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© dpa / Foto: dpa/Carsten Koall

Massive Investitionen in Schulbau und Nahverkehr: Berliner SPD-Fraktion beschließt Kauf von Gas- und Fernwärmenetz – die Verhandlungen laufen

SPD-Chef Saleh will Berliner langfristig entlasten: Das 29-Euro-Ticket soll bleiben, die Gas- und Wärmenetze in kommunale Hand. Auch an die maroden Schulen will man endlich ran.

Die Berliner SPD-Fraktion will das Gas- und Fernwärmenetz in Landeshand übernehmen und drängt den Senat zu mehr Tempo bei den Ankauf-Plänen. Dafür soll eine Mehrheit der Anteile am Berliner Energieversorger Gasag gekauft werden. Dann will man auch das bislang von Vattenfall betriebene Berliner Fernwärmenetz übernehmen. Mit einer Länge der Rohrleitungen von mehr als 2000 Kilometern und 1,3 Millionen versorgten Wohnungen ist es das größte Stadtwärmesystem Westeuropas.

Einen entsprechenden Beschluss hat die SPD-Fraktion am Samstag auf ihrer Fraktionsklausur in Nauen gefasst. Das Papier liegt dem Tagesspiegel vor. SPD-Fraktionschef Raed Saleh sagte dem Tagesspiegel zu dem möglichen Kauf: „Es wäre verheerend, während so einer historischen Möglichkeit und in dieser brutalen Krise die Hände in den Schoss zu legen. Wir wollen Verantwortung für diese Stadt übernehmen.“

Seit Monaten laufen Verhandlungen über eine mögliche Übernahme der Gasag durch den Senat. Zuletzt waren diese jedoch auch durch eine mögliche Wahlwiederholung ins Stocken geraten. Der politische Wille bleibt jedoch auch im Senat: „Man muss die Chance jetzt nutzen für eine große Lösung.“

Wärme- und Energieversorgung sollen insgesamt in öffentliche Hand

Was damit gemeint ist, buchstabiert jetzt die SPD-Fraktion aus: Man setzt auf eine Mehrheitsbeteiligung des Landes an der Gasag. Die bisherigen Miteigentümer Eon und Engie könnten jedoch Miteigentümer bleiben, betont die SPD-Fraktion. Es ist die Kooperationslösung, die sich dem Vernehmen nach auch die beiden Energiekonzerne vorstellen können. Man wolle die energie- und klimapolitischen Herausforderungen „gemeinsam mit industriellen Partnern und Technologieunternehmen“ bewältigen, schreibt die Fraktion dazu.

Außerdem bietet sich die Chance, nicht nur den Gasversorger, sondern auch das Berliner Fernwärmenetz damit zu erwerben. Vattenfall hatte das Netz im Frühjahr zum Verkauf gestellt. Die SPD-Fraktion nennt den Kauf des Wärmenetzes nun als Bedingung für den Kauf der Gasag. „Da es sich bei der Wärme- und Energieversorgung um Grundbedürfnisse der Daseinsvorsorge handelt, gehört auch die Berliner Wärmeversorgung insgesamt in die öffentliche Hand“, heißt es in dem Papier. Der schwedische Staatskonzern Vattenfall wäre dann als großer Akteur vom Berliner Energiemarkt verschwunden.

Wir können bei den Gaspreisen keine Versprechungen von Preissenkungen machen.

Raed Saleh, Fraktionschef der Berliner SPD

Als Vorbild führen die Sozialdemokraten vor allem den Erwerb der Berliner Wasserbetriebe im Jahr 2013 an. Das landeseigene Unternehmen ist heute ein hochmoderner Versorger, der in der Vergangenheit sogar deutlich die Preise senken konnte. Seit 2013 sank die Trinkwassergebühr pro Kubikmeter deutlich von 2,027 Euro auf 1,694 Euro – also um 16 Prozent. Die Schmutzwassergebühr wurde seither in mehreren Schritten von 2,464 Euro pro Kubikmeter auf 2,155 Euro gesenkt – also um 12 Prozent.

Auch klimapolitisch will man mit der Rekommunalisierung punkten: Nach und nach soll die fossile Energie durch Erneuerbare Energie und Wasserstoff ersetzt werden. In den 2040er Jahren möchte die Gasag dann Wasserstoff statt Gas durch ihr Netz leiten.

Allerdings warnte Fraktionschef Saleh vor überzogenen Erwartungen durch den Rückkauf der Gasversorgung: „Wir können bei den Gaspreisen keine Versprechungen von Preissenkungen machen. Aber wir werden verantwortlich mit den Preisen umgehen – Berlin will keine Rendite damit machen.“ Der SPD-Politiker versprach zudem: „Es wird keine Gassperren in diesen harten Zeiten geben.“ „Wir haben jetzt eine historische Chance und wollen sie nutzen.“ 

Landeseigene Berlinovo soll Schulbauoffensive vorantreiben

Vier Monate vor der möglichen Wiederholungswahl in Berlin wollen die Sozialdemokraten auch im Schulbereich für dringend notwendige Entlastung sorgen: Künftig soll die landeseigene Berlinovo die Berliner Schulbauoffensive mit ihren reichen finanziellen Rücklagen beschleunigen. Zuletzt mussten dutzende Schulen wegen Geldmangels aus der Investitionsplanung des Landes genommen werden. 170 Schulen waren aus Sicht der Bezirke renovierungsbedürftig, letztlich war nur Geld für 40 da. Dabei bröckelt es jedoch auch an anderen bedenklich.

Und die Bevölkerungsprognose verheißt einen immensen Mehrbedarf an Schulplätzen in der Zukunft: Um 200.000 Menschen wird Berliner laut der Bevölkerungsprognose des Senats in den kommenden Jahren wachsen. In der Gruppe der sechs- bis 18-Jährigen erwartet der Senat ein Wachstum von neun Prozent auf dann 430.000 schulpflichtige Kinder und Jugendliche.

Fraktionschef Saleh sagte dem Tagesspiegel dazu: „Ich habe 2011 mit der SPD-Fraktion den Verkauf der heutigen Berlinovo für wenig Geld verhindert.“ Heute sei das Unternehmen Milliarden wert. Der SPD-Politiker sagte: „Die Berlinovo ist ein starkes, finanzkräftiges Landesunternehmen und in der Lage, noch mehr Verantwortung in Berlin zu übernehmen.“ Die finanzstarke Wohnungsgesellschaft Berlinovo soll deshalb nach dem Vorbild der ebenfalls landeseigenen Howoge den Schulausbau massiv beschleunigen. So sollen auch teilweise kreditfinanzierte Investitionen möglich sein.

Schon jetzt übernimmt die Howoge mit rund 240 Millionen Euro im kommenden Jahr mehr als ein Fünftel der Gesamtinvestitionen in die Berliner Schulbauoffensive. Die Berlinovo gilt als deutlich finanzstärker, mit hoher Eigenkapitalquote und noch höheren Rücklagen. Sie soll in mindestens ebenso großem Umfang in den Schulbau einsteigen.

Das würde eine Erhöhung der Gesamtinvestitionen in die Schulbauoffensive von 1,1 Milliarden auf fast 1,4 Milliarden Euro bedeuten. Dutzende Schulen mehr könnten dann – die notwendigen Bauarbeiter vorausgesetzt – saniert werden. Seit 2019 wären die Investitionen dann um mehr als 500 Millionen Euro pro Jahr erhöht. Dies ist allerdings auch notwendig: Inflation und Krieg treiben die Baukosten in die Höhe. Ab spätestens 2025 gelten zudem deutlich strengere Umweltvorgaben, die das Bauen noch teurer machen.

200
Millionen Euro würde das 29-Euro-Ticket das Land Berlin jährlich kosten.

Außerdem wollen die Sozialdemokraten das 29-Euro-Ticket im kommenden Jahr fortführen. Bislang gilt das Projekt nur bis Ende Dezember. Ab Januar müssten die Berliner dann wieder mehr Geld für Bus und Bahn zahlen. Das will die SPD-Fraktion verhindern und sich für eine Fortsetzung einsetzen.

Nach Tagesspiegel-Informationen würde das Ticket das Land Berlin rund 200 Millionen Euro im Jahr kosten, weil die Sozialdemokraten von einer Kompensation des Bundes ausgehen. Die notwendigen Finanzmittel könnten über den gerade verhandelten Nachtragshaushalt oder durch noch vorhandene Haushaltsmittel abgedeckt werden. Das Geld dafür sei da, heißt es.

Die SPD-Fraktion will Tempo machen und fordert eine „unterbrechungsfreie Fortsetzung“. Als einziges Bundesland habe Berlin dafür gesorgt, dass die Entlastung des durch den Bund finanzierten 9-Euro-Tickets nicht komplett abreiße. Das will man nicht aufgeben und damit für weitere Entlastung sorgen. Weiter heißt es in dem Beschlusspapier: „Gleichzeitig bringen wir die Verkehrswende voran: nicht durch Verbote und Bezahlschranken, sondern durch mehr Anreizte zum Umstieg auf Bus und Bahn.“

Fraktions- und Parteichef Saleh will mit der Partei offenbar mit einem deutlich sozialen Profil in den Wahlkampf ziehen: Rekommunalisierung, Entlastung und Investition scheint die Devise.

Saleh wehrte sich jedoch dagegen, von Wahlkampfgeschenken zu sprechen. „Wir müssen uns doch fragen, was die aktuelle Inflation für die breite Mittelschicht bedeutet“, sagte der SPD-Politiker dem Tagesspiegel. „Die größte Herausforderung ist eine mögliche Spaltung der Gesellschaft.“ Der Staat müsse deshalb auch all jene unterstützen, die bisher durch die Raster der Hilfen fallen.

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