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Das Werbeplakat mit FKA Twigs in Großformat – hier an einer Straße in New York.

© imago/ABACAPRESS

„Mit zweierlei Maß gemessen“: FKA Twigs darf sich auf Calvin-Klein-Werbung nicht nackt zeigen – ihr männlicher Kollege schon

Die britische Werbeaufsicht hat ein Foto der Musikerin FKA Twigs verboten, weil sie als „stereotypes Sexualobjekt“ dargestellt werde. Viele kritisieren das Verbot als sexistisch und rassistisch.

Von Louise Otterbein

Geht man in diesen Tagen über die Warschauer Brücke in Richtung Kreuzberg, besteht die Gefahr, in verharrende Passanten hineinzulaufen. Hierbei handelt es sich ausnahmsweise mal nicht um Touristen, die sich dem Gehtempo der eilenden Hauptstädter nicht anpassen. Sondern um Berlinerinnen und Berliner, die staunend ein Werbeplakat betrachten.

Denn von diesem meterhohen Plakat schaut der US-amerikanische Schauspieler Jeremy Allen White, der kürzlich durch die Serie „The Bear: King of the kitchen“ und den Wrestler-Film „The Iron Claw“ an Bekanntheit gewann, auf die Passanten herab. Bekleidet ist er nur mit weißen engen Boxershorts und einem Unterhemd. Sein Körper ist gestählt, sein Blick intensiv. Bei der Kampagne handelt es sich um die neue der Modemarke Calvin Klein.

Für Furore sorgt die Kampagne weltweit, allerdings nicht nur wegen des Hypes um White selber, sondern aufgrund des Verbots der Calvin-Klein-Kampagne seiner weiblichen Kollegin FKA Twigs in England. Die britische Musikerin, bürgerlich Tahliah Debrett Barnett, ist auf dem Foto in seitlicher Pose zu sehen, nur ein Jeanshemd verdeckt die intimsten Stellen ihres Körpers.

Die Calvin-Klein-Kampagne mit Jeremy Allen White hängt an der Warscher Straße für jeden Vorrübergehenden zu bestaunen.

© Louise Otterbein

Der Nichtregierungsorganisation Advertising Standards Authority (ASA), dem britischen Pendant zum Deutschen Werberat, war dieses Foto zu anstößig. Nachdem zwei, richtig gelesen – genau zwei, Beschwerden bei der ASA eingingen, sprach die Organisation vor einigen Tagen ein Verbot aus. Barnett werde als „stereotypes Sexualobjekt“ dargestellt. Laut ASA stehe der Körper der Dargestellten im Fokus, nicht aber die beworbene Kleidung.

Ich sehe das „stereotypische Sexualobjekt“ nicht.

FKA Twigs

Diese Entscheidung sorgt derzeit weltweit für Aufregung. Auch Barnett selbst äußerte sich zu dem Verbot. In einem Statement auf Instagram schrieb die Künstlerin, sie sehe auf dem Foto eine schöne, starke Frau of Color, kein stereotypes Sexualobjekt und wirft der Organisation vor, mit zweierlei Maß zu messen.

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Diesem Eindruck stimmt ein Großteil der Öffentlichkeit zu – insbesondere in Anbetracht anderer, aktueller und vergangener Kampagnen der Modemarke. Calvin Kleins Werbung war stets durch minimalistische Inszenierungen geprägt, die auf nackte Körper konzentriert sind und nicht auf die Kleidung selbst – damit sorgte das Unternehmen immer wieder mal für Skandale. So beispielsweise, als die damals 15-jährige Kate Moss oberkörperfrei, an den zwei Jahre älteren Schauspieler Mark Wahlberg geschmiegt, abgelichtet wurde.

Unter dem Slogan „Calvins or nothing“ posierten im vergangenen Jahr unter anderem das Model Kendall Jenner, die Schauspieler Michael B. Jordan und Aaron Taylor-Johnson und die K-Pop-Sängerin Jennie Kim. Weder eine dieser Kampagnen, noch die aktuelle mit Jeremy Allen White scheinen für die ASA verbotswürdig.

Sexobjekt oder nicht?

Das schreit für viele nach Doppelmoral. Denn worin unterscheiden sich die Kampagnen Whites und Barnetts? Richtig – im Geschlecht der dargestellten Personen. Kritiker werfen der ASA vor, unter dem Vorwand eine sexistische Darstellung verhindern zu wollen, überhaupt erst misogyn und sexistisch zu handeln. Hier werde eine Beurteilung darüber getroffen, was sexualisiert ist und was nicht. Es ist klar, dass mehr Frauen als Männer unfreiwillig zum Sexobjekt herabgestuft werden und das verhindert werden sollte. Doch wenn für Männer andere Maßstäbe angesetzt werden als für Frauen, mache man den weiblichen Körper an sich erst recht zum Sexobjekt.

Interessant ist auch, dass gegen die Werbung mit dem weißen Model Kylie Jenner zwar ebenfalls eine Beschwerde eingereicht wurde, der Werberat diese Kampagne aber nicht verboten hat – sie sei „angemessen für eine Unterwäsche-Kampagne“. Hier sehen viele Kritiker nicht nur Sexismus, sondern auch Rassismus in der Bewertung – auch Barnett selbst. Sie will sich laut ihrem Statement in die Tradition von Künstlerinnen wie Josephine Baker, Eartha Kitt und Grace Jones stellen, die „die Grenzen davon, wie Selbstermächtigung auszusehen hat“, durchbrochen haben – und dies mit ihrer einzigartigen Sinnlichkeit.

Frauen of Color müssen sich schon immer der Sexualisierung ihrer Körper aussetzen. Dass nun die Kampagne einer Frau of Color von einer Organisation als „stereotyp“ sexistisch bewertet wird, deren Chefetage ausschließlich von weißen Personen besetzt ist, hinterlässt einen komischen Beigeschmack. Für manche wirkt es, als würden hier auch Schönheitsstandards „von oben“ festgelegt.

Übrigens: Vor dem Calvin-Klein-Plakat zierte die Kampagne eines Baumarktes lange Zeit die Werbetafel an der Warschauer Straße. Dort stand in großen Lettern: „Hier verändert sich alles. Und bei dir?“ So viel scheint sich in unserer Gesellschaft manchmal wohl doch nicht geändert zu haben.

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