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Zeugnis unter Tränen. Shelby Lynn sprach am Donnerstag auf dem Dach des Hotel de Rome über das Unrecht, das Frauen regelmäßig erfahren.

© Franziska Krug/Getty Images for hell & karrer Communications

Nach den Rammstein-Vorwürfen: Shelby Lynn tritt in Berlin als Kämpferin für Frauenrechte auf

In Berlin-Mitte setzt das Netzwerk „Frauen 100“ Impulse für eine freie und friedliche Welt. Unter den Gästen ist auch Shelby Lynn, die als erste Anschuldigungen gegen Rammstein erhoben hatte.

Frauensolidarität funktioniert auch bei strömendem Regen. Dicht gedrängt unter einer Zeltplane unterstützen die Gäste des Netzwerks „Frauen 100“ am Donnerstag auf dem Dach des Hotel de Rome in Berlin-Mitte die Irin Shelby Lynn immer wieder mit aufmunterndem Applaus. Sie war die Erste, die im Mai Anschuldigungen gegen Rammstein erhoben und in den sozialen Medien von Verletzungen nach einem Konzert berichtet hatte.   

Mit einer emotionalen Rede, immer wieder unterbrochen von Tränen und ersticktem Schluchzen, geht sie allgemein auf Missstände ein, mit denen sie Frauen und Mädchen heute immer noch konfrontiert sieht. Ihrer Aufforderung, die Hand zu heben, wenn jemand ein Mädchen kenne, das schon persönlich attackiert wurde, kommen viele der Anwesenden nach.

„Es wird akzeptiert, es ist keine Neuigkeit mehr, wenn jemand sexuell angegriffen oder vergewaltigt wird. Mädchen werden ermordet“, sagt Lynn. Und es kümmere niemanden, weil es „so normal und weit verbreitet“ sei.

Seitdem ihr die Sache mit Rammstein passiert sei, habe es bereits viele Veränderungen gegeben. Die Anschuldigungen wurden zwar zurückgewiesen, haben aber große öffentliche Aufmerksamkeit erregt.

Es macht mich krank, wie wir Frauen als Objekte gesehen werden.

Shelby Lynn

Zusammen seien Frauen mächtig, ruft die Irin, nachdem sie ihre Fassung wiedergewonnen hat. Dass es noch viel zu verändern gibt, daran lässt die 24-jährige keinen Zweifel: „Es macht mich krank, wie wir Frauen als Objekte gesehen werden.“

„Es ist, als ob die Männer für uns sprechen, wir haben keinen Platz für eigene Gedanken, Gefühle, moralische Vorstellungen, und wir leben in einer Männerwelt, in der es so etwas wie Gleichberechtigung nicht gibt“, sagt Lynn weiter.

Ein Mann könne nachts allein ohne Probleme spazieren gehen. „Wir als Frauen werden von klein auf darauf trainiert, über unsere Schulter zu schauen und mit Schlüsseln zwischen den Fingerknöcheln bewaffnet zu sein.“

Frauen soll man hören

Niemals werde sie ihre Klappe halten, verspricht Lynn und endet mit dem flammenden Appell „Nein“ zu sagen, immer dann, wenn sich etwas nicht richtig anfühlt. Das sei viel einfacher als in einer Beziehung zu leben, mit deren Moral man nicht übereinstimme. Die Weltsicht, dass Frauen gesehen, aber nicht gehört werden sollen, sei nicht länger hinnehmbar.

Könnten sich wehren. Boxerinnen Regina Hallmich und Zeinar Nassar beim Netzwerk „Frauen100“ auf dem Dach des Hotel de Rome.

© Franziska Krug/Getty Images for hell & karrer Communications

In einem Umfeld mit so vielen wunderschönen und talentierten Frauen zu sprechen, sei für sie eine neue Erfahrung, hat sie eingangs gesagt. Tatsächlich tragen viele der anwesenden Frauen ausgesuchte Cocktail- und Abendkleider und perfektes Make-up zu frisch geföhnten Haaren.

Barbie-Puppe mit Down-Syndrom

Die Organisatorinnen Janina Hell und Felicitas Karrer freuen sich, dass nur zwei Jahre nach der Gründung auf demselben Dach dem Netzwerk schon 500 erfolg- und einflussreiche Frauen aus dem ganzen Land angehören.

Manche spielen vor dem Redeteil zu Klängen der Saxofonistin Stephanie Lottermoser mit besonderen Barbie-Puppen, zum Beispiel solchen mit Down-Syndrom, die dort aus einem überdimensionalen Puppenhaus heraus verteilt werden.

Enissa Amani schildert Folter im Iran

Dass in diesem Netzwerk Frauen zusammenkommen, die fest entschlossen sind, gehört zu werden, haben schon die Vorrednerinnen eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die Schauspielerin und Komikerin Enissa Amani spricht eindringlich über die Situation der Frauen im Iran. Der Druck, der von innen ausgeübt werden könne, sei limitiert, sagt sie, nachdem sie über die Grausamkeiten des Regimes gesprochen und auch Foltermethoden geschildert hat.

„Wir sind eine Klassengemeinschaft“, sagt Amani und meint, dass man die Weltgemeinschaft nicht aus den Augen verlieren darf. Hätte man im Mittelalter jemanden gefragt, was eher möglich wäre, eine freie und friedliche Welt oder die Tatsache, dass die Menschen mit einem magischen kleinen Gerät herumlaufen, das sie mit jedem Ort in der Welt verbinden könne, hätten die Antworten wohl gezeigt, dass Freiheit und Frieden für wahrscheinlicher gehalten worden wären. Das jedenfalls ist die Vermutung der 41-Jährigen.

Vereinbarkeit von Schönheit, Mode und Politik

Viele weitere Impulse gibt es an diesem Abend mit Pizza und Champagner, unter anderem noch von der Unternehmerin Diana zur Löwen und der Journalistin Maike Backhaus. Es geht um die Notwendigkeit, auch außerhalb der eigenen Bubble zudenken, um die Vereinbarkeit von Schönheit, Mode und Politik, darum, dass es eine Barbie-Puppe mit Kopftuch geben sollte und immer wieder um Veränderung, die notwendig ist.

Auf Begeisterung stößt eine Anekdote, die über die Sängerin Cher erzählt wird. Als deren Mutter sie aufforderte, einen reichen Mann zu heiraten, antwortete die erfolgreiche Sängerin: „Mom, I am a rich man.“

Selbst „ein reicher Mann“ zu werden und dabei ganz Frau zu bleiben, ist für etliche Anwesende schon Wirklichkeit geworden. Vorbildfunktion hat diese Vorstellung wohl für alle. Erfolg hat aber viele Facetten in diesem Netzwerk, dem auch zahlreiche politische Aktivistinnen für eine bessere Welt angehören.

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