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Menschen die Pflege brauchen, zählen zur Risikogruppe für Covid 19.

© Kitty Kleist-Heinrich

„Hier geht es nicht um Fußball, sondern ums Leben“: Pflegeverbände fordern wegen der Lockerungen mehr Tests und Geld

Mit der Öffnung von Kitas, Schulen und Gaststätten in Berlin und Brandenburg steigt das Risiko einer Corona-Infektion – auch für Pfleger.

Von
  • Sandra Dassler
  • Sabine Beikler

Gewerkschaften und Pflegeverbände fordern angesichts der umfangreichen Lockerungen von Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus besondere Aufmerksamkeit für alle, die auf Pflege angewiesen sind und ein höheres Risiko auf einen schweren Krankheitsverlauf haben.

Zu ihnen gehören nicht nur ältere, sondern auch schwer kranke und behinderte Menschen, darunter auch viele Kinder. Aber auch all jene, die sie betreuen, müssten besser als bisher geschützt werden, fordern unter anderem die Träger der ambulanten Pflegedienste wie Deutsches Rotes Kreuz (DRK) und Diakonie.

So sei der Mangel an Schutzausrüstung noch immer ein großes Problem, kritisierte die Direktorin des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin, Ulrike Kostka, als sie sich in dieser Woche beim Schuhhändler Heinrich Deichmann bedankte, der eine Million Gesichtsmasken für die Caritas spendet.

Die sehr gute Ausstattung der Pflegekräfte und Pflegehelfer mit Schutzausrüstung sei eine unabdingbare Voraussetzung, um die Lockerungen wie geplant durchzuführen, sagte auch die Fachbereichsleiterin Gesundheit bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Meike Jäger.

„Ganz besonders wichtig ist außerdem, dass die Pflegebediensteten konsequent und zahlreich getestet werden. Und das muss nicht nur in stationären Einrichtungen, sondern natürlich auch bei den ambulanten Pflegediensten erfolgen. Sonst haben wir sehr schnell die befürchtete zweite Welle“, sagt sie.

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Durch die sukzessive Öffnung von Kitas, Schulen, Gaststätten und anderen Einrichtungen steige das Risiko, sich mit dem Virus zu infizieren, für die Pflegebediensteten, die ja auch Kinder, Partner und Freunde haben, wieder an.

„Welche fatalen Folgen das hat, haben wir ja schon in einigen Wohneinrichtungen und Pflegeheimen gesehen. Nur durch die Tests ist es möglich, Infektionsketten schnell zu unterbrechen“, sagt Meike Jäger.

Ambulante Pfleger werden erst bei Symptomen getestet

Auch der Cottbuser Verdi-Gewerkschaftssekretär Ralf Franke kritisiert scharf, dass es in der ambulanten Pflege bislang weder kontinuierliche noch prophylaktische Tests gibt. Viele Beschäftigte könnten nicht verstehen, dass sie erst getestet werden, wenn sie Symptome haben. „Gerade die ambulanten Pflegedienste fahren am Tag 15 bis 20 Haushalte an, in denen sie Menschen versorgen, die ebenso geschützt werden müssen wie die Beschäftigten selbst.“
Das in den vergangenen Wochen immer wieder zu hörende Argument, wonach es einfach zu wenige Tests gebe, lässt  Franke nicht gelten: „Das hat sich ja angeblich inzwischen geändert. Und es kann ja auch nicht stimmen, wenn sogar genug für die Profifußballer da sind.“ 

Ein  Pflegedienstleiter, der anonym bleiben möchte und selbst Fußballfan ist, formuliert noch drastischer: „Bei den Tests der Profis geht es darum, dass der Fußball weitergeht, bei uns geht es darum, dass das Leben weitergeht.“

Frostschutzmittel in Spender gefüllt

Aber auch finanzielle Unterstützung wird angesichts der Mehrausgaben, die viele an der Pflege Beteiligte durch die Corona-Krise haben, immer wieder gefordert. „Für Masken zahlt man unanständig viel, der Preis für Nitrilhandschuhe hat sich nahezu verdoppelt und auch die Desinfektionsmittel sind sehr viel teurer“, sagt der Pflegedienstleiter.

Letzteres war wohl ein Grund dafür, dass in einem Seniorenheim im Landkreis Spree-Neiße statt Desinfektions- ein billigeres Frostschutzmittel in die Spender eingefüllt wurde. Abgesehen davon, dass dadurch natürlich keine Desinfektion erfolgte, löste sich bei einige Mitarbeitern sogar die Haut von den Händen. In dem Fall ermitteln jetzt Polizei und Staatsanwaltschaft.

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Auf eine Möglichkeit zur finanziellen Unterstützung wies die Leiterin der Berliner Beratungsstelle „Pflege in Not“, Gabriele Tammen-Parr, kürzlich hin. Die Gelder für die jetzt geschlossenen Tagespflegeeinrichtungen lägen bei den Pflegekassen, sagte sie.

„Die werden nicht abgerufen und könnten den pflegenden Angehörigen als ein frei verfügbares Budget überlassen. werden“.  Damit könnten diese etwa den Nachbarn fürs Einkaufen oder andere Hilfsangebote bezahlen und sich selbst etwas entlasten.

Berlin will pflegende Angehörige finanziell entlasten

Auch das Land Berlin plädiert dafür, dass wenigstens ein Teil des Geldes den pflegenden Angehörigen zur Verfügung gestellt wird. Dem Tagesspiegel liegt ein von der Senatsgesundheitsverwaltung erarbeiteter Beschluss-Vorschlag für die geplante Bundes-Gesundheitsministerkonferenz im Juni vor.

Demnach soll das Sozialgesetzbuch XI für Pflegeversicherungen um einen Absatz ergänzt werden, wonach finanzielle Mittel, die infolge der  Corona-Krise nicht für die Tagespflege genutzt werden können, an Angehörige oder ambulante Pflegedienste weiter gereicht werden können.

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In der Hauptstadt gibt es 2275 Tagespflegeplätze in 111 Einrichtungen. Wann sie wieder geöffnet werden, ist derzeit noch nicht absehbar. Das bedeutet für viele pflegende Angehörige eine große Belastung. Doch es gibt Hoffnung. Denn als der Senat die Eindämmungsverordnung verabschiedet hatte, erlaubte er den Trägern eine Ausnahme. 

„Es ist laut Eindämmungsverordnung möglich, dass Tagespflegestellen eine Notbetreuung anbieten können - auch dann, wenn eine Betreuung nicht anderweitig sichergestellt werden kann“, sagte Barbara König, Staatssekretärin für Pflege und Gleichstellung, dem Tagesspiegel.

Johanniter wollen Notbetreuung anbieten

Die Johanniter beispielsweise werden ab kommender Woche eine Notbetreuung anbieten. Diese gelte aber nur für Menschen, „die bereits dort betreut werden“, betonte Anita Karow, Fachbereichsleiterin der Pflege bei den Johannitern in Berlin.

21 Tagespflegeplätze hat der evangelische Träger in Johannisthal in Treptow-Köpenick. Für rund fünf Besucher der Tagespflege wolle man eine Betreuung an zwei Tagen pro Woche anbieten. Allerdings unter strengen Hygieneregeln, um zum Beispiel die Distanz von 1,50 Meter einhalten zu können.
Auch in Potsdam und Cottbus wollen die Johanniter in ihrer Tagespflege eine Notbetreuung für einen Teil der dort Versorgten eröffnen. Für viele pflegende Angehörige wäre das eine große Erleichterung.

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