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Katja Kipping (Die Linke), Sozialsenatorin, bei einer Pressekonferenz im Ukraine-Ankunftszentrum Tegel.

© dpa / Carsten Koall

„Herkulesaufgabe für Berlin“: Kipping will alten Flughafen Tegel langfristig für Flüchtlinge nutzen

Berlins Sozialsenatorin zeigt das neue Ankunftszentrum im alten Flughafen. Immer mehr Menschen müssen hier schlafen. Neue Probleme bei der Registrierung drohen.

Die Lage wirkt ruhig an diesem Mittwochmorgen in Tegel. Am neuen Ukraine-Ankunftszentrum des Senats im ehemaligen Terminal C warten nur ganz wenige Menschen auf ihre Registrierung. Am kleinen Kiosk ist kaum Betrieb. Im Schnitt kommen hier einhundert Menschen am Tag an, geben ihre Fingerabdrücke ab, es wird ein Foto gemacht. Dann kommt die Verteilung nach Berlin oder in ein anderes Bundesland. Die Mitarbeiter haben bunte Deutschland-Karten auf die Tische gelegt, um den Menschen zeigen zu können, wo sie hingebracht werden. Wer in der Ukraine kennt schon Gütersloh oder Fallingbostel?

Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) will an diesem Morgen zeigen, wie viel Energie und Ressourcen in Berlin in die menschenwürdige Behandlung der vielen Flüchtlinge gesteckt wird. Will zeigen, dass es hier nicht „zugeht wie in Moria“, dem bekannten Flüchtlingsslum im Mittelmeer, sondern die Menschen in modernen, geheizten Zelten und Hallen übernachten. Der Protest von Flüchtlingsinitiativen ist trotzdem programmiert: Allein das Wort Zelt reicht schon aus.

Tatsächlich hat der Senat inzwischen massive Probleme die Flüchtlinge aus Tegel wegzubekommen. Eigentlich sollen sie hier maximal zwei Tage bleiben. Laut Landesamt für Flüchtlinge (LAF) waren die Menschen zuletzt aber im Schnitt mehr als eine Woche dort. Einige Menschen harren sogar seit vier bis acht Wochen aus, etwa weil versucht wird, einen Pflegedienst für sie zu finden. Das bestätigte LAF-Sprecher Sascha Langenbach dem Tagesspiegel auf Nachfrage.

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Kipping hält Zeltstädte für unausweichlich

Wie im Hotel ist es hier in Tegel für die Kriegsflüchtlinge nicht: Vier Doppelstockbetten stehen dicht an dicht in den Schlafnischen in einer der großen Traglufthallen auf dem Vorfeld des alten Airports. Privatsphäre gibt es kaum. Deshalb sollen die Menschen hier eigentlich auch nur für ganz kurze Zeit bleiben. Es fehlen aber Unterkünfte – für klassische Asylbewerber genauso wie für die Ukraine-Flüchtlinge. Gerade 100 Plätzen waren zuletzt noch in ganz Berlin frei.

Die Lage ist angespannt, die Unterkünfte sind voll. Kipping will deshalb bis Ende des Monats Zeltstädte bauen lassen. Diese Ankündigung hat deutschlandweit für Aufsehen gesorgt. Auch internationale Presse begleitet Kipping bei ihrem Ortstermin. Die vielen Flüchtlinge werden künftig deutlich sichtbarer in Berlin werden. Es wird sich mehr nach Ausnahmezustand anfühlen als bisher.

Kipping weist jedoch jede Frage nach Grenzen der Aufnahmebereitschaft zurück: „Wir müssen den Platz schaffen. Jedes Obdach, das wir geben, ist eine Verurteilung von Putins Krieg“, sagt die Linke-Politikerin. „Die bisherige Strategie ist nicht gescheitert“, betonte die Linke-Politikerin. „Sie war im Gegenteil sehr erfolgreich. Wir haben mehr Unterkunftsplätze als jemals zuvor, rund 28.900.“ Noch am Morgen habe man eine weitere Unterkunft in Spandau mit mehr als 300 Plätzen eröffnet, sagte sie.

Aufnahmestelle kommen mit der Registrierung nicht hinterher

Doch der Druck wird größer: Zwischen September und Oktober ist die Zuwanderung von Asylbewerbern noch einmal um 30 Prozent gestiegen. Allein im Oktober waren es 2500 Menschen. Auch bei den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine rechnet Kipping im Winter mit einem erneuten Anstieg, spätestens dann, wenn dort der Frost kommt. „Wir haben eine Herkulesaufgabe vor uns“, sagte die Senatorin bei dem Rundgang durch die umgebauten Terminal-Hallen.

Kipping will deshalb auch den Flughafen Tegel langfristig für Flüchtlinge nutzen. 1900 Menschen können in den ehemaligen Terminals A und B unterkommen. Bis Jahresende dürfen sie noch von Flüchtlingen genutzt werden. Über die Monate danach kann sich der Senat bislang nicht einigen, denn eigentlich soll die Berliner Hochschule für Technik dort bald einziehen. Kipping sagt: „Wir werden am Ende abwägen müssen: 1900 Menschen, die nicht in die Obdachlosigkeit geschickt werden, oder ein schönes städtebauliches Projekt.“

Auch am Mittwoch wollte sich Kipping noch nicht auf finale Standorte für die geplanten Zeltstädte festlegen. Sie betonte aber: „Wir müssen vor die Lage kommen. Das ist unsere verdammte Pflicht. Wir müssen jetzt groß denken.“ In Frage kommen als Standpunkte wohl das Tempelhofer Feld, der Olympiapark, das Messegelände und weitere Freiflächen auf dem alten Flughafengelände hier in Tegel. Bis Ende November sollen nach Tagesspiegel-Informationen die ersten Zelte stehen. Die Experten des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) können große Zeltstädte und Leichtbauhallen binnen zwei oder drei Tagen aufbauen, wie eine Sprecherin mitteilte.

Doch das nächste Problem droht Berlin bereits: Die Mitarbeiter des Landesamtes für Flüchtlinge arbeiten seit Monaten an und über ihren Grenzen. Carina Harms aus der Führung des Hauses sagt dem Tagesspiegel dazu: „Wir wussten, dass das kein Sprint wird, sondern ein Marathon. Aber langsam sieht es nach einem Ultra-Marathon aus.“ Schon jetzt gibt es einen Rückstau von 700 Menschen bei der Registrierung klassischer Asylbewerber. Viele von ihnen können deshalb einige Tage im Ankunftszentrum in Reinickendorf bleiben, doch 260 Menschen wurden schon vorübergehend nach Tegel gebracht.

Allein im letzten Monat stiegen die Asylzahlen noch einmal drastisch an. 72 Menschen am Tag kommen inzwischen in Berlin an. Noch kann das LAF den Anstieg mit Leiharbeitern, Wochenenddiensten und mehr Schichten abfangen, woanders werden Prozesse strukturiert. Zum großen Überfluss fallen durch eine Wartung bald auch die bundesweiten Systeme zur Registrierung für einige Tage aus. Ein langjähriger Mitarbeiter sagt: „Lange geht das nicht mehr gut.“ Dann muss wohl wieder die Bundeswehr anrücken und Amtshilfe leisten. Damit sich in Berlin keine Bilder von 2015 wiederholen.

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