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Wer eine Kippa trägt, kann schnell Opfer eines Angriffs werden.

© Foto: Christian Charisius/dpa

Update

Im Internet und auf der Straße: Initiative RIAS registriert 848 Antisemitismus-Vorfälle in Berlin im vergangenen Jahr

Im Jahr 2022 ist es zu hunderten antisemitischen Vorfällen gekommen. Die meisten geschahen im Internet, aber auch in der Öffentlichkeit wurden Juden angegriffen.

| Update:

Er war Tourist, er war arglos, er wollte an diesem 10. März 2022 in seinem Hostel in Prenzlauer Berg nur ins Gemeinschaftsbadezimmer gehen. Er kam nicht weit, das jüdische Symbol, das der Mann am Körper trug, war der Grund dafür. Ein anderer Mann griff ihn unvermittelt an und fragte wiederholt auf Arabisch, ob der andere Jude sei.

Dann schlug er seinem Opfer die Kippa vom Kopf und trat auf sie. Er packte den Betroffenen am Nacken und schlug ihn. Gleichzeitig forderte er: „Sag ‚Free Palestine’“. Mit seinem Handy wollte der Angreifer die Szene aufnehmen. Das Opfer konnte sich befreien und ließ die Polizei rufen.

Zwei extreme Angriffe fanden 2022 in Berlin statt

Einer von vielen Antisemitismus-Fällen, die im vergangenen Jahr im Berlin stattgefunden haben. Ein Angriff dieser extremen Art ist selten, nur zwei in dieser Form hat im vergangenen Jahr die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) dokumentiert.

Aber auch die anderen Zahlen, die RIAS am Mittwoch in ihrer Jahresbilanz vorstellte, sind erschreckend. 848 Vorfälle haben die RIAS-Experten 2022 insgesamt in Berlin registriert. Der Großteil davon (483) waren Beschimpfungen und Drohungen im Internet, die sich gegen jüdische und israelische Institutionen richteten. Es gab 22 Angriffe. Zu den extremsten zählten der Fall im Hostel und eine Attacke im November in Spandau. Dort verprügelte eine Gruppe Männer zwei Juden in einem Park. .

Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin • Stand: Mai 2023
Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin • Stand: Mai 2023

© Tagesspiegel

Dazu kamen 31 Sachbeschädigungen, 24 Drohungen und zahlreiche Fälle antisemitischer Äußerungen bei Palästina-Demonstrationen. Knapp ein Drittel der Fälle bezog sich auf Israels Politik im Nahen Osten.

Insgesamt blieb die Anzahl der Vorfälle zwar um 20 Prozent unter dem Niveau vom Vorjahr (1052), aber eine gute Nachricht ist das nicht. „Der Rückgang“, sagte Julia Kopp von RIAS, „hat damit zu tun, dass es im Mai 2021 im Nahen Osten einen großen israelisch-palästinensischen Konflikt gab, in dessen Verlauf es auch in Berlin zu vielen antisemitischen Vorfällen gekommen war. Aber unverändert ist Antisemitismus Alltag für jüdische Bürger in dieser Stadt.“

Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin • Stand: Mai 2023
Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin • Stand: Mai 2023

© Tagesspiegel

Antisemitische Angriffe und Beleidigungen außerhalb des Internets ereigneten sich laut RIAS auf Straßen, in Bussen und Bahnen oder an Gedenkorten. Mehreren Menschen sei die Kippa vom Kopf gerissen worden, sie seien geschlagen, bespuckt, angerempelt und bedroht worden, zum Teil, weil sie an Kleidungsstücken als Juden erkennbar waren oder auf Hebräisch telefonierten.

Benjamin Steinitz, der RIAS-Projektleiter, sagte am Mittwoch: „Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine wurde sofort in antisemitische Erzählungen integriert. Das zeigt die enorme Anpassungsfähigkeit von Antisemitismus.“ Die Polizei hat in ihrer Jahresstatistik 381 antisemitische Vorfälle erfasst.

Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin • Stand: Mai 2023
Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin • Stand: Mai 2023

© Tagesspiegel

RIAS zählt auch Fälle, in denen keine Anzeige erstattet wurde

Bei RIAS sind mehr Antisemitismus-Fälle erwähnt, weil die Organisation auch Vorkommnisse zählt, bei denen keine Anzeige erstattet wurde. Allerdings geht Steinitz davon aus, dass die Dunkelziffer, also die antisemitischen Vorfälle, in denen sich die Opfer nicht melden, erheblich höher liegt als die Zahlen, die offiziell vorliegen.

Steinitz beklagte die „Diskrepanz in der Wahrnehmung der antisemitischen Vorfälle bei Juden und Nicht-Juden“. Betroffene könne es verstören, wenn die Vorfälle von anderen Menschen als äußert realitätsfern bezeichnet würden. Oft würden sogar Opfer beschimpft und abgewertet, wenn sie die Vorfälle meldeten.

In Berlin sammeln verschiedene staatliche Institutionen und private Initiativen Statistiken zu Antisemitismus, darunter auch die Polizei und die Staatsanwaltschaft. RIAS wurde 2015 gegründet und wird vom Senat mitfinanziert. Die Zahlen werden auf Grundlage von Meldungen über das Internet, Beobachtungen und einer Zusammenarbeit mit Opferberatungsstellen gesammelt. (mit dpa)

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