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Das Rad eines Fahrrades liegt auf der Bundesallee in Berlin-Wilmersdorf. Eine Radfahrerin ist bei dem Verkehrsunfall mit einem Lastwagen ums Leben gekommen.

© dpa/Paul Zinken

Kühler Kopf statt Hass: Emotionale Urteile über die „Letzte Generation“ in Berlin helfen nicht weiter

Verkehrsdaten zeigen: Das Spezialfahrzeug der Feuerwehr hätte womöglich schneller am Betonmischer-Unfallort sein können. Der Fall ist komplex.

Ein Kommentar von Julius Betschka

Für viele war der Fall schon kurz nach dem tödlichen Betonmischer-Unfall Ende Oktober geklärt: Die Straßenblockierer der „Letzten Generation“ tragen eine Mitschuld am Tod der Radfahrerin.

Die emotionale Debatte ist verständlich, die Blockaden der Klimaaktivisten können so lebensgefährlich sein wie die Klimakrise selbst. Man muss das nicht schönreden. Allerdings zeigen Verkehrsdaten nun, dass das Spezialfahrzeug der Feuerwehr, das die Frau – womöglich! – schonender hätte retten können, wohl schneller am Unfallort hätte sein können.

Die Feuerwehrleute hätten an diesem Tag eine andere Route nehmen können. Das könnte für die Klimaaktivisten auch strafrechtlich noch entlastend gewertet werden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sie wegen der Behinderung von Rettungsarbeiten.

Die Klärung der Schuldfrage steht noch am Anfang

Wenn jetzt die Ersten anhand dieser Information schon die Feuerwehrleute als neue Mitschuldige ausmachen oder die Aktivisten freisprechen, erliegen sie dem gleichen Fehler wie zuvor all jene anderen. Die neuen Zahlen belegen vor allem eins: die ganze Komplexität dieses Falls.

Das mag unbefriedigend für politische Eilbotschaften und schnelle Forderungen nach Gefängnis für die Aktivisten sein. Der Fall zeigt: Politiker und Öffentlichkeit tun bei aller Emotionalität gut daran, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abzuwarten und dann erst zu urteilen. Klar ist bisher nur: Ein Betonmischer hat die Radfahrerin getötet. Selbst was diesen konkreten Unfallhergang betrifft, steht die Klärung der Schuldfrage aber noch am Anfang.

Die Krisen dieser Zeit werden krisenhafte Ereignisse zunehmen lassen. Die Dringlichkeit der Klimakrise wird weitere gefährliche Proteste nach sich ziehen, die unter Umständen Leben gefährden können. Die Politik tut gut daran, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Einige Juristen urteilen sogar zugunsten der Klimaaktivisten

Wenn Politiker wegen der Klimaproteste die Gewaltenteilung öffentlich infrage stellen und teils wochenlang Gewahrsam fordern, ist das für das Miteinander in der Gesellschaft nicht minder gefährlich als einige Protestaktionen von radikalen Klimaschützern. Die Provokation einiger weniger darf den Staat nicht in autoritäre Schienen rutschen lassen.

Fraglich bleibt, ob die Klimaaktivisten überhaupt strafrechtlich verurteilt werden können. In der Justiz werden solche Zurechnungsfragen kontrovers diskutiert: Einige Juristen urteilen sogar zugunsten der Klimaaktivisten. Sie halten die Aktionen wegen des Klimanotstandes für gerechtfertigt. Man muss diese Haltung nicht teilen, kann darüber aber in Nachdenken kommen: Was, wenn der Druck der Aktivisten heute Tausende Hitzetote in der Zukunft verhindert?

Beide Probleme: Klimakrise und Klimablockaden werden sich nicht mit mehr Polizei lösen lassen. Auch der Ruf nach mehr staatlicher Gewalt, längere Strafen oder Aufrufe zu Selbstjustiz werden weder das Klima abkühlen noch die Aktivisten stoppen. Es wird ihre Radikalisierung eher noch verstärken.

Gerade weil viel der Klimaaktivisten vor lauter Verzweiflung schon den Kopf verloren haben, sollten alle anderen ihr Gemüt kühlen. Der komplexe Betonmischer-Unfall ist das beste Beispiel dafür.

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