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15 Filialen haben laut Gewerbetreibenden seit Sperrung der Friedrichstraße bereits geschlossen.

© picture alliance/dpa

Update

Gesperrte Friedrichstraße in Berlin: Geschäftsleute fordern Ende der Verkehrsberuhigung – Senatorin beharrt darauf

Ein Bündnis zeigt mit Daten die Folgen der Sperrung für Läden auf. Mehrere hätten schließen müssen. Die Senatorin sagt: „Der fließende Verkehr bleibt draußen.“

Gewerbetreibende rund um die Friedrichstraße verweisen seit langem auf die negativen Folgen der Sperrung für den Autoverkehr und fordern ein Ende des Verkehrsversuchs. Nun untermauern sie ihre kritische Haltung erstmals mit Daten, die erhebliche Zweifel am Erfolg der Verkehrsberuhigung in der Einkaufsstraße wecken.

Von 46 befragten Filialbetreibern entlang des gesperrten Bereichs der Friedrichstraße und seiner Nebenstraßen bewerten demnach nur zwei den Verkehrsversuch der Senatsverkehrsverwaltung positiv. Für 34 Geschäfte hingegen würden die negativen Folgen überwiegen. Zu diesem Ergebnis ist das Aktionsbündnis „Rettet die Friedrichstraße“ bei einer Befragung gekommen.

„Mir wird von der Verkehrssenatorin permanent erklärt, dass alle in der Friedrichstraße glücklich sind. Ich höre aber jeden Tag ein völlig anderes Feedback“, sagte Anja Schröder vom Aktionsbündnis, die in der nahen Charlottenstraße das Weingeschäft Planet Wein betreibt.

Seit Beginn des Verkehrsversuchs habe es 15 Filialschließungen gegeben. Fünf weitere Geschäfte würden über einen Umzug nachdenken. „Das hat keine pandemischen Gründe. Konfektionsunternehmen wie Max Mara haben Vergleichszahlen von anderen Standorten, die deutlich über dem Niveau der Friedrichstraße liegen.“

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Die Grundlage: GPS-Daten von 150.000 Smartphones

Um die Entwicklung in der Straße objektiv bewerten zu können, hat das Bündnis untersuchen lassen, wie sich die Besucherzahlen in der Friedrichstraße verändert haben. Dazu wertete das Unternehmen Placesense im Auftrag des Bündnisses die GPS-Daten von insgesamt 150.000 Smartphones im gesperrten Teil der Friedrichstraße und drei weiteren Berliner Einkaufsstraßen, dem Kurfürstendamm, Tauentzien und dem nördlichen Teil der Friedrichstraße aus.

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Das Ergebnis: „Der Verkehrsversuch war nicht erfolgreich, wenn es darum geht, die Besucherfrequenzen in der Friedrichstraße zu steigern“, sagte Jan Barenhoff von Placesense. „Ab Einführung des Pilotprojektes gehen die Frequenzen in der Friedrichstraße herunter.“ Gemessen an einem dreijährigen Durchschnitt der Besucherzahlen liege die zuvor für ihre Verhältnisse besser performende Friedrichstraße nach der Sperrung mit 16 Prozentpunkten deutlich unter den Werten der anderen Einkaufsmeilen.

Die Lockerungen der Corona-Maßnahmen helfen bislang nicht viel

Auch die Lockerungen der Corona-Maßnahmen helfen der Straße bislang offenbar weniger stark. „Die Friedrichstraße erreichte bis jetzt nie wieder das alte Niveau beim Fußverkehr“, sagte Barenhoff. Der Tauentzien hingegen habe die früheren Besucherströme schon wieder erreicht.

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Zu einem anderen Ergebnis war kürzlich das Unternehmen What a Location gekommen. Wie die „Berliner Zeitung“ berichtet hatte, sei die Zahl der Besucher in der gesperrten Friedrichstraße demnach seit Juni 2020 um 65 Prozent gestiegen. Dafür wurden Mobilfunkdaten ausgewertet. Dies sei aber zu ungenau, da sich diese nicht kleinräumlich erfassen ließen, konstatierte Barenhoff.

Verkehrsaktivist kritisiert Datengrundlage

Doch auch an den Daten von Placesense gibt es Kritik. Zwar erklärte Barenhoff, bei der GPS-Auswertung nur die Gehwege berücksichtigt zu haben. Metergenau ließen sich aber auch diese Geo-Daten nicht auswerten, kritisierte Stefan Lehmkühler, Aktivist von Changing Cities und Grüne-Politiker. „Es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass in den Zahlen vor der Sperrung auch Autofahrer enthalten sind.“ Dies könnte das Ergebnis massiv verzerren.

Auf der Straße können Fußgänger in der Friedrichstraße wegen des Radwegs derzeit nicht flanieren.
Auf der Straße können Fußgänger in der Friedrichstraße wegen des Radwegs derzeit nicht flanieren.

© imago images/Jochen Eckel

Als „verheerend“ beschreibt Weinhändlerin Schröder auch die Reaktion der Gewerbetreibenden aus den Seitenstraßen. „Die werden den Tag über zur Abstellkammer. Stundenlang stehen da Lkw, die von dort aus die Geschäfte beliefern.“

Trotz der seit langem geäußerten Kritik seien die Verbände bis heute nicht in den Prozess zur Weiterentwicklung des Verkehrskonzepts durch die Senatsverkehrsverwaltung eingebunden, kritisierte Schröder. Erst zur Vorstellung der abschließenden Bilanz des Verkehrsversuchs sei man eingeladen.

Jarasch stellt neues Konzept für Friedrichstraße am 2. Mai vor

Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) wollte sich auf Anfrage zu den neuen Zahlen der Anrainer nicht im Detail äußern. Sie machte aber ihre Haltung zum Streitfall Friedrichstraße klar: „Der fließende Verkehr bleibt draußen. Sonst wird der ganze Verkehrsversuch ad absurdum geführt.“ An der geplanten Teileinziehung der Friedrichstraße für den Autoverkehr wolle sie festhalten.

Am 2. Mai will Jarasch die Bilanz der Sperrung sowie ihr neues Konzept für das Gebiet rund um die Friedrichstraße vorstellen. Dabei würden auch die Glinka- und Charlottenstraße miteinbezogen, sagte sie. „Mir geht es darum, dass wir eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität als Flaniermeile haben werden.“ Wenn sich die Menschen vor Ort gerne aufhielten, bringe dies den Bürgern sowie den Gewerbetreibenden etwas. „Da war bisher deutlich Luft nach oben“, gestand Jarasch.

Gewerbetreibende drohen mit rechtlichen Schritten

Dass sich die Gewerbetreibenden übergangen fühlen, wollte die Verkehrssenatorin nicht stehen lassen. Es habe schon unter ihrer Amtsvorgängerin Regine Günther (Grüne) "eine Reihe von Gesprächen" gegeben.

Sie selbst will jedoch erst nach der Präsentation von Bilanz und Konzept mit den Anrainern diskutieren. „Wir präsentieren erst die Auswertung und das Konzept und dann gehen wir in den Dialog.“ Für das künftige Aussehen der Friedrichstraße werde es einen Gestaltungswettbewerb geben, „und insofern Mitwirkungsmöglichkeiten“, sagte Jarasch.

Absehbar ist, dass dies nicht der Beteiligung entspricht, die sich die Gewerbetreibenden wünschen. Sie drohen für den Fall der Teileinziehung der Straße schon jetzt mit rechtlichen Schritten, erklärte Annett Greiner-Bäuerle, Co-Vorsitzende des Wirtschaftskreis Mitte: "Wenn Nägel mit Köpfen gemacht werden, werden wir uns auch vorbehalten, dagegen vorzugehen."

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