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Auf Tandemtour: Rabbiner Elias Dray von der Israelitischen Kultusgemeinde im bayerischen Amberg und Ender Cetin, islamischer Theologe und ehemaliger Vorsitzender der Berliner Sehitlik-Moschee, bei der Vorstellung ihrer Aktion Meet2respect im Jahr 2018.

© imago/epd

Im Tandem gegen Antisemitismus: Sag mir, wer der Rabbi ist

Bei Meet2respect engagieren sich Imame und Rabbiner in Schulen gemeinsam gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.

Es ist fürwahr ein „brennendes Thema“, wie Rabbiner Elias Dray sagt. Die Hamas-Attacken auf Israel und die Kämpfe im Gazastreifen bewegen auch Berliner Jugendliche und sind ein konfliktreiches Thema in den Schulen.

Vor dem Hamas-Terror am 7. Oktober und den aktuellen antisemitischen Vorfällen auch in Berlin, so erzählt der Rabbiner, der gemeinsam mit dem Imam Ender Cetin mit Schüler*innen spricht, hatte die Organisation Meet2respect täglich zwei Anfragen. Nun seien es täglich 20 Anrufe von Schulen, an denen Lehrer*innen um Hilfe und Beratung bitten.

Wir zeigen, dass Juden und Muslime befreundet sein können. Das bleibt in den Köpfen.

Ender Cetin, Imam

„Wir sind ausgebucht für das ganze Schuljahr“, sagt Elias Dray. Bei vielen Jugendlichen „gibt es ein sehr großes Wutgefühl im Bauch“, kann Drays Tandempartner Ender Cetin bestätigen. Lehrer*innen sollten deshalb „Schüler*innen den Raum geben, darüber zu reden, weil sonst die Gefahr groß ist, dass sie ins Internet zu Hasspredigern und radikalen Rattenfängern gehen“.

Sechs Tandems sind im Einsatz

Das Eintreten für Toleranz und Verständnis – gerade jetzt ist es extrem wichtig, für diese Werte in den Schulen zu werben. Seit nahezu zehn Jahren organisiert Meet2respect Begegnungen und Unterrichtsbesuche von Tandems aus jüdischen, muslimischen oder christlichen Religionsvertreter*innen.

„Derzeit kommen wir bei den Anfragen überhaupt nicht hinterher“, erzählt auch die Projektkoordinatorin Esther Radoy. „So traurig die Situation ist, sie zeigt, wie wichtig das Projekt ist“, sagt Radoy.

Sechs Tandems hat das gemeinnützige Sozialunternehmen Meet2respect gegenwärtig im Einsatz. Das gemeinsame Auftreten eines Imams und eines Rabbiners, die für gegenseitigen Respekt stehen und sich gegen Gewalt und Diskriminierung aussprechen, sei wichtig, betont Radoy. Es signalisiert: „Gemeinsam finden wir friedliche Lösungen.“

Viele Anfragen aus Neukölln und Wedding

Auch wenn Meet2respect überall in Berlin tätig ist, kämen derzeit besonders viele Anrufe von Schulen aus Neukölln oder Wedding, wo es sehr viele Schüler mit muslimischem Hintergrund und Verwandtschaft im Gazastreifen oder im Westjordanland gibt. Die Tandems können sowohl den Lehrer*innen Werkzeuge für die Diskussionen in den Klassen an die Hand geben, sagt Esther Radoy, als auch als überzeugende Vermittler gegenüber emotional aufgewühlten und verunsicherten Schüler*innen auftreten.

„Wer ist der Imam?“, frage das Tandem zu Beginn der Besuche die Schüler*innen, erzählt Ender Cetin. Oft werde falsch geraten – was eine gute Vorlage sei, um über Vorurteile und vermeintliche Gewissheiten zu sprechen. Die Kombination aus einem Rabbi und einem Imam sei für viele Jugendliche ein „Kulturschock“, sagt Cetin. „Wir zeigen, dass Juden und Muslime befreundet sein können“, sagt Ender Cetin, „und das bleibt in den Köpfen.“

Dies erlebt zu haben, sei wichtig, selbst wenn vieles von den Worten wieder vergessen werde. Viele Jugendliche hätten eine familiäre Migrationsgeschichte und Ausgrenzungserfahrungen. „Wir verstehen ihren ganzen Frust. Informationen allein reichen deshalb nicht, auch keine einseitige Sicht“, sagt Ender Cetin: Man spreche auch über die Probleme, etwa über die Ungleichbehandlung der Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten.

Rabbiner Elias Dray und Ender Cetin bei einem Schulbesuch.
Rabbiner Elias Dray und Ender Cetin bei einem Schulbesuch.

© Meet2respect

Aber Dray und Cetin berichten eben auch von den positiven Erfahrungen und Freundschaften zwischen Juden und Muslimen; auch von dem Israel, in dem es Moscheen oder Richterinnen und Lehrerinnen mit Kopftuch gibt. „Es ist wichtig für die Jugendlichen“, sagt Rabbiner Dray, „so etwas mal von muslimischen Vertretern zu hören.“

„Trotz aller schlimmen Dinge, die passieren, wir müssen miteinander reden und aufeinander zugehen“, dazu gebe es keine Alternative, sagt Cetin, der früher Gemeindevorsitzender der Sehitlik-Moschee am Columbiadamm in Neukölln war.

Blöde Sprüche habe es schon immer gegeben

Offene Aggressionen im Klassenzimmer hätten sie selbst nach dem 7. Oktober noch nicht erlebt; auch wenn die Atmosphäre an Neuköllner Brennpunktschulen schwieriger geworden sei. Aber in der Regel seien die Schüler*innen „ziemlich respektvoll“; nur selten gebe es „blöde Sprüche“. Aber das habe es auch früher schon gegeben. Natürlich müsse man „hellwach“ sein im Gespräch; auch auf Gesten, Blicke und kleine Bemerkungen reagieren, erzählt der Imam. Aber es macht Spaß, sagt er, und jede Klasse sei anders.

Gemeinsam würden Elias Dray und er den „absurden Bildern und Verschwörungstheorien entgegentreten“, die es teilweise gebe. Irritieren und überraschen, auch das gehöre beim Tandem dazu. Etwa mit einem Quiz, bei dem unter anderem gefragt werde, in welcher Religion Abraham als ein Prophet gelte. Viele muslimische Schüler*innen seien total überrascht zu hören, dass Abraham auch für Juden und Christen ein zentraler Prophet ist.

Wir tun derzeit das, was am wichtigsten ist, und konzentrieren uns auf die Besuche in den Schulen.

Ender Cetin, Imam

Ablehnung und Hass resultieren eben häufig aus mangelnden Kenntnissen über das Gegenüber und fehlenden Berührungspunkten, haben die Engagierten festgestellt – und wollen dies mit ihrer Arbeit ändern. Deshalb werden im Rahmen von Meet2respect weitere Workshops und Veranstaltungsformate zur Bekämpfung von Antisemitismus, antimuslimischem Rassismus sowie anderer Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit durchgeführt.

Auch gemeinsame Besuche in Moscheen und Synagogen gehörten dazu. Die Tandems und die anderen ehrenamtlich Engagierten wollen antisemitischen Einstellungen entgegenwirken, insbesondere solchen, die sich aus dem Nahostkonflikt speisen, und gleichzeitig medial verbreiteten Stereotypen über muslimische Menschen entgegentreten und aus erster Hand das Wissen über den Islam vermitteln.

Am Ende, so Cetin, sei bei Schüler*innen häufig „große Erleichterung spürbar“. Manche Kinder fänden oft erst spät den Mut, sie anzusprechen. Regelmäßig erlebten sie, dass Schüler*innen hinterher mit zur Tür kämen: Ich habe da mal eine Frage. „Da geht dann schon mal die ganze Pause drauf, aber das ist wichtig“, erzählt Ender Cetin, der selber in Neukölln aufgewachsen ist.

Ein sicherer Raum, um Fragen stellen zu können

„Wir tun derzeit das, was am wichtigsten ist, und konzentrieren uns auf die Besuche in den Schulen“, sagt Esther Radoy. Für alles andere reichten gegenwärtig weder die Kraft noch die Ressourcen des Vereins. Die Meet2respect-Tandems möchten auch in der gegenwärtigen Situation Schüler*innen einen sicheren Raum bieten, um Fragen stellen zu können, Bedenken auszutauschen und ihre Perspektiven zu teilen.

Rabbiner Elias Dray wünscht sich Unterstützung durch den Senat, um noch mehr Tandems in die Schulen schicken zu können. In Reaktion auf die aktuellen Geschehnisse in Israel hat Meet2respect nun, wie viele andere Organisationen, die sich im Bereich der Antisemitismusprävention engagieren, in enger Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie einen Krisenstab ins Leben gerufen.

Radoy lobt, wie schnell die Senatsverwaltung nach dem 7. Oktober reagiert und die beteiligten Projekte und Initiativen zusammengebracht hat. Der Krisenstab hat das Ziel, verstärkte Anfragen von Schulen koordiniert zu bearbeiten und unkomplizierte Online-Beratungsgespräche für Lehrer*innen einzurichten.

Auch wenn die Situation in diesen Tagen sehr herausfordernd sei, sagt Projektkoordinatorin Radoy, sei Meet2respect entschlossen, Bildungsinstitutionen sowie Eltern und Schüler*innen in diesen schwierigen Zeiten zur Seite zu stehen und die Werte von Respekt und Vielfalt zu fördern. Man tue alles, um „gemeinsam eine unterstützende und tolerante Lernumgebung zu schaffen“.

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