesspiegel-Informationen, rund 30 rechtsextremen Gefährdern berlinweit.

Der Staatsschutz führt ihn als rechtsextremen Gefährder

Ein erster Prozesstermin am 6. April 2022 wurde ausgesetzt, weil am gleichen Tag bundesweite Razzien in der Neonazi-Szene stattfanden – in Berlin bei Maurice P. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm und neun weiteren Personen vor, Mitglied im deutschen Ableger der verbotenen rechtsextremistischen Terrororganisation „Atomwaffen Division“ zu sein. Diese plant, so die Befürchtung der Behörden, einen gewalttätigen Umsturz in Deutschland.

Umso verwunderlicher, dass das Landgericht dann Anfang Dezember 2021 zu dem Entschluss kam, ihn aus der Haft zu entlassen. Dies könnte mit einem weiteren Prozess zusammenhängen: Derzeit stehen mehrere Neuköllner Neonazis wegen rechtsextremer Delikte vor Gericht. Den beiden Hauptangeklagten, dem früheren NPD-Kader Sebastian T. und dem früheren AfD-Kreisvorstand Tilo P., wirft die Anklage vor, in mindestens zwei Fällen Brandanschläge auf politische Gegner verübt zu haben.

Man will mir jetzt auch noch wegen der anderen Sachen was anhängen.

Das soll Neonazi Tilo P. in Haft zu Maurice P. gesagt haben.

Während seiner Untersuchungshaft saß Maurice P. mit eben jenem Tilo P. gemeinsam in einer Zelle. Dabei soll Tilo P. zu Maurice P. „im Rahmen der gemeinsamen Unterbringung“ in der Haftanstalt Moabit gesagt haben, dass man ihm „jetzt auch noch wegen der anderen Sachen was anhängen“ wolle, dabei habe er „nur Schmiere“ gestanden. Die Ermittler:innen gehen davon aus, dass es sich bei den „anderen Sachen“ um die Neuköllner Brandanschlags-Serie handelt. Diese Aussage schaffte es in das Behördenzeugnis des Verfassungsschutzes – das wiederum nur wenige Tage vor Maurice P.s Haftentlassung für die Generalstaatsanwaltschaft ausgestellt wurde.

Ähnliches soll P. seiner Freundin aus dem Gefängnis heraus in mehreren Briefen geschrieben haben. Zudem hörten Ermittler:innen des Landeskriminalamtes im Februar ein Telefonat ab, dass P. aus der Untersuchungshaft in Moabit heraus mit seiner Freundin geführt hat. Dabei sagte der 39-Jährige, er habe „nur Schmiere“ gestanden, aber nicht an dem Tag, als Autos des Linken-Politikers Ferat Kocak in Brand gesetzt wurden. Er wolle Sebastian T. auch „nicht verpfeifen“ und wisse gar nicht, ob T. den Anschlag begangen hat.

Ob es einen Deal mit dem Verfassungsschutz gab es ist unklar

Wie und in welchem Zusammenhang genau Tilo P. mit dem Mitgefangenen Maurice P. über die „Schmiere“ gesprochen hat, bleibt aber offen. Etwa, ob der Verfassungsschutz die Gespräche abgehört, ob Maurice P. für den Nachrichtendienst gespitzelt oder ob er am abgehörten Telefon jemand anderem davon erzählt hat.

Jedenfalls ist Maurice P. danach per Richterbeschluss unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Ob es einen Deal mit dem Verfassungsschutz gab – unklar. Die Nebenkläger im Prozess gegen Maurice P. äußerten zumindest den Verdacht, dass es eine Zusammenarbeit mit dem Nachrichtendienst gegeben haben könnte.

Bislang ist Maurice P. im parallel stattfindenden Verfahren wegen der Brandanschläge nicht als Zeuge vorgeladen. Er wird allerdings von dem bekannten Nazi-Anwalt Wolfgang Nahrath vertreten, der wiederum auch einen der Mitangeklagten von Tilo P. und Sebastian T. vertritt – dieser ist allerdings nur wegen rechtsextremer Schmierereien angeklagt und nicht wegen der Brandanschläge. Einem entsprechenden Antrag der Nebenklage, Nahrath wegen möglicher Interessenskonflikte im Verfahren gegen Maurice P. zu entpflichten, kam die Richterin am Dienstag nicht nach.

Für den Anwalt von Tilo P., den Strafverteidiger Mirko Röder, hat die Sache mit dem Verfassungsschutz und Maurice P. einen Haken. „So kann ich rechtsstaatlich nicht verteidigen, auch die kodierten Polizisten im Prozess mauern“, sagte Röder dem Tagesspiegel. Er forderte nun weitreichende Schritte: „Wenn der Verfassungsschutz und die Polizei auch nach Anklageerhebung noch Informationen zum Verfahren gegen meinen Mandanten liefert, muss jetzt alles auf den Tisch. Dazu gehören nicht nur die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes über meinen Mandaten, sondern auch über Herr Maurice P. und den Abgeordneten Ferat Kocak.“

Auf das Auto des Linke-Politikers war einer der Brandanschläge verübt worden. Dass auch Kocaks Akte beim Verfassungsschutz im Prozess eine Rolle spielen soll, begründet Röder damit, dass Kocak selbst stets erklärt habe, er sei vom Nachrichtendienst nicht rechtzeitig vor dem Anschlag gewarnt worden. Das Verfahren gegen Maurice P. wird am 13. Oktober fortgesetzt, Tilo P. und Sebastian T. stehen bereits am 10. Oktober wieder vor Gericht.

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