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Michael Fass

© privat

Nachruf auf Michael Fass: Good Job!

Er war lieb und lustig, aber sein Wesen war ein unstetes. So ist er mehr durchs Leben gestolpert als straff durchmarschiert. Geholfen hat er trotzdem vielen.

Von David Ensikat

Es klingt nach schlimmer Kindheit, Eltern früh geschieden, Mutter hat getrunken, der Vater mit den Kindern überfordert, was einzeln alles stimmt. Wenn mehr nicht gesagt würde, stimmte es aber wieder nicht. Michaels Schwester betont, dass die Eltern taten, was sie konnten. Sie liebten ihre Kinder. Man soll das aus der Zeit heraus betrachten; da ging es in vielen Familien viel kälter zu. Sie selbst ist aus der Sache gut herausgekommen, obwohl nicht sie, die ältere, Mutters Liebling war, sondern Michael. Sie sollte immer Verständnis für ihn haben, auch wenn er mal wieder Mist gebaut hatte.

In Köln sind sie aufgewachsen. Als die Scheidung geschah, war Michael acht. Eine Zeit lang kam er in einer Pflegefamilie unter. Das waren brave, gläubige Leute, die sich gut kümmerten. Ein frommer Knabe wurde er trotzdem nicht. In der Schule war er so mittel, vom Betragen her eher unterer Durchschnitt. Er hatte das große Maul, die Hochachtung seiner Mitschüler lag ihm deutlich mehr am Herzen als die der Lehrer.

In West-Berlin sah es besser aus

Es war schwierig damals, eine Lehrstelle zu bekommen in der Bundesrepublik. In West-Berlin sah es besser aus, die Inselwirtschaft wurde gut gepäppelt. Also zog Michael her, zumal auch seine Mutter, die inzwischen trocken war, hier lebte und ihn gern unterstützte. Er bekam eine Lehrstelle, doch dann kam auch gleich noch was viel Besseres: eine Hauptrolle beim Film, einfach so. In einem Jugendfreizeitheim suchten sie nach Darstellern, vielleicht war es seine offene, unbeschwerte Art, jedenfalls engagierten sie ihn für „Das Ende vom Anfang“, ein Drama um Heimerziehung und jugendliche Fluchten. Der Film hatte keinen großen Erfolg, und auch aus Michaels Kurzzeitplan, es vielleicht mit der Schauspielerei zu versuchen, wurde nichts. „Er war lieb und lustig“, sagt die große Schwester, „aber sein Wesen war ein unstetes.“

Auch die Bürolehre bei einem Filmproduzenten brachte er nicht zu Ende. Was sollte er im Büro, wenn die Welt so Aufregendes zu bieten hatte? In Kreuzberg ging die Post ab, es gab Bands, Konzerte, und es gab Jobs, bei denen die paar Mark zum Leben und zum Anstoßen schnell verdient waren. So kam er ins Veranstaltungsgeschäft, baute Bühnen auf und ab, kannte sich mit allem Technischen aus, fuhr Bands durch Europa, auch wenn er mal vorübergehend den Führerschein nicht bei sich tragen konnte. Sein Orientierungssinn war legendär, wo es zur Tanke und zur Konzerthalle ging, wusste er überall, ebenso den Weg zur nächsten Kneipe.

Am Tisch mit Roger Waters

Er baute die Bühnen für Metallica, die Toten Hosen, er hockte am selben Tisch mit Roger Waters, und als Keith Richards mal an ihm vorbeischlurfte und ein heiseres „good job“ ausstieß, ließ sich das ganz gut an in den Erzählungen danach. Die Kohle gab’s auf die Hand, zwei-, dreihundert am Tag waren da schon drin. Und die hat er dann auch gebraucht, denn irgendwann, in der Branche nicht so überraschend, übertrieb er’s mit den Drogen. Im Gegensatz zu seiner Freundin Gun hat er das Heroin aber nur geraucht und nicht gedrückt, und, anders als sie, hat er den Dreck auch überlebt. Konnte sogar arbeiten; das Zeug musste schließlich bezahlt werden. Nach zehn Jahren schickte ein Kollege ihn auf Therapie. Die half.

Nur vom Alkohol ist er nie weggekommen. Ende 2007 ist seine Mutter gestorben, was ihm einen schweren Schlag versetzte. Ein knappes Jahr später hockte er statt auf dem Gabelstapler beim „AC/DC“-Aufbau in der Kneipe. Das war dann sein letzter Job in der Branche. Daneben hatte er auch ein paar merkwürdige Dinger gedreht, die Sache mit den Michael-Jackson-Tickets, die sie in Thailand fälschen ließen, war so eins. In den Knast kam er aber, weil er kein BVG-Ticket dabei hatte und die Strafe schuldig blieb. Dass er ein halbes Jahr da zubringen durfte, lag daran, dass er sich im Freigang die Kante gegeben und dann irgendwie seinen Schlafplatz verwechselt hatte.

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Nach der Haft oder auch schon vorher hatte er keine Wohnung mehr. Aber da sein Wesen nicht nur unstet, sondern auch gesellig und unterhaltsam war, kam er immer bei Freunden unter. Selbst die Wohnung, die er in den letzten Jahren bewohnte, war nicht seine. Auf dem Ausweis war als Wohnort nur „Berlin“ vermerkt. So klang er auch. Während in dem frühen Film noch seine Kölner Herkunft deutlich vernehmbar ist, hörte man später viel mehr die Hauptstadt durch, so heiser, wie sie in den unteren Etagen klingt.

Seit fast zehn Jahren arbeitete Michael für ein Sozialprojekt. Er arbeitete im Büro und auf der Straße, er unterstützte Leute beim Behördenkram. Dass er selbst eher durchs Leben gestolpert war als straff durchmarschiert, half da sicherlich. Ihm ist viel geholfen worden, jetzt half er, wo er nur konnte.

Vor ein paar Jahren ist „Sterni“, sein Hund, gestorben. Das war schlimm für Michael. Das Halsband hat er an die Wand gehängt. Er bekam Tuberkulose, wurde dünner und dünner, und Mitte Dezember war er tot.

Als Maradonna ihm vorangegangen war, hatte Michael auf Facebook mitgeteilt: „3 Tage Staatstrauer in Argentinien, gut, kann man machen. Sollte ich mal den Löffel reichen, wäre ich schon damit zufrieden, dass Berlin einen Tag halbmast flaggt.“

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