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AfD-Chefin Kristin Brinker im Interview: „Ich sehe keine Neonazis in der Berliner AfD“

Die AfD-Landesvorsitzende Kristin Brinker über Rechtsextremismus-Vorwürfe, Wahlprogramm und „klassisch deutsche Tugenden“.


Frau Brinker, Sie haben sich bei der Wahl zur AfD-Landesvorsitzenden im März sehr knapp gegen Beatrix von Storch durchgesetzt und sind mit dem Versprechen angetreten, die Partei zu einen. Geht es voran?
Ich denke schon. Wenn man bedenkt, dass ich mit 50,01 Prozent im März gewählt wurde und im Juni als Spitzenkandidatin mit fast 90 Prozent, dann ist das ein Zeichen dafür, dass ich die Partei hinter mir vereinen konnte. Ich bemühe mich, intern so viel wie möglich zu kommunizieren.

Was wollen Sie anders machen als der bisherige Fraktionschef Georg Pazderski oder Beatrix von Storch?
Ich bin etwas sanfter in der Tonlage. Das ist meine Art, ich will mich da gar nicht ändern. Ich glaube auch, wir können als AfD ein ganzes Stück weiterkommen, als bisher, wenn wir verbindlicher auftreten. Ich bin Vertreterin der Gründungszeit dieser Partei und will die Blockadehaltung gegen die AfD in der Stadt und im Parlament aufbrechen.

Ihre Wahl haben Sie mit der offenen Unterstützung von ehemaligen Flügel-Leuten gewonnen, die Gliederung wird vom Verfassungsschutz als „erwiesen rechtsextrem“ eingeordnet. Fraktionschef Georg Pazderski hat sich oft von diesen Leuten distanziert. Ist die Rolle des Flügels in Berlin jetzt gestärkt?
Nein. Für mich ist immer wichtig gewesen, dass ich mit denen zusammenarbeite, die ich als konstruktiv einschätze – solche Leute gibt es auch unter denen, die Sympathien für den Flügel hatten. Warum soll ich die nicht ins Boot holen? Es ergibt keinen Sinn, Personen auszugrenzen, weil man politisch anders unterwegs ist. Das geht gar nicht in einer Partei.

Aber die ehemaligen Flügel-Leute versprechen sich doch etwas von ihrer Wahl.
Sie haben die Erwartungshaltung, dass es eine geringere Polarisierung innerhalb der Partei gibt. Nicht miteinander zu reden, sondern Parteimitglieder anzuschwärzen und ihnen Konstruktivität abzusprechen, das hat bei uns zu viel Streit geführt.

Herr Pazderski hat in einem internen Chat von Neonazis in Ihrer Partei gesprochen. Er schrieb: „Ich habe nicht 41 Jahre diesem Land gedient, um jetzt mit Neonazis, die es in ihrem Leben zu nichts oder wenig gebracht haben, Seit’ an Seit’ zu marschieren.“ Wen meint er damit?
Ich weiß nicht, wen er damit meint, keine Ahnung. Wer ist denn bei uns rechtsextremistisch? Ich sehe solche Leute in Berlin nicht. Null. Wenn Herr Pazderski das gesehen hat, dann weiß ich nicht, in welchen Personen. Es ist auch Unsinn zu sagen, wir müssen die ehemaligen Flügel-Mitglieder aus der Partei rauswerfen – dafür gibt es im Parteiengesetz zurecht extrem hohe Hürden. Die Meinungsfreiheit ist ein sehr, sehr hohes Gut.

[Lesen Sie mehr mit Tagesspiegel-Plus: Die Pazderski-Protokolle. Was der AfD-Fraktionschef wirklich über die eigene Partei denkt]

Der Abgeordnete Andreas Wild wollte Lager für Geflüchtete bauen. Die Abgeordnete Jessica Bießmann posierte auf Fotos vor Hitler-Wein. Herr Wild wurde zwar ausgeschlossen, lief aber auf ihrem Parteitag kürzlich herum. Frau Bießmann ist noch immer Mitglied der Partei. Gibt es gar keine Grenzen für Sie?
Doch. Bei Herrn Wild läuft das Ausschlussverfahren, das liegt gerade beim Bundesschiedsgericht und das teile ich völlig. Frau Bießmann haben wir aus der Fraktion ausgeschlossen. Das war richtig so. Aber wenn man das ausdehnen wollte, wüsste ich nicht, wer noch gehen sollte. 

Ich finde es falsch, bürgerliche Parteimitglieder zu verunglimpfen und zu behaupten, diese seien gesichert rechtsextremistisch. Der Extremismus-Vorwurf wird uns schon seit Bernd Lucke gemacht, und ich finde es unsäglich, dass jede wirklich konservative Partei sofort nach ihrer Gründung mit diesem Vorwurf überzogen wird.

„Es gibt keinen Grund, die AfD zu beobachten“

Ihr Landesverband ist mittlerweile Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Es gibt unzählige Belege für persönliche Beziehungen zwischen Parteimitgliedern und Rechtsextremen, Letztere sehen die AfD als ihre parlamentarische Vertretung. Müsste eine bürgerliche Parteivorsitzende sich nicht klar abgrenzen?
Es gibt keinen Grund, die AfD zu beobachten. Wir haben eine klare Abgrenzung zur NPD und anderen Organisationen der organisierten Rechten. Keine Zusammenarbeit, keine Kontakte, gar nichts. Das ist für mich selbstverständlich.

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Auf einer Veranstaltung von Jeanette Auricht, Ihrer stellvertretenden Landesvorsitzenden, waren Neonazis zu Gast, sie lud Björn Höcke ein.
Veranstaltungen sind ein Problem, denn wie wollen Sie erkennen, was für Leute kommen? Man sieht denen die Gesinnung ja nicht an.

Ihr Wahlprogramm trägt den Titel „Berlin, aber normal“. Was heißt „normal“ für Sie?
Wir wollen mit dem Titel vor allem zeigen, dass vieles von dem, was für viele normal ist, heute nicht mehr als normal dargestellt wird. Zum Beispiel das Auto. Es wird politisch versucht, die Menschen in Bus und Bahn und aufs Fahrrad zu zwingen. Ein anderes Beispiel: Bürgerämter. Ich versuche seit geraumer Zeit, einen Termin für den Personalausweis meines Mannes zu bekommen. Es geht nicht. Seit Wochen. Sowas ist nicht normal.

„Inklusion ist falsch“

Auf Ihrem Parteitag wurden andere Themen genannt: weniger Zuwanderung, klassisches Familienbild mit Mutter, Vater, Kind, weniger Inklusion. Sind Menschen, die anders leben wollen oder eine andere Herkunft haben für Sie nicht normal?
Nein. Inklusion ist falsch, weil so alle Kinder über einen Kamm geschert werden. Wir hatten ein sehr gutes und differenziertes Sonderschulsystem, das jetzt zerstört wird. Zulasten der Kinder, die einen erhöhten Förderbedarf haben, und zulasten derer, die sehr leistungsstark sind. Man kann diese Kinder nicht alle zusammen betreuen. Solche Gleichmacherei ist für uns: nicht normal.

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Kristin Brinker, Landesvorsitzende der AfD Berlin, beim Parteitag im Juni. 

© Annette Riedl/dpa

Was ist mit Migranten, Schwulen und Lesben?
Jeder soll seine Sexualität leben, wie er möchte. Es darf auch keine Verfolgung geben von Menschen, die anders als die Norm ausgerichtet sind. Das gilt ohne Einschränkung. Bestimmte Gruppen von Menschen werden heute aber so in den Mittelpunkt der Debatte gerückt, dass wir uns fragen: Warum eigentlich? 

Wir halten es zum Beispiel für falsch, queere Lebensentwürfe in die frühkindliche Erziehung und in die Schulen zu tragen. Warum hat dieser Streit über die Regenbogenfahne bei der Europameisterschaft neulich die Titelseiten gefüllt? Dieses Thema ist für den Normalbürger vollkommen irrelevant.

Der AfD-Abgeordnete Uwe Junge schrieb dazu etwas von einer „Schwuchtelarmbinde“.
Das Wort ist sicherlich unglücklich gewählt. Aber ist es wirklich schwulenfeindlich?

Ihr Parteiprogramm richtet sich nur an all jene, die die AfD für normal hält?
Nein, unser Programm richtet sich an alle. Ich hatte in meinem Leben das große Glück, dass ich viele Auslandsreisen machen konnte. Wir Deutsche haben dort einen unglaublich guten Ruf. Die Menschen verbinden mit diesem Land Wirtschaftskraft, gute Arbeit und Bezahlung. 

Wir brauchen dazu die klassisch deutschen Tugenden: Fleiß, Pünktlichkeit und den Willen, voranzukommen. Das ist für uns normal. Und damit sind zum Beispiel Migranten, die sich hier einfügen, absolut eingeschlossen.

„Wir fangen mit der Familie als Keimzelle unserer Gesellschaft an“

Ihr Programm ist zwar bereits vor zwei Wochen beschlossen worden, kann aber noch nicht öffentlich eingesehen werden. Was will die AfD konkret gegen Berliner Probleme tun?
Wir haben unser Programm so aufgebaut, dass wir mit der Familie als Keimzelle unserer Gesellschaft anfangen. Daran schließen sich die Themen Sicherheit, Bildung, Verkehr, Wohnen und Infrastruktur an. Wir haben ein Aussteigerprogramm für Clan-Angehörige beschlossen, kriminelle Ausländer sollen schneller abgeschoben werden. 

Beim Thema Wohnen wollen wir einen Kurswechsel: Die staatlichen Eingriffe, die Mietendeckelarien, führen eher dazu, dass Wohnraum noch viel knapper wird.

Wir sehen die Lösung im massiven Neubau und darin, potenzielle Investoren nicht vom Markt zu verjagen. Außerdem wollen wir, dass sich alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt in Berlin bewegen können und nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Sie selbst haben zuletzt erklärt, die AfD sei der „parlamentarische Arm“ der Querdenker-Bewegung. Warum stellen Sie sich, genau wie die Bundespartei, an die Seite einer vom Verfassungsschutz beobachteten Bewegung?
Das ist falsch dargestellt worden. Die Querdenker selbst wollen gar nicht vereinnahmt werden und wir haben auch keine Kontakte in diese Szene.

Sie wurden damit wörtlich zitiert. Vorstandsmitglieder der Berliner AfD nehmen an deren Demos teil, rufen aktiv dazu auf.
Richtig ist, dass auf den Demos der Querdenker auch viele ganz normale Leute sind, die Fragen haben und sich Sorgen machen – genau wie wir. Es ist für die Demokratie fatal, jeden, der auf solch eine Demonstration geht, als potentiellen Staatsfeind darzustellen.

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